Gestern vor dem Einschlafen eine Fernsehsendung über Hannah Arendt (auf YouTube hier). Ich kenne kaum Texte von Hannah Arendt, aber sie steht schon lange auf meiner inneren Leseliste und ist dort durch die Sendung gestern weiter nach oben gerückt. Einige Sätze bleiben mir im Gedächtnis, auch weil sie Gedanken berühren, die mir seit der Wahl von Trump und dem Beinahe-Sieg von Hofer hier in Österreich durch den Kopf gehen.
Eine Bemerkung in einem Interview, nachdem vorher ein Text von Heidegger zitiert wurde (Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz): Hannah Arendt sagte, dass sie sich um 1933 in einen Kreis von Intellektuellen bewegt habe, denen viel zu Hitler eingefallen sei (ein Karl Kraus-Zitat). In solchen Situationen erweise sich intellektuelle Argumentation als grotesk. Diese Kritik an der Selbstgenügsamkeit der Gebildeten bildet ein Grundmotiv Hannah Arendts. Nachdem sie erlebt hätte, wie intellektuelle Zirkel auf Hitler reagierten, habe sie nie wieder zu dieser Gruppe gehören wollen. Die reine Reflexion kann keine Praxis begründen und sie macht das Handeln nicht besser oder vernünftiger. Ein Paradox oder eine Aporie: Die Kritik an den Hitler-freundlichen Intellektuellen um 1933 ist bei Hannah Arendt wohl auch auch von Heideggers Kritik am vorstellenden Denken beeinflusst. Bei ihr ergibt sich aus der Einsicht in das Ungenügen der Theorie ein Sprung zum Aktivismus. Der Titel Die Banalität des Bösen zielt auf einen ähnlichen Zusammenhang. Das Böse ist nicht etwas, das man durch mehr Theorie besser erkennt. Die Theorie kann sogar dazu führen, es zu verkennen, statt darauf vorzubereiten, sich praktisch richtiger zu verhalten.
Bei ihrer Analyse totalitärer Systeme spricht Hannah Arendt von den überflüssigen Menschen, die ohne moralische Probleme auch beseitigt werden können. Haben wir es nicht auch mit überflüssigen Menschen zu tun, wenn große Mengen von Menschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, weil sie sich sich nicht auf dem Markt behaupten können oder wenn sie als Migranten weder einen Platz in den Ländern haben, die sie verlassen noch und in Ländern, in die sie sich bewegen? Die Existenz von Menschen hängt davon ab, wie sie in einer auf Leistung und Mobilisierung ausgerichteten Wirtschaft funktionieren. Was Hannah Arendt an den Funktionären des Nationalsozialismus herausgearbeitet hat, die Effektivität als oberster persönlicher Wertmaßstab, hat die totalitären Systeme der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überlebt. Ich vermute, dass es für sie zum Kern dieser Systeme gehört.
Eine weitere Bemerkung über die Nazi-Funktionäre, die Hannah Ahrendt oft wiederholt: Sie seien unfähig gewesen zu begreifen, was sie anrichteten, weil sie nicht mit ihren Opfern fühlen konnten. Auch hier sind für Hannah Arendt Denken und Erkennen zweitrangig gegenüber einer Praxis, einer Haltung. Heute und jetzt ist es schwer, bei solchen Sätzen nicht an die unsägliche Äußerung des österreichischen Außenministers Kurz zum so genannten NGO-Wahnsinn zu denken. Die Ausgrenzung von Überfüssigen wird zur Aufgabe der Verwaltung, die nicht von Empathie behindert werden darf.
Hannah Arendts Analysen lassen sich nicht unmittelbar in die Gegenwart übersetzen – das zeigt diese Fernsehdokumentation sogar da, wo sie es versucht. Aber ihre Begründung des Aktivismus und der Nachrangigkeit der Theorie bleiben.

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