In jedem Jahr erkläre ich den Erstsemestern, dass die Geschichte des Computing gerade erst begonnen hat, dass die Hardware weiter rasant leistungsfähiger werden wird, und dass sich die Entwicklung von Software auch weiter beschleunigen wird. Trotzdem habe ich selbst nicht viele Vorstellungen davon, was in den kommenden Jahren tatsächlich anders sein wird. In der letzten Woche haben mich zwei Berichte beeindruckt. Bei beiden hatte ich den Eindruck, dass Science-Fiction in der Gegenwart oder in der nächsten Zukunft realisiert wird.
Es geht in ihnen um alte Ideen, die als solche nicht überraschend sind: um künstliche Intelligenz und Augmented Reality. Beide Technologien sind mir lange wie eine Fata Morgana vorgekommen, die den Blick von dem ablenkt, was tatsächlich passiert. Jetzt habe ich den Eindruck, dass sie vor dem Durchbruch stehen, und ich frage mich, was sie für die Entwicklung von Medien und für den Umgang damit, für die Bildung, bedeuten werden.
Die Backchannel-Reportage Google Search Will Be Your Next Brain beschreibt die Arbeit von Pionieren auf dem Gebiet der neuronalen Netze. Sie erklärt leider kaum, worin die Durchbrüche dieser Forscher bestehen, aber sie macht deutlich, dass Rechnersysteme bereits heute in einer Weise lernen können, die der des menschlichen Gehirns sehr ähnlich ist. Vor allem zeigt, sie, wie relevant das machine learning für die Unternehmenspolitik von Google ist, und mit welchen Investitionen und welcher Entschlossenheit sie vorangetrieben wird.
Als ich die Wired-Reportage Project HoloLens: Our Exclusive Hands-On With Microsoft’s Holographic Goggles las, dachte ich, dass es sich auch dabei noch um einen Bericht über eine nahe, aber zukünftige Entwicklung handelt, aber unmittelbar danach wurde HoloLens öffentlich präsentiert—die Microsoft-PR-Abteilung hat hier sehr erfolgreich mit Wired zusammengearbeitet. Die HoloLens-Technologie wird ziemlich eindrucksvoll in dem dem Video von The Verge am Anfang dieses Posts gezeigt.
Man kann lange darüber nachdenken, was diese Entwicklungen für Medien und Inhalte bedeuten werden. Machine Learning, das bereits jetzt eine große Rolle bei der Bewertung von Suchergebnissen spielt, wird immer wichtiger dafür sein, wie Inhalte erzeugt, organisiert und abgerufen werden. Für die Literacies wird es dann weniger relevant sein, Inhalte katalogisieren und klassifizieren zu können, als die Systeme, die die Inhalte organisieren, richtig befragen und steuern zu können. Der Umgang mit Computern—wobei dieser Ausdruck zu den vernetzten Systemen in der Cloud nicht mehr passt—wird einem Dialog mit menschlichen Gegenübern, oder auch dem Machen gemeinsamer Erfahrungen, ähnlicher werden. Man wird eine Art computing-bezogenen Lifestyle entwickeln, durch den man steuert, welche Inhalte einem Dienste wie Google anbieten.
Systeme wie HoloLens verstehe ich als Alternativen, Ergänzungen oder Weiterentwicklungen von Bildschirmen und damit auch von gedruckten Seiten. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorstellen zu können, wie man damit lernen, Daten visualisieren oder mit Gruppen und sozialen Netzwerken kommunizieren kann. Möglicherweise sind Geräte wie die HoloLens-Brille, mit denen man sich deutlich sichtbar in eine Datenwelt begibt, vielen sympathischer als eine Technologie wie Google Glass, der man nicht ansieht, was sie sie gerade tut. Vielleicht werden Datenbrillen irgendwann so selbstverständlich wir Kopfhörer.
Die beiden Artikel sind für mich nicht vor allem wegen der Techologien bemerkenswert, die sie beschreiben, sondern wegen der sich selbst steigernden Beschleunigung der Erntwicklung von Hard- und Software, deren Ausdruck diese Technologien sind. Wenn man sich heute für Medien interessiert, muss man die Dynamik verstehen, mit der sie sich technisch verändern. Künstliche Intelligenz und Virtuelle Realität sind nicht Randbereiche für Nerds und Science Fiction-Fans, sondern Schlüsselphänomene für alle, die sich heute mit Medien oder Bildung beschäftigen.

2 Kommentare zu “HoloLens und neuronale Netze: die nächste Phase des Computing und die Bildung

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