Vergangene Woche war ich drei Tage in Bad Reichenhall, bei L3T’s work. Viele haben mich gefragt: Wo warst du eigentlich?. Und ich muss mir auch selbst darüber klar werden, was bei dem Treffen eigentlich passiert ist. Deshalb hier ein Bericht.

Zukunft spielen

Wir haben versucht, die Zukunft von Lehr- und Lernmaterialien zu beschreiben. Dabei haben wir, unwillkürlich oder ausdrücklich, den Grundsatz beherzigt: „The future cannot be predicted, but futures can be invented“. Wir haben uns erinnert, phantasiert, gespielt, Projekte entworfen und Beziehungen geknüpft. Sandra Schön, Martin Ebner und Martin Schön haben dafür ein Format erfunden, in dem wir offen über die Zukunft nachdenken und zugleich für die Impulse der anderen offen sein konnten. (Ein paar Hinweise zu den Überlegungen hinter diesem Format habe ich in Sandras GADI-Vortrag gefunden.)

IMG_6772.jpg Die Weise, in der wir uns mit der Zukunft beschäftigt haben, hat sich von jedem Abschnitt zu jedem neuen geändert. Zu Beginn sammelten ein paar Teilnehmer Statements der anderen über ihre Erwartungen und verdichteten sie dann in einem komischen kurzen Improvisationsstück. Daraufhin haben wir uns Jahrzehnt für Jahrzehnt an die letzten 50 Jahre der Entwicklung von Lehrmaterialien zu erinnert und gemeinsam aufgeschrieben, was wir behalten haben und was wir behalten wollen.

Der Vormittag des zweiten Tags verlief etwas weniger spielerisch. Wir haben in kleinen Gruppen wahrscheinliche Entwicklungen der kommenden Jahre aus den Perspektiven der verschiedenen Stakeholder skizziert, von den Geräteherstellern über Lehrende und Lernende bis zur Bildungsbürokratie. IMG_6713.jpg Auch hier folgte auf ein Brainstorming die Priorisierung und Bewertung. Nachmittags haben wir—in anderen Gruppen—eigene Visionen formuliert, überlegt, was diese Visionen für die verschiedenen Bezugsgruppen bedeuten und schließlich in einer Timeline festgehalten, in welchen Schritten sich diese Visionen realisieren lassen und welche Hindernisse dabei zu überwinden sind. In einer Auflockerungsphase zwischen diesen beiden Blöcken haben wir uns der Zukunft eher spielerisch genähert, z.B. durch Improvisationstheater—dabei habe ich mitgemacht—oder durch Interviews mit Kindern zu ihren Erwartungen. Abends, während des ausgezeichneten Abendessens in der alten Saline Bad Reichenhalls, wurden dann auch noch Jetons auf verschiedene konkrete und mit Daten versehene Prognosen gewettet (z.B. dass es in jedem DACH-Land mindestens fünf Tablet-Klassen geben wird).

Inhalt des abschließenden Vormittags war vor allem die Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Rückblick auf die beiden vergangenen Tage mithilfe einiger noch in der Nacht geschnittener Videos. Vorher wurden in einem Open Space konkrete Projekte präsentiert, z.B. eine Editor für freie Lernmaterialien auf HTML5-Basis (Eva Poxleitner von der Fraunhofer-Gesellschaft) oder ein vorlesungsbegleitendes Feedback-, Crowdsourcing- und Benotungs-System (Peter Purgathofer von der TU Wien).

Die Ergebnisse werden noch detailliert publiziert; auf einiges gehe ich lieber in einem eigenen Post ein. Überrascht und gefreut hat mich, dass fast alle Teilnehmer die Forderung nach offenen Lernmaterialien teilen und auch für realistisch halten. Konsens bestand wohl auch darüber, dass die Lernenden Lehrmaterialien schon bald zu einem erheblichen Teil mitgestalten werden. Sehr interessant finde ich die von vielen unterstützte Aussage, dass das Design von Lehr- und Lernmaterialien in der Zukunft darüber entscheiden wird, ob sie angenommen werden oder nicht; dann werden wohl endlich die Tage von Moodle und Co. gezählt sein.

Zukunft machen

IMG_6705.jpg Wie bei einer guten Party hatten die Organisatoren Menschen eingeladen, die sich miteinander verstanden, aber einen unterschiedlichen Hintergrund haben und sich nur zum Teil kannten. Die meisten verbindet, dass sie zur Bildungsfraktion der Maker-Subkultur gehören: Sie wenden nicht Regeln und Rezepte an und sie theoretisieren nicht nur über Bildung, sondern sie basteln daran herum, probieren aus und verändern Lernen und Lehren praktisch. Mir ist zum ersten Mal klargeworden, was mit Edupunk gemeint war.

Ich habe einige sehr ungewöhnliche Leute kennengelernt, von denen sich einige in einer sehr persönlichen und sehr durchdachten Weise für das engagieren, was ich provisorisch als Geist des Web bezeichnen würde: der Bibliothekar und Open Access-Fachmann Lambert Heller, Christoph Derndorfer, Aktivist in der OLPC-Bewegung, oder Ellen Trude, die enorm viel für offene Lernmethoden in der betrieblichen Bildung getan hat. Ich hoffe, dass ich von Peter Purgathofer bald noch mehr über Design und Didaktik lernen kann, und dass ich mit Michael Huter ausführlich über Bildung und das Web diskutieren kann. IMG_6687.jpg Eva Poxleitner hat mich durch ihren kreativen und intelligenten Umgang mit Ebooks und Lerntools fasziniert, Anja Lorenz durch ihren reflektierten Zugang zum Lernen im Web. Mit Michaela Rückl, Peter Baumgartner und Conrad Lienhardt habe ich über Zukunftsprojekte gesprochen. Guido Hornig hat mich dadurch beeindruckt, wie er Spiel und Theater als Veränderungswerkzeuge benutzt. Leid tut mir, dass ich mich nicht länger mit Joachim Wedekind und Heiko Idensen unterhalten konnte—aber beide werde ich jetzt wenigstens lesen. Leider war die Zeit zu kurz um alle Teilnehmer persönlich kennenzulernen—schon deshalb hoffe ich auf ein L3T’s work II.

Zukunft haben

L3t’s Work ist ein Teil des L3T-Projekts, das sich nicht in eine der alten Kategorien wie Lehrbuch, Initiative, Organisation oder Unternehmen pressen lässt. Wir haben uns als Teilnehmer mit diesem Projekt und untereinander verlinkt oder neuverlinkt. Wir sind selbst Akteure und Material in einem hypermedialen Lernprozess, zu dem unsere Blogs, Tweets und Profile gehören. Vielleicht bietet die Akteur-Netzwerk-Theorie, mit der sich auch Peter Baumgartner beschäftigt, ein Instrumentarium, mit dem sich die narrativen Strukturen eines solchen Events beschreiben lassen. Die Ergebnisse werden im L3T-Blog publiziert oder verlinkt, dort finden sich auch Hinweise auf Blogposts von Teilnehmerinnen. Den besten Eindruck von der Atmosphäre der drei Tage vermitteln wohl die Videos (die ersten beiden habe ich hier eingebettet) und die Fotos. Ausführlich und kritisch haben Peter Baumgartner (dem ich den Ausdruck „Zukunftswerkstatt“ verdanke) und Joachim Wedekind das Event beschrieben. Die Stimmung der drei Tage hat Ellen Trude sehr gut ausgedrückt; ich kann mich ihren Sätzen zu anschließen:

L3T war von Freitag bis Sonntag ein einziges Pausengespräch. Anstrengend zwar, aber bereichernd und daher mit dem Wunsch verbunden, es möge dann doch nicht so bald enden.

[Bildquelle: L3T’s Work – Set auf Flickr]

Ein Kommentar zu “Edumaker: Die Zukunftswerkstatt "L3T's work"

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