Ich lese gerade Garfinkels langen Text Passing and the managed achievement of sex status in an „intersexed“ person in den Studies in Ethnomethodology. In diesem Text geht es darum, wie eine Frau vor und nach einer Geschlechtsumwandlung die weibliche Rolle abonniert. Das Ziel Garfinkels ist es herauszubekommen, wie eine solche Rolle als moralische Entität oder moralisches Objekt verstanden wird. Agnes, so nennt Garfinkel die Person, die er beschreibt, managt das passing, den Übergang zu einem medizinisch gesehen neuen Geschlecht, indem sie sich darauf beruft, dass sie von Natur aus immer schon eine Frau gewesen ist.

Mich interessiert diese Rechtfertigung bzw. dieses Verständlichmachen. In Garfinkels Theorie spielen die Begriffe account und reflexivity eine wichtige Rolle. Zu jeder Art von menschlichem Handeln gehört Rationalität nicht im theoretischen Sinn sondern im Sinne des Verständlichmachens, Erklärens oder Rechtfertigens der eigenen Handlungen für andere und für sich selbst. Soziale Ordnungen oder Strukturen entstehen, weil—oder setzen voraus, dass—mehrere Akteure ihr Handeln füreinander so rechtfertigen bzw. verständlich machen können, dass sie sich wechselseitig aufeinander beziehen können. Dabei handelt es sich nicht um ein Verständlichmachen gegenüber einem theoretischen Zweifel sondern um eine permanente Berufung auf Selbstverständliches, das als solches schwer zu thematisieren ist und außer von Soziologen oder Phänomenologen auch kaum thematisiert wird.

Im Grunde geht es dabei immer darum, was die soziale Wirklichkeit ist, was von den Teilnehmern in einer sozialen Struktur als unbezweifelbar und gewiss angesehen wird. Es gibt z.B. durchaus sozial sanktionierte Möglichkeiten das Geschlecht zu wechseln, z.B. im Karneval oder im Theater. In solchen Fällen kehrt man aber danach immer wieder zu seinem wirklichen Geschlecht zurück, an dem niemand zweifelt. (Mit diesen unverrückbaren praktischen Gewissheiten beschäftigt sich Garfinkel vor allem.)

Ein ganz anderes Beispiel: Gestern habe ich mit Kollegen über Lehrveranstaltungen diskutiert. Dabei haben wir uns alle drei auf die Aufgaben eines Bachelor-Studiums bezogen. Wir haben unsere Position bei relativ konkreten Fragen gerechtfertigt, indem wir uns auf sehr abstrakte Grundsätze und Programmen bezogen haben. Handlungen oder Äußerungen, die man nicht in einer solchen oder ähnlichen Form rechtfertigen kann, würden offenbar als unsozial, unverständlich, irrational oder ähnlich eingeschätzt. Die selbstverständliche Realität besteht in diesem Fall nicht in den Grundsätzen, auf die wir uns berufen haben, sondern darin, dass wir uns auf Grundsätze berufen.

In Bezug auf das Web stellt sich die Frage, ob es dort spezifische Selbstverständlichkeiten gibt und in welchen Verhältnis sie zu anderen sozialen Selbstverständlichkeiten stehen. Ein Beispiel, dass mich an den Geschlechtswandel im Karneval erinnert, nach dem man zu seinem natürlichen Geschlecht zurückkehrt: Der Realitätscharakter digitaler Informationen ist für viele Menschen offenbar unklar; Realität haben für sie nur Informationen, die ausgedruckt sind. Vielfach unterliegen digitale Informationen generell dem Zweifel an ihrer Wirklichkeit (so wie es mindestens früher auch mit geschriebenen Informationen war; die platonische Schriftkritik geht wohl von der grundsätzlichen Unzuverlässigkeit schriftlicher Informationen aus).

Für ethnomethodologische Untersuchungen zum Web kann das heissen: Auf einer Ebene lässt sich untersuchen, wie Akteure im Web ihr Handeln rechtfertigen und verständlich machen. Dafür gibt es Beispiele vom Literate Programming bis zur Selbstdarstellung bei Twitter. Auf dieser Ebene geht es um die accounts im Sinner Garfinkels, die nicht etwas Sekundäres sind, sondern zu jedem sozialen Handeln gehören. Auf einer zweiten Ebene lässt sich fragen, welche sozialen Objekte die Teilnehmer an der Webkommunikation konstruieren, oder: an welche Objekte sie glauben, welche Objekte für sie eine soziale und moralische Autorität, einen Sollenscharakter haben, und welche Eigenschaften diese Objekte haben.

Das sind sehr provisorische Überlegungen; ich bin mir nicht sicher, ob ich mit meinem Verständnis Garfinkels überhaupt richtig liege. Ich habe aber den Eindruck dass das Rechtfertigen und Transparentmachen des eigenen Agierens im Web ein Schlüsselthema sein könnte, wenn man herausfinden will, was die sozialen Eigenschaften des Webs sind.

In einer Frankfurter Rundschau, die ich vorgestern auf dem Flug von Frankfurt nach Graz gelesen habe, bin ich auf einen Artikel über adaptives Denken gestoßen; Gerd Gigerenzer beschreibt darin, weshalb intuitive Entscheidungen in den meisten komplexen Situationen erfolgreicher sind als Entscheidungen, die auf einem möglichst umfassenden Tatsachenwissen basieren. Beispiel: Ein Baseballspieler fängt einen fliegenden Ball nicht, indem er dessen Flugbahn berechnet. Er verwendet stattdessen eine ganz einfache Methode:

1. Fixiere den Ball mit deinen Augen. 2. Beginne zu laufen. 3. Passe Deine Laufgeschwindigkeit so an, dass der Blickwinkel konstant bleibt. Der Spieler kann alle Informationen ignorieren, die man benötigt, um die Flugbahn des Balls zu berechnen. Er löst dieses Problem nicht durch etwas Komplexes, sondern durch etwas ganz Einfaches. Er beachtet nur eine einzige Größe, den Blickwinkel, den er konstant zu halten versucht.

Wie könnte ein solcher Anpassungsmethode für die Gegenstände aussehen, die ich vermittele? Kann ich mich auf ein Objekt konzentrieren und mich—wie der Baseballspieler—so bewegen, dass ich es immer im Auge behalte und dadurch etwas erreiche, nämlich ein langfristig nutzbares Wissen zu vermitteln?

Ich überlege, ob ich diesen Punkt nicht am besten mit dem Ausdruck Hypertext bezeichnen kann (ich benutze Hypertext und Hypermedium synonym). Hypertext unterscheidet das Web von anderen Medien und er unterscheidet es von den anderen Teilen des Internet. Die gesamte Architektur des Web dient dazu, Hypermedialität zu ermöglichen. Hypertext ist die Ursache dafür, dass man digitale Oberflächen, bis heute Bildschirme, verwenden muss, um im Web zu kommunizieren. Dabei ist das Web letztlich ein Hypertext, genauer: ein hypermediales System. Von jedem Punkt aus kann zu jedem anderen verlinkt werden. Auch was man Web auf Knopfdruck nennt, ist nicht etwas, das als zusätzliches Element zum Hypertext hinzukommt; Hypertext besteht gerade darin, dass ich in Echtzeit von einem Element zu einem mit ihm verknüpften gelangen kann. Das Web ist ein Real-Time-Medium, in dem alle Inhalte gleichzeitig erreichbar sind und beliebig miteinander verbunden werden können.

Für meinen Unterricht bedeutet das:

  1. Es gibt eine Ebene der technischen Basis, auf der es darum geht, was Hypertext ist, wie er technisch realisiert wird, mit welchen Mitteln man ihn produziert und wie man ihn publiziert. Zu dieser Ebene gehört auch, wie Hypertext und Medien zusammenspielen, wie man Hypertext durchsucht und wie er dargestellt wird.

  2. Es gibt hypertextuelle Formate oder Genres, die z.T. erst entwickelt werden und sich ständig verändern. Beispiele sind Blogs, Microblogs, Wikis oder Profile. (Dabei ist eine offene Frage, ob ein konkreter Text nicht meist zu mehreren dieser Genres gehört.) Diese Genres realisieren Eigenschaften des Hypertexts in kommunikativen Situationen oder für kommunikative Zwecke. Sie gehören nicht zur Ebene der Anwendungen (siehe unten), aber sie werden auf dieser Ebene in bestimmter Weise interpretiert und geformt. Dies ist die Ebene der sozialen Medien, der Kommunikation im Web.

  3. Es gibt Anwendungen für Hypertext—für meinen Unterricht relevant sind dabei Journalismus und Public Relations. (Politische Kommunikation, Wissenschaft, Wissenmanagement oder Lehre und Unterricht sind weitere Anwendungen). Diese Anwendungen stellen Kontexte für Hypertext dar, und sie werden durch die Möglichkeit hypermedialer Kommunikation verändert. Die Kommunikationsformate der zweiten Ebene werden auf dieser Ebene einerseits eingeschränkt und andererseits erweitert.

  4. Auf einer vierten Ebene lässt sich das, was auf den ersten drei—der technischen, der kommunikativen und der institutionellen—stattfindet, wissenschaftlich untersuchen: das wäre die Ebene der Webwissenschaft.

Für meine Unterricht an unserem Studiengang ist die zweite Ebene wohl die wichtigste. Zukünftige Medienpraktiker müssen die Kommunikationsformen im Web und ihre Dynamik verstehen. Dabei ist aber die Hypertextualität das verbindende Element: Es kommt darauf an, die spezifischen hypertextuellen Möglichkeiten dieser Formate zu begreifen, insbesondere die Verknüpfungsmöglichkeiten, durch die sie auf der Anwendungs- oder Institutionsebene relevant werden. Um diesen Unterricht auf einem Hochschulniveau, also wissenschaftlich fundiert geben zu können, ist dabei eine Rückbindung an die vierte Ebene wichtig—die allerdings gerade erst entsteht. Hier ist für mich—sozusagen als passende Analyse-Ebene für die hypertextuellen Formate oder Genres—eine mikrosoziologische Untersuchung von Webkommunikation am interessantesten, wie sie bisher nur rudimentär existiert.

Gestern habe ich in einem Aufsatz Jörg R. Bergmanns (als PDF hier) gelesen:

Wenn nun z.B. ein Sprecher die Worte eines anderen zitiert, tritt der, der diese Worte aktiviert, neben den, von dem diese Worte stammen. Diese Aufspaltung des Sprechers im Zitat aber hat weitreichende Konsequenzen, etwa die, daß die Person, die spricht, die Verantwortung für die Äußerung, die sie wiedergibt, an denjenigen delegieren kann, dessen Worte sie zitiert und dem diese Worte gewissermaßen ‚gehören‘.

In der gleichen Weise, in der GOFFMAN das Konzept des ‚Sprechers‘ dekonstruiert, zieht er auch verschiedene Beteiligungsrollen, die im Konzept des ‚Hörers‘ enthalten sind, typologisch auseinander. So unterscheidet er u.a. ratifizierte von nicht ratifizierten Zuhörern, und im Hinblick auf die erste Gruppe nochmals zwischen angesprochenen und nicht angeprochenen Rezipienten bzw. zwischen zufälligen Mithörern und absichtlichen Lauschern bei der zweiten Gruppe. Alle diese möglichen Zuhörertypen faßt GOFFMAN dann zu dem zusammen, was er als „participation framework“ bezeichnet.

Was tue ich eigentlich, wenn ich bei Twitter etwas retweete, also einen Tweet eines anderen von meiner Adresse aus weiterschicke und den anderen dabei nenne? Auch dabei zitiere ich, allerdings in einer anderen Form: Der Zitierte ist verlinkt und wird darüber benachrichtigt, dass ich ihn zitiere. Der zitierte Tweet geht an meine Follower, das sind (grob) die ratifizierten Zuhörer, und er ist für andere Webuser zugänglich, die nicht ratifizierten Zuhörer (die ich nicht ausgeschlossen habe, was bei Twitter möglich wäre).

Ich bin in einer „Gesprächssituation“ die dem mündlichen Zitieren sehr ähnlich ist und andererseits davon auch sehr verschieden (dasselbe gilt für schriftliche Zitate): Vergleichbar mit dem mündlichen Zitat, aber nicht völlig, ist der zeitliche Charakter der Kommunikation: Ich erreiche meine Follower zu einem Zeitpunkt x, wobei aber mein Tweet archiviert ist und ihn die meisten in einer bestimmten Zeitspanne wahrnehmen, nachdem er abgesendet ist—ausgedehnt dadurch, dass er auch bei FriendFeed (wo es ebenfalls ratifizierte und nicht ratifizierte Leser gibt) und möglicherweise auch auf Facebook (wo nicht ratifizierte Adressaten ausgeschlossen sind) zu lesen ist.

Wenn ich retweete, kommuniziere ich bewusst: Ich will meine Follower über etwas informieren, das ich für interessant, witzig oder wichtig halte. Das erwarten sie vermutlich auch von mir, und deshalb haben sie meine Tweets abonniert. Was das Retweeten angeht, erwarten sie von mir eine Auswahl: Sie würden mir nicht mehr folgen, wenn ich eine großen Zahl der Tweets, die ich erhalte, einfach weiterschicken würde.

Für meine Follower habe ich eine bestimmte Rolle, zu der eine bestimmte Frequenz von Botschaften und ein bestimmter Charakter dieser Botschaften gehört. Was ich retweete, muss in diese Frequenz und zu diesem Charakter passen, es muss zu meiner Rolle passen. Wenn ich etwas retweete, erweitere ich andererseits meine Rolle, und zwar um so etwas wie einen Teil der (individuellen) Rolle der Person, deren Tweets ich weiterschicke. Sie ist für mich eine Ergänzung und ich eigne mir zum Beispiel etwas von ihrer Autorität an.

Anders als beim mündlichen Zitat gibt es ein @-Link zu der Person, die ich zitiere, sie erfährt davon (sie erhält meinen Tweet als eine Antwort auf ihre Tweets) und meine Follower können sich zu ihr durchklicken. Sie könnte mich „bannen“, wenn ihr nicht passt, dass ich sie zitiere. Sie kann mir aber auch folgen, wenn sie erst durch mein Retweeten davon erfährt, dass ich ihr folge. Wie stehen also in einer ziemlich spezifischen Beziehung zueinander, die durch die Institution Twitter möglich wird oder zu ihr gehört, und die wiederum auf der Institution Web (ohne die es diese Links nicht gäbe) basiert. Diese Art der Beziehung gibt es im Web (außer bei Microblogging-Diensten) so sonst nicht, und es gibt sie erst recht nicht außerhalb des Webs.

Meine Beziehungen zu den Leuten, denen ich followe (deren ratifizierter Zuhörer ich bin und die von mir gelegentlich retweetet werden) gehören zu meiner Rolle als Twitterer. Das wird bei Twitter dadurch unterstrichen, dass für jeden auf meiner Twitterpage sichtbar ist, wem ich folge. Ähnliches gilt für die Twitterer, die mir folgen.

Diese Twitter-spezifischen Erwartungen stehen wieder in komplizierten Beziehungen, zu anderen Rollen, die ich im Web (z.B. als Blogger, als Autor anderer Texte, als Mitglied in bestimmten sozialen Netzwerken) und außerhalb des Webs (z.B. als Lehrer) habe. Als jemand, der twittert, bin ich ein Autor in einer bestimmten medialen Öffentlichkeit, und ich kann auch im Web nur als solcher wahrgenommen werden—von Menschen, die mich sonst gar nicht kennen. Ich konstruiere mich Twitter-spezifisch, und nur Leute, die dieses Medium mit seinen besonderen Erwartungshaltungen nicht verstehen, reagieren auf meine Tweets ausschließlich wie auf in einer anderen Öffentlichkeit geäußerte Sätze.

Zurück zum Retweeten, einer Twitter-typischen Form des Zitierens: Etwas verkürzt und abgehoben kann ich sagen: Das Retweeten konstituiert mich mit als Twitterer, der als Bestandteil eines Netzwerks von Leuten, denen er folgt, schreibt. Durch die Möglichkeit des Retweetens werde ich zum Autor einer sehr bestimmten Form von Hypertexten, die es ohne Microblogging nicht gäbe. Meine Autorenrolle ist von anderen Twitter-typischen Rollen (Follower, Followee) nicht ablösbar.

Das sind Anfangsüberlegungen zu einer Beschreibung von Web-spezifischen Rollen- und Erwartungssystemen. (Wobei ich voraussetzungsvolle Konzepte wie Rolle und Öffentlichkeit nur provisorisch verwende.) Ich hoffe, dass ich sie demnächst methodisch abgesicherter und systematischer fortsetzen kann. Naheliegend ist es, als nächstes die „individuellen“ Rollen oder Charakterisierungen einzelner Autoren und die zum System Twitter gehörenden Rollen voneinander zu unterscheiden. Leider kenne ich Goffman bisher fast gar nicht: Allein der Ausdruck participation framework ist für jemand, der sich mit sozialen Medien beschäftigt, faszinierend.

Wie viele Webnutzer fürchte ich, nicht satt zu werden. Ich verfolge weit mehr Quellen — meist Newsfeeds und Life-Streams —, als ich verdauen kann. Trotzdem erinnere ich mich selten an einen neuen Geschmack, dafür aber an viel Fades: Blogger, Journalisten und Akademiker kochen fast immer nach denselben Rezepten und geben sich zufrieden, wenn die Gäste nicht rebellieren. Der organische Intellektuelle ernährt sich von Fastfood und Hausmannskost.

Martin Lindner hat mir gestern eine Küche gezeigt, in der eine neue und exakte Verarbeitung Eigenschaften gewöhnlicher Zutaten betont, die bisher niemand herausschmeckte. Venkatesh Rao analysiert in einem langen Post die Rhetorik des Hyperlinks, das er als Wasserstoffmolekül der Information bezeichnet. Rao fragt, welche Rolle Links bei der Konstruktion der Bedeutung eines Texts haben. Ich will seinen komplexen und anspielungsreichen Beitrag hier nicht referieren oder zusammenfassen, dazu muss ich noch mehr über ihn nachdenken. Wer sich dafür interessiert, was Hypertext ist, sollte ihn lesen. (Ich werden ihn beim Unterrichten des Schreibens für das Web sicher als einen Basistext benutzen.) Ich will hier nur drei Gedanken oder Themen hervorheben:

  1. Rao unterscheidet scharf zwischen Hyperlinks und herkömmlichen Verweisen in gedruckten Texten. Mit einem Link kann man auf eine Quelle verweisen, also zitieren, man kann aber auch auf ganz andere Informationen zeigen. Links vermischen Stimme, Figur und Grund, sie öffnen die Texte, geben dem Leser die Möglichkeit, eigene Wege in oder zwischen verschiedenen Texten einzuschlagen und heben letztlich die Einheit des Textes auf, lassen alle Texte zu einem werden.

  2. Rao begründet, warum Links zu einer eigenen Rhetorik von Hypertexten führen. Sie bilden nicht nur eine Zusatzschicht neben oder über anderen Textebenen. Dass sich eine verlinkter Text anders auf seinen Kontext bezieht als ein nicht verlinkter Text, drückt sich auch auf der sprachlich-stilistischen Ebene aus. Der Satz Amitabh stared grimly from a tattered old Sholay poster, ist z.B. für einen nicht-indischen Leser nur mit Zusatzinformationen zu entschlüsseln, die gedruckt anders (durch Kommentierungen und Erläuterungen) gegeben werden müssen als es im Web möglich ist, wo man schreiben kann: Amitabh stared down grimly from a ratty old Sholay poster. (Ich sage das hier sehr trocken; Rao führt es mit Beispielen, farbig und spannend aus.)

  3. Rao zeigt — quasi nebenbei — dass der Leser, wenn er einen Text im Web versteht, sich bei der Konstruktion der Bedeutung anders auf den damit verlinkten Autor bezieht als bei gedruckten Texten. Online-Profile des Autors beeinflussen z.B., wie dessen Blogposts interpretiert werden — und umgekehrt.

Eine wichtige Konsequenz dieser Überlegungen: Das Web ist nicht ein Metamedium, also eine Plattform für Text, Bild, Ton und andere Medien, sondern ein eigenes Medium, dessen Grammatik aud den verschiedenen Typen von Links besteht, die in ihm möglich sind.

Für die Analyse könnte der Ansatz Raos bedeuten, dass man für das Web charakteristische Phänomene als als spezifische Formen von Verlinkung oder zumindest als daran gekoppelt beschreiben kann (Web-Wissenschaft als Link-Wissenschaft). Online-Reputation ließe sich dann als Bedeutungkonstrukt erfassen, das von der Verlinkung von Online-Profilen, persönlichen Äußerungen z.B. in Blogs und einem transparenten sozialen Netzwerk abhängt. Auch für die Formate des Online-Journalismus sind Linktypen charakteristisch, durch die z.B. Blogposts, Wikis, Bookmarks und Foren aufeinander bzw. auf einen Topic bezogen werden. Die verschiedenen Formate von Microcontent (Blogs, Wikis, Microblogs) sind unterschiedliche Formen der Entwicklung von Text um Links herum.

Praktisch heisst das: Man führt in die Kommunikation im Web ein, indem man den Umgang mit Links lehrt. Das hört sich sehr bescheiden an — aber nur so lange, wie man Links als technische Phänomene und nicht als soziale Beziehungen begreift.

Seit ein paar Tagen finde ich mich in Feedly hinein. Feedly ist ein Firefox-Addon, das die Inhalte des Google Readers in einer für meinen Geschmack sehr viel angenehmeren, magazinigen Oberfläche präsentiert. Bei mir sieht das gerade so aus:

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Man kann die Feedly-Oberfläche individuell anpassen; sie unterscheidet sich von der üblichen Oberfläche des Google Readers vor allem durch eine intuitive visuelle Hierarchie zwischen Meldungen und dadurch, dass Feedly viele Nachrichten in der Normalansicht überhaupt nicht anzeigt, also herausfiltert. Außerdem werden einige Fotos und Videos präsentiert, die man im Google Reader nur nach dem Klick auf eine der Meldungen sieht. Die Oberfläche erinnert an eine Zeitung; bestimmte Inhalte werden „gefeaturet“, während der Google Reader optisch nicht zwischen Inhalten unterschiedlicher Wichtigkeit unterscheidet.

Nicht Redakteure, sondern Algorithmen entscheiden bei Feedly, ob und wie wichtig eine Nachricht ist. Feedly kann außer der Aktualität auswerten, ob ein Newsfeed zu den Favoriten eines Users gehört, und ob ihn andere Benutzer der Google Readers empfohlen (geshared) haben. Wenn man Feedly installiert hat, zeigt eine Mini-Toolbox auch bei anderen Seiten an, ob die Seite bereits empfohlen wurde bzw. wie oft sie bei FriendFeed erwähnt wurde. Außerdem kann man die Seite über die Toolbox selbst sharen bzw. für späteres Lesen markieren:

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Wie dieses Empfehlungssystem genau funktioniert, durchschaue ich noch nicht. Auch mit den anderen Funktionen muss ich mich noch vertraut machen. Sehr gut gefällt mir, wie die kompletten Texte von Artikeln angezeigt werden, auf die man klickt. Außerdem kann man mit Feedly direkt in der jeweiligen Originalquelle, also z.B. einem Blog, kommentieren. Interessant ist auch die Integration mit Ubiquity, durch die man Feedly-Funktionen via Text-Kommando auf jeder im Firefox dargestellten Seite verwenden kann.

Das Experimentieren mit Feedly macht mir klar, dass ich mich in der Lehre mit dem Theman Nachrichten-Interfaces im Web bisher viel zu wenig bzw. gar nicht beschäftigt habe. Dabei interessiert mich selbst vor allem der soziale Aspekt dieser Interfaces, deren visuelle Eigenschaften soziale Wertungen übersetzen, bei Feedly z.B. direkt die Bewertung einer Information durch das Netzwerk eines Benutzers. Feedly erleichtert die people centered navigation innerhalb der persönlichen Nachrichtenquellen.

Mehr Informationen zu Feedly — möglicherweise Anlass für weitere Posts:

Max Kossatz und Mathew Ingram waren schon von der ersten Beta vor einem Jahr begeistert; Max geht auch kurz auf das Geschäftsmodell von Feedly ein.

Gutes Tutorial bei Geek Girl. ReadWriteWeb zu Feedlys Version der River-of-News-Darstellung, die Robert Basic bei der ersten Version vermisst hatte. Das Feedly-Blog über das Exposé-Feature, das better filtering, more density and better integration with the real-time web ermöglicht.

Dieses Tutorial behandelt die Implementierung von Feedly-Kommandos mit der Mozilla-Erweiterung Ubiquity — die ich für einen von vielen Gründen halte, am Firefox als wichtigstem information broker festzuhalten.

Am 10. Juni habe ich Martin Langeder einige Fragen zu Lost and Found beantwortet. Martin Langeder stellt mein Blog heute im Österreichischen Journalist vor. Hier meine Antworten; Martin Langeder hat mir erlaubt, sie zeitgleich zum Artikel online zu publizieren.

1) Warum bloggen Sie? Und seit wann?

Ich versuche, Dinge festzuhalten, Gedanken zu klären, die mir wichtig
sind, und für andere erkennbar zu werden. Ich habe kein bestimmtes
Ziel. Mir gefällt diese Schreibform.

Ich weiß nicht genau, wann ich angefangen habe. Ich hatte ziemlich
früh einen Account bei Pyra Labs, und etwa ab 2002 habe ich mit Chris Langreiters vanilla gebloggt. Damals habe ich das Blog aber eher als Werkzeug benutzt, um Links zu sammeln. Intensiver blogge ich seit
2005.

2) Wie lautet die Selbstcharakterisierung Ihres Blogs?

Sie ist für mich ein dauerndes Problem, und ich ändere sie
gelegentlich. Im Augenblick lautet die Tagline: Notizen aus Graz über
Soziale Medien und Journalismus im Web
.

3) Wie viel Zeit verwenden Sie täglich für das Schreiben der Beiträge,
das Lesen der Kommentare etc.? Ist es Teil des Jobs oder reines
Privatvergnügen?

Zwischen 0 und zwei Stunden, je nachdem, wieviel Zeit ich dafür habe
(in den letzten Monaten leider kaum). Das Bloggen ist für mich Teil
des Jobs und Privatvergnügen. In den vergangenen Monaten habe ich
versucht, in meinem Büro in der Fachhochschule zu bloggen – es ist mir
nicht gelungen. In einem Büro ist wohl für das Schreibvergnügen zu
wenig Platz.

4) Was ist Ihre Hauptinspirationsquelle?

Ich habe ein paar Vorbilder in der ersten Generation der Blogger. In
Amerika Dave Winer, Jeffrey Zeldman, Tim Bray, David Weinberger, Doc Searls; in Europa Jörg Kantel und Chris Langreiter. Inzwischen lese ich sehr viele andere Blogs. In Österreich sind Max Kossatz, Helge Fahrnberger und Luca Hammer für mich am wichtigsten, außerdem Georg Holzer, Jana Herwig und Christoph Chorherr, hier in Graz auch Christian Klepej. Es gibt auch ein paar fernere Quellen — ohne dass ich mich mit großen
Namen schmücken will. Montaigne und Erasmus von Rotterdam würde ich
gerne als Vorbilder nennen können.

5) Welches Feedback bekommen Sie auf Ihre Bloggerei – von Studenten,
Kollegen und Lesern?

Von Studenten: wenig, außer dass ich vielleicht einige zum Bloggen
gebracht habe. Ich schreibe wohl nicht unmittelbar genug. Mir ist aber
wichtig, dass die Studenten sehen können, was ich denke und wie ich
schreibe. Kollegen an der FH lesen mein Blog, können aber nur selten
etwas damit anfangen. Ein paar besonders Wohlmeinende haben mich schon
wegen frecher Bemerkungen in Blogs und auf Twitter bei unserer
Geschäftsleitung verpetzt. Am meisten Echo bekomme ich von anderen
Bloggern und Leuten aus der Social Media-Szene. Und — nicht zu
vergessen — von meinem inzwischen 87-jährigen Vater, der mein Blog
sehr genau liest.

Ich habe durch das Blog eine Reihe von sehr interessanten und sehr
netten Leuten kennengelernt. Obwohl ich wenig Leser habe, hat das Blog
meinem Ruf außerhalb der Blogosphäre genutzt.

6) Wie viele Besucher klicken im Schnitt täglich auf Ihren Blog?

Ich habe auf meinem Blog Links zu Sitemeter und einen FeedBurner-Button installiert, damit diese Zahlen transparent sind.
Auf die Website gehen zwischen 30 (wenn ich nichts schreibe) und über
100 Leuten (bei neuen Einträgen, die verlinkt werden) pro Tag; der
RSS-Feed hat ca. 300 Abonnenten.

7) Wie heißt Ihr aktueller Lieblingsblog? Warum ist er derzeit Ihr Favorit?

Mein Lieblingsblogger ist nach wie vor Dave Winer. Ich schätze seine
Schreibweise — ungekünstelt und sehr präzise — und seinen Blick auf
Medien und Technik.

8) Was können Blogger in Österreich von Bloggern z.B. in den USA noch lernen?

Vor allem: selbstbewusst Themen zu setzen. Wichtiger finde ich aber,
dass die Österreicher außerhalb der Blogspäre lernen, was man mit
Blogs machen kann.

9) Ein Blick in die Zukunft: Welche Pläne haben Sie für Ihren Blog?

Mehr und leichter schreiben. Ich möchte Lost and Found noch mehr
als meine persönliche öffentliche Plattform nutzen und dabei mit
unterschiedlichen Tonlagen experimentieren. Außerdem würde ich gerne
die älteren Inhalte besser erschließen. Eine offene Frage für mich
ist: In welchem Verhältnis zueinander stehen die verschiedenen Social
Media-Plattformen die ich nutze, außer meinem Blog z.B. auch Twitter,
Friendfeed, delicious und Facebook?

10) Was können denn österreichische Journalisten vom Bloggen lernen?

Bloggen ist eine onlinetypische Schreibweise – eine der ersten, die
sich herausgebildet haben und in der es sogar schon Traditionen gibt.
Plakativ gesagt: Journalisten können vom Bloggen lernen, wie man fürs
Web schreibt. Es gibt einen eigenen zeitlichen Rhythmus: Laufende
Aktualisierungen. Man schreibt immer verlinkt, mit Beziehung auf
andere Texte. Man steht im Dialog mit anderen Bloggern und mit den
Leuten, die kommentieren. Man ist als Person deutlicher erkennbar als
in herkömmlichen Medien und muss an seiner individiuellen „Marke“
arbeiten. Man schreibt improvisierter, mündlicher als für den Druck –
denn ein großer Teil des Redaktionsprozesses findet erst in der
Diskussion oder in anderen Posts statt.

11) Warum sollten – sowohl aus Ihrer persönlichen Sicht, als auch aus
Ihrer Sicht als Medienwissenschafter – mehr Journalisten bloggen?

Durch Blogs können Journalisten ihre Arbeit in Kontexte stellen, die zum Web passen. Sie dokumentieren wie sie arbeiten, klären über ihre
Motive auf, stellen Vermutungen, Interviewfragen und Quellenmaterial
zur Diskussion und können ihre Arbeiten laufend aktualisieren. Jeff
Jarvis hat in Replacing the article beschrieben wie Blogposts mit anderen Formen (Wiki, kommentierte
Links, Diskussionsforum) zusammen funktionieren können.

Persönlich sehe ich die Blogger noch immer als eine Community. Diese
Community wird interessanter, wenn mehr Journalisten, die etwas zu
sagen haben, an ihr teilnehmen.

12) Und eine Bitte habe ich noch: Können Sie mir bitte Ihr Alter verraten?

Ich bin 1956 geboren und gerade noch 52. Für dieses Genre also alt. Ich bin sehr früh mit Computern in Berührung gekommen und habe mich später auch für Software-Entwicklung interessiert — von dort ist der Weg zum Bloggen vielleicht kürzer als vom herkömmlichen
Journalismus.

Ich lese — und schaue mir an — Paris: Ville Invisible von Bruno Latour und Emilie Hermant. Den kompletten englischen Texts dieses crossmedialen Werks — Website und Bildband — kann man downloaden. Er führt in Latours Soziologie ein, und er ist gleichzeitig so etwas wie eine Serie von guided tours durch Paris, das sich wie jedes soziale Phänomen nur Ketten von Beobachtungen, nie einem zusammenfassenden Blick erschließt.

Ich bin noch immer am Anfang der Latour-Lektüre; einerseits finde ich seine Argumentationen überzeugend, andererseits kann ich sie noch nicht wirklich in eine Beziehung zu den Dingen bringen, mit denen ich mich sonst beschäftige. Ein Schlüssel könnte im Begriff den Information oder besser in Latours Kritik an diesem Begiff liegen. Mit einer Volltextsuche findet man in den ersten Abschnitten von Paris: Ville Invisible folgende Aussagen über Information:

The little computer mouse makes us used to seeing information as an immediate transfer without any deformation, a double-click. But there is no more double-click information than there are panoramas; trans-formations, yes, in abundance, but in-formation, never. [p. 18]

The comfort of habit makes us believe in the existence of double-click information. We begin to be attentive to their strange nature only if we turn towards objects with which we are totally unfamiliar. [p. 20]

Nothing in double-click information allows us to keep a trace of this layering of intermediaries; yet without this wandering the trace of the social is lost, for words then refer to nothing and no longer have any meaning – that is, no more movement. [p. 23]

We don’t live in „information societies“ for the excellent reason that there is neither a Society nor information. Transformations, yes, associations, yes, but transfers of data without transformation, never. [p. 23]

To measure the hiatus explaining transformations of information, we should also avoid two symmetrical mistakes: the first would be to forget the gain and to deduct only the loss; the second, that we’re about to consider, would be to forget the loss. [p. 26]

Megalomaniacs confuse the map and the territory and think they can dominate all of Paris just because they do, indeed, have all of Paris before their eyes. Paranoiacs confuse the territory and the map and think they are dominated, observed, watched, just because a blind person absent-mindedly looks at some obscure signs in a four-by-eight metre room in a secret place. Both take the cascade of transformations for information, and twice they miss that which is gained and that which is lost in the jump from trace to trace … [p. 28]

If we want to represent the social, we have to get used to replacing all the double-click information transfers by cascades of transformations. To be sure, we’ll lose the perverted thrill of the megalomaniacs and the paranoiacs, but the gain will be worth the loss.

Gegenbegriffe zu Information sind Transformation, Vermittlung, Übersetzung, intermediaries. Latours Soziologie ist eine Soziologie des Intermediären — Soziologie im Sinne Latours ist die Wissenschaft vom Intermediären.

Every time we talk of intermediaries we talk not of lies but, on the contrary, of truth, of the only one we have, provided we always follow the traces, the trajectory of figures, and never, never stop on the image.

Vielleicht kommt es darauf an, soziale Medien als intermediäre Phänomene zu verstehen, als Transformatoren und Vermittler, die immer nur zusammen mit anderen Vermittlern funktionieren, als Teile der Kaskaden (vielleicht eine zu einsinnige Metapher!), von denen Latour spricht. Sie funktionieren nicht alleine, und vielleicht können sie auch nicht Gegenstand einer Medientheorie werden, weil die Medien keinen Vorrang in der Vermittlung haben, sondern man zwischen Sozialem, Medialen und Intermediären nicht wirklich unterscheiden kann.

Konkreter: Soziale Medien sind Teile von Ketten oder Netzen, zu denen Literacy und soziale Organisation des Umgangs mit Medien ebenso gehören wie die Praktiken der Informationsaufbereitung und -aggregierung in den verschiedenen sozialen und professionellen Kontexten. Sie lassen sich höchstens als technische Phänomene isolieren, aber ihr sozialer Charakter besteht in ihrer Verschaltung mit anderen intermediären Phänomen. Sie lassen das, was sie vermitteln, nicht unverändert, und sie sind selbst auf Transformationen angewiesen, um sozial zu funktionieren. Zu diesen Transformatoren gehören so unterschiedliche Dinge wie bildgebende Verfahren, Textverabeitung, Recherchetechniken, Techniken des sozialen Lernens und ehische Kodizes.

Ich suche schon lange nach Verbindungen zwischen dem Thema, das mich vor allem interessiert — welche Folgen haben Online-Medien für das Schreiben und die Literarizität? — und theoretischen Ansätzen, die mich faszinieren, ohne das ich sie bereits durchschaue: Ethnomethodologie, Konversationsanalyse und Actor Network Theory. In der letzten Woche habe ich ein paar Spuren gefunden, die dafür sprechen, dass sich soziale Medien mithilfe dieser Ansätze tatsächlich besser verstehen lassen.
Erhellend finde ich ein Interview, das Bruno Latour schon 1997 Pit Schulz und Geert Lovink von Nettime gegeben hat. Latour besteht unter anderem darauf, dass der Begriff Information nicht dazu geeignet ist, die inhaltliche Seite von Online-Medien zu erfassen. Er mache die Transformationen oder Übersetzungen unkenntlich, deren Agenten diese Medien sind:

There is only transformation. Information as something which will be carried through space and time, without deformation, is a complete myth. People who deal with the technology will actually use the practical notion of transformation.

So wie Bilder können digitale Informationen nur auf Gegenstände bezogen werden, wenn man sie im Kontext anderer Übersetzungen versteht:

One image, isolated from the rest, freeze framed from the series of transformation has no meaning. An image of a galaxy has no reference. The transformation of the images of the galaxy has. So, it is an anti information argument. Pictures of a galaxy has no information content. Itself the image has no meaning if it cannot be related to another spectography of a galaxy. What has reference is the transformations of images. Being iconophilic means following the flow of images, without believing that they carry information.

So wenig wie andere Medien können Computer und das Netz zu einer unmittelbaren Kommunikation beitragen; man entgeht durch ihnen nicht den Vermittlungen, die für alle sozialen Beziehungen charakteristisch sind (wobei zu den sozialen Beziehungen für Latour auch die Beziehungen zwischen Menschen und Objekten gehören):

We have a tremendous hype about globalization, immediacy, unversality and speed. On the other side we see localized transformations and there seems to be not connection between the two.

The rule is: whatever medium there is, you will always find someone to make a connection with them. But this is not the same as saying that there is an instantaneous connectibility. The digital only adds a little speed to it. But that is small compared to talks, prints or writing.

Latour weist in diesem Interview auf das Buch On the Origin of Objects von William Cantwell Smith hin. Ich bin diesem Hinweis nachgegangen und zum ersten Mal darauf gestoßen, dass es — mit Beteiligung von William C. Smith und vor allem im Umkreis des Xerox PARC eine Diskussionskomplex zum Thema Ethnomethodologie und Computing gibt, mit dem ich mich intensiver beschäftigen möchte. Beteiligt sind sowohl Vertreter von Konversationsanalyse und Ethnomethodologie wie Charles Goodwin und Lucy Suchman als auch Informatiker, darunter Gregor Kiczales.

Bisher kann ich leider nur Namedropping betreiben und habe noch keine genaue Vorstellung davon, wie tatsächlich durchgeführte Analysen sozialer Medien mit dem Instrumentarium der Ethnomethodologie und ihrer Nachfolger aussehen könnten. Anregungen findet man in diesem Kontext jedenfalls schnell, z.B. Goodmans Practices of Seeing, Visual Analysis: An Ethnomethodological Approach. oder Organising User Interfaces around Reflective Accounts von Paul Dourish, Annette Adler und Brian Cantwell Smith.

Am Dienstag hatte ich in Münster ein Gespräch mit Christoph Neuberger. Ein Thema war die Durchlässigkeit zwischen Studiengängen an Fachhochschulen und Universitäten. Ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen, dass ich vielleicht darüber blogge, deshalb hier nur eine Überlegung, die sich an das Gespräch anschließt, und mit der ich noch nicht fertig bin. Deutlicher als vor dem Gespräch sehe ich die Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen bei den Kommunikationsfächern, also Kommunikationswissenschaft, Zeitungswissenschaft oder Journalistik auf der einen Seite, Journalismus, PR oder Unternehmenskommunikation auf der anderen.

Christoph Neuberger steht für eine exzellenz-orientierte akademische Forschung, eine wissenschaftliche Arbeit auf höchstem Niveau. Das Studium der Kommunikationswissenschaft in Münster hat verhältnismäßig wenig praktische Komponenten; wesentlich wichtiger ist es die Einführung in eine methodisch saubere sozialwissenschaftliche Forschung. Für ein Institut wie das in Münster wird — jenseits der Lehre — die Beteiligung an Großforschungsprojekten immer wichtiger; sie sichert die Reputation des Instituts wie der Universität insgesamt.

Das ist von der Arbeit an einem Fachhochschulstudiengang, und ich glaube: auch von den Aufgaben einer Fachhochschule, weit entfernt. Wir bilden Leute für ein konkretes Berufsfeld aus, dazu brauchen sie praktische Fähigkeiten (z.B. schreiben, publizieren im Web), kommunikative Kompetenzen (z.B. recherchieren, moderieren, komplexe Zusammenhänge erklären) und die Fähigkeit zu Reflexion und Innovation (ein weiteres Thema unseres Gesprächs), aber nur bedingt, wenn überhaupt, einen wissenschaftlichen Zugang z.B. zum Journalismus.

Um es sehr allgemein zu formulieren: Man kann nicht beides leisten, eine gute Vorbereitung auf die Wissenschaft und eine gute praktische Vorbereitung auf Kommunikationsberufe. Ich hatte schon bisher ein Unbehagen dabei, wenn von wissenschaftlichen Arbeiten gesprochen wird, mit denen bei uns das Studium abgeschlossen wird. Dieses Unbehagen wächst, weil wir da nicht in der Liga spielen, die interessant ist. Wir sollten auf einer Fachhochschule nicht halbherzig Wissenschaft nachahmen, sondern entschlossen auf die praktische und kommunikative Seite der Ausbildung setzen. Nur dort ist für uns Exzellenz erreichbar. Einen akademischen Anspruch können wir nicht mit Wissenschaftlichkeit begründen, sondern dadurch, dass wir experimentell und innovativ arbeiten und im Freiraum der Hochschule Ideen und Formate entwickeln.

Weil wir uns von den Universitäten deutlich unterscheiden, ist der Dialog mit der Forschung für uns wichtig. Aber in diesen Dialog müssen wir eigene Perspektiven einbringen; wir haben besondere Möglichkeiten, wissenschaftliche Diskurse von außen wahrzunehmen und auf sie zu antworten. Gerade in Bezug auf das Web gibt es eine Fülle von Themen für Dialoge, denn dort gibt es weder eine etablierte akademische Tradition noch fertige und erprobte Konzepte für die praktische Ausbildung. Ich hoffe, dass wir Foren für solche Dialoge finden.