Lieber Heinz

Das ist ein wertvoller und vor allem interessanter Beitrag. Er bringt wieder einmal den Begriff der Entropie in’s Bewusstsein. Er ist für mein Verständnis von Komplexität sehr zentral.
Ich denke aber, dass die Formulierungen von Georgescu-Roegen etwas überholt ist. Ich halte mich lieber an Hermann Haken und Ilya Prigogine, wenn es um Komplexitätsaufbau und Entropieerzeugung geht. Jedenfalls bin ich nicht mit allem was Du schreibst in seiner Formulierung kongruent.
Bitte verwechsle Wachstum nicht mit Weiterentwicklung. Ein offenes, lebendes System, wie z.B. ein Wirtschaftssystem, tendiert zur Weiterentwicklung durch Komplexitätsaufbau. Dabei entsteht Entropie. Diese muss exportiert werden, will das System nicht im eigenen Dreck ersticken. Das kannst Du z.B. bei Stadtentwicklungen beobachten. Ich denke, dass das Wachstum einer Stadt kein Ziel ist. Im Gegenteil, Städtewachstum bringt Probleme mit sich. Natürlich gibt es ein Amt für Standortförderung, aber erst, nachdem die wirklichen Probleme gelöst sind. Ihre Lösung liegt in der Weiterentwicklung der Stadt. Das bedeutet, bessere Strukturierung, mehr Erholungsgebiete, Verkehrsführung, Verteilung, Armut/Bettler, etc. Der Aufbau und der Unterhalt solcher Strukturen erzeugt Entropie, die abgeführt werden muss. Entropie manifestiert sich in Form von Material, Energie und Information niedriger Qualität. „Oben“ kommen hochqualitative Resourcen in’s System, unten geht der Abfall weg. Es ist genau dieser Durchfluss, der das System am Leben hält, bei einer Stadt genauso, wie bei einem Individuum. Damit Du am Leben bleibst, erzeugst Du ständig sehr viel Entropie, die aber exportiert werden muss. Aber Du willst nicht bloss am Leben bleiben, Du willst Dich weiterentwickeln. Du willst nicht mehr wachsen und Dich auch nicht mehr vermehren, aber geistig weiterentwickeln. Das geht jedoch nicht ohne Entropieproduktion.
Das ist so in der Natur und das können wir nicht kritisieren.
Dass Wachstum im Sinne von mehr Umsatz, mehr Mitarbeiter, mehr Lohn, mehr Autos, etc. nicht mehr gefragt ist, darüber brauchen wir gar nicht mehr zu diskutieren. Da sind wir uns einig. Nur sehe ich eben Digitalisierung genau so wenig als wachstumsmotiviert, wie Mobilisierung hundert Jahre vorher. Für mich ist Digitalisierung nicht der Einsatz „digitaler Techniken, um das Leben leichter, einfacher und angenehmer zu machen“, genau so wenig wie Mobilisierung der Einsatz von Transporttechniken bedeutet, die das Leben leichter machen sollen. Einverstanden, das war wohl die Triebfeder, um diese Techniken zu erfinden und entwickeln. Aber mittlerweile haben Autos, Eisenbahnen, Schiffe und Flugzeuge unser Leben nicht vornehmlich leichter gemacht, sondern völlig verändert. Die Transportmittel selbst sind dabei völlig in den Hintergrund gerückt. Es ist auch so mit der Digitalisierung. Es geht nicht um die einzelnen digitalen Instrumente und Geräte, sondern um den Aufbau von gesellschaftlichen Strukturen, die die Komplexität erhöhen und somit eine Weiterentwicklung des Gesellschaftssystems bedeuten. Ob diese Weiterentwicklung gut ist, bleibe dahingestellt. Wir können diese Beurteilung nicht innerhalb unserer ethischen Grundsätze entscheiden. Ob die Weiterentwicklung der Lebewesen zum Mensch gut ist, ist keine angemessene Frage. Es war wahrscheinlich eine evolutionäre Notwendigkeit.
Alles tendiert zu höherer Komplexität, was höhere Entropieproduktion entspricht. Das ist im Sinne der Natur „gut“. Ob das den Menschen passt oder nicht, kümmert die Natur nicht.