Wie etabliert man Content-Strategie und Content-Strategen in einem Groß-Unternehmen, das nach dem command-and-control-Prinzip funktioniert und Inhalte als billiges Füllmaterial für die Homepage versteht? Ich kenne keine bessere Antwort auf diese Frage als New content thinking, old-world organisations von Kate Kenyon. Eine — erfolgreiche — Content-Strategin erzählt von ihren Erfahrungen im Content-Team einer Bank. So lesenswert wie dieser Text, so sehenswert sind die Folien des Vortrags (PDF) auf der Confab Europe 2014, der ihm zugrundeliegt.
Zwei Welten prallen aufeinander: Eine auf Homöostase ausgerichtet Unternehmenskultur und die digital attitudes des Content-Strategie-Teams.

The first lesson to learn about old-world companies is that you won’t just going to be introducing content strategy, you are going to be introducing digital attitudes too.

Kate Kenyon benennt gleich zu Beginn, was beide Welten unterscheidet: Die gängige Corporate Culture ist nach innen ausgerichtet, auf die geregelten Prozesse und die Positionen der Mitarbeiter in der Organisation. Content-Strategen orientieren sich dagegen nach außen, für sie steht nicht die Stabilität der Organisation, sondern die Interaktion mit den Kunden im Mittelpunkt. Einer Unternehmenskultur, die mit Prozessdefinitionen und Verfahrensanweisungen unterdrückt, was Unordnung erzeugen könnte, steht eine agile Arbeitsweise gegenüber: Sie ist usergetrieben, inkrementell, und geht davon aus, dass sich komplexe Entwicklungen nur in Teilaspekten planen lassen.
Kate Kenyons Text hat schon viele Leser fasziniert. Pointiert formuliert sie Erfahrungen, die jede und jeder gemacht hat, der in einem üblichen Unternehmen ein Webprojekt realisieren wollte. Der Vortrag ist aber vor allem spannend, weil er zeigt, wie der David der Content-Strategie diesen Kampf gegen den Goliath der Corporate Culture gewinnen kann, indem er geschickt vorgeht und argumentiert. Kate Kenyon empfiehlt verschiedene erprobte Taktiken:

  • erfolgreich Probleme lösen, die die Mitarbeiter im Alltag behindern,
  • beständig argumentieren und auf dabei immer auf Fakten verweisen,
  • Gegner zu Verbündeten machen, z.B. die Compliance-, Rechts- und Risikoabteilungen, die selbst eine kritische Position gegenüber den Prozessen im Unternehmen einnehmen.

Der Artikel ist ein Plädoyer für die people skills for digital workers mit denen sich Jonathan Kahn beschäftigt — ein Londoner wie Kate Kenyon.
Der Schlüsselbegriff des Vortrags ist für mich: digital attitudes. Die digitalen Haltungen sorgen dafür, dass sich Leute z.B. auf vielen BarCamps sofort verstehen. Sie bestehen nicht in einem expliziten Wissen, sondern eher in einer Einstellung: in einer praktizierten Offenheit. Sie ergibt sich daraus, dass man aus einem geteilten Wissenspool heraus handelt, der durch digitale Technologien immer gemeinsam verfügbar ist, und der sich durch die Beiträge aller ständig verändert. Zu diesen Haltungen gehört es, Definitionen, Abgrenzungen und Hierarchien als provisorisch und sehr begrenzt zu verstehen.
Es ist nicht schwer, digitale Haltungen zu entwickeln, wenn man in einer entsprechenden Umgebung leben und arbeiten kann. Es ist aber sehr schwer zu formulieren, worin diese Haltungen bestehen, und noch schwerer, sie in einer Umgebung zu erklären und einzuführen, in der sie nicht selbstverständlich sind. Kate Kenyons Artikel ist ein Beispiel dafür, wie man digital attitudes explizit machen, sich dadurch selbst besser verstehen und die eigene Arbeitsweise erklären und vermitteln kann.

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