Gestern hat mich David gefragt, warum ich nichts zur Vorratsdatenspeicherung blogge. Ich hatte gerade Ingrid Brodnigs sehr guten Überblicksartikel Die überwachte Republik gelesen. Viel mehr als Ingrid kann ich zu diesem Thema nicht sagen. Aber ein paar persönliche Bemerkungen habe ich schon:

Da ich mich gelegentlich als Spackensympathisant geoutet habe: Auch als Post-Privacy-Anhänger kann man gegen Vorratsdatenspeicherung sein. Es ist eine Sache, auf den freien Fluss von Daten statt ängstlicher und wahnhafter Kontrolle zu setzen, und eine andere, den Staat bei seinem Kontrollwahn zu unterstützen. Post-Privacy heisst, seine eigenen Daten großzügig zu publizieren und zu wissen, dass andere über mich Daten in Umlauf bringen, auf die ich nie direkten Einfluss haben werde. Es heisst aber nicht—außer vielleicht in masochistischen Phantasien—dass ich irgendeiner Instanz, z.B. dem Staat, das Recht gebe, die eigene Kommunikation zu überwachen.

Ein Staat, der festhält, wer wann, wo, wie lange und mit wem kommuniziert, ist ein Polizeistaat. Es gibt in Österreich zwar juristische Kontrollen, und wir leben nicht unter totalitären oder autoritären Verhältnissen. Aber wir beobachten gerade, wie im Nachbarland Ungarn ein autoritäres Regime installiert wird. Fast ein Viertel der Wähler in diesem Land unterstützt die rechtsradikale FPÖ. Und prominente Politiker wie Werner Amon verleumden Teile der Justiz, weil sie selbst unter Korruptionsverdacht stehen. Das Risiko, dass das gerade eingerichtete polizeistaatliche Potenzial früher oder später gegen Missliebige eingesetzt wird, ist erheblich.

Für mich hat die Vorratsdatenspeicherung Konsequenzen, die man in einem demokratischen Land nicht wollen kann:

  1. Der generalisierte Verdacht des Staats gegen die Bürger führt zwangsläufig zum Verdacht der Bürger gegen den Staat. Wenn man weiss, dass man möglichst flächendeckend prophylaktisch bespitzelt wird, dann nimm man den Staat vor allem als Obrigkeit wahr, gegen die man sich zur Wehr setzen muss. Wenn der Staat mir das Recht nehmen will zu entscheiden, welche Informationen über mich ich zugänglich machen will und welche nicht, verliert er seine Legitimität. Ich werde die mir möglichen Maßnahmen ergreifen, um mich vor seiner Beobachtungswut zu schützen.

  2. Mit der Vorratsdatenspeicherung wird in Österreich in einem bis in die Intimsphäre gehenden Bereich eine EU-Politik exekutiert, die bestenfalls in einem sehr formalen Sinn auf demokratischem Wege zustande gekommen ist. Das erinnert fatal an die diversen Euro-Rettungsmaßnahmen, bei denen im Stil einer längst überholten Kabinetts- und Interessenpolitik über ganze Länder entschieden wird. Letztlich schadet das der europäischen Integration, die so vor allem von vielen jungen Leuten als aufgezwungen wahrgenommen wird.

Für mich ist die Vorratsdatenspeicherung ein Schritt auf dem Weg in die Postdemokratie. Ich hoffe, dass sie denen, die sie uns eingebrockt haben, um die Ohren fliegt.

2 Kommentare zu “Auf dem Weg in die Postdemokratie: die Vorratsdatenspeicherung

  1. Die Diskussion Security vs Privacy (oder Freiheit vs Kontrolle) wird ja schon recht lange geführt und vermutlich gibt es hier wirklich einen Trade-off.
    Ich fühle mich allerdings in unserem Land noch immer nicht so unsicher (und das wird hoffentlich noch lange so sein), dass ich einen generellen Eingriff des Staats in dem ich lebe in meine persönliche Kommunikation zulassen will.
    lG
    Alex
    p.s.: Sensationelles Zitat:
    „Der generalisierte Verdacht des Staats gegen die Bürger führt zwangsläufig zum Verdacht der Bürger gegen den Staat.“

  2. Bei der zurecht heftigst diskutierten „Vorratsdatenspeicherung“ soll nicht unberücksichtigt bleiben, dass (wohl eher ungewollt) diese Datenerfassung durch die Provider bereits jetzt Usance ist, insb. um Einsprüchen gegen Rechnung/Verfügbarkeit mit handfesten/allumfassenden Betriebsdatenfakten entgegentreten zu können. Die VDS-Gesetzesabsicht eröffnet (wiederum wohl ungewollt) die Chance dem substantiell entgegentreten zu können, bzw. das in akzeptable/hinnehmbare Bahnen zu lenken. Dass bereits jetzt der Zugriff der Justiz auf diese Daten stattfindet ist „anzunehmen“ – d.h. das VDS-Gesetz ändert realitas „wohl eher wenig“ am Status quo. Weiters irritiert es sehr, dass der Obfrau der österr. Datenschutzkommnission die Registrierung der 142 VDS-relevanten Provider fehlt http://www.profil.at/articles/1214/560/323729/vds-vorratsdatenspeicherung.
    Nicht zuletzt, da es neo-politischen Initiativen en vogue erscheint „via Internet möge niemand etwas für Content – da per se zum OpenContent erklärt – zahlen, aber ersatzweise dafür alle etwas“ trennt sich angesichts des dem innewohnenden leistungsfernen Sozialismus hierbei nun die Spreu vom Weizen.

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