Am Montagabend war Matthias Strolz, der Chef der Neos, zum ersten Unlimited-Event der Marketing Rockstars im Stadtmuseum. Der kleine Saal war überfüllt.

Ich fand Strolz aus verschiedenen Gründen bemerkenswert:

  • Er ist ein eindrucksvoller und geschickter Rhetoriker—gelegentlich mit Nervensägen-Faktor, den er aber strategisch einsetzt, um sich und die Neos als Marke zu positionieren.
  • Er hat ein reflektiertes, sehr interessantes Politik-Konzept: einen systemischen Ansatz, der u.a. dazu geführt hat, dass die Neos mit Aufstellungen gearbeitet haben, um sich in verschiedene Wählergruppen einfühlen zu können.
  • Er ist, obwohl nach Selbsteinschätzung kein Digital Native (ein ohnehin problematischer Begriff) ein erfolgreicher Social Media-Praktiker, bei dem Medium, Botschaft und Tonalität genau zueinander passen.

Was die Social Media-Praxis angeht, hat mich vor allem interessiert, was Strolz nicht gesagt hat und auch nicht sagen konnte: Er hat kein Rezept gehabt, und die Neos haben offensichtlich auch ohne Rezept gearbeitet. Sie hatten keine ausgefeilte Social Media-Strategie, wie sie eine Marketing-Agentur verkaufen würde. Sie haben nicht eine Theorie angewendet. Es haben ein paar erfahrene Praktiker agiert Michael Horak, Michael Schuster, Niko Alm), und alle, auch Strolz selbst, haben offensichtlich gebastelt.

Ich frage mich, ob nicht genau diese Rezeptlosigkeit das eigentlich wichtigste Social Media-Rezept ist. Social Media sind vielleicht eine situationsgebundene Praxis, die man nicht als Umsetzung eines Konzepts oder einer Theorie erfassen kann.

Zumindest ist ein Konzept oder eine Theorie, wie man bei den Neos sieht, für den Erfolg offenbar völlig irrelevant. Oder, um es noch anders zu formulieren, das Wissen, mit dem Strolz oder Michael Horak arbeiten, hat einen ganz anderen Charakter als theoretisches Wissen über ein bestimmtes Objekt. Es ist praktisches Wissen im Sinne der Praxistheorien—und dazu gehört wohl auch, dass es nicht individuelles Wissen ist, sondern von den Akteuren geteilt wird. Vielleicht lässt es sich im Sinne von Strolz systemisch erfassen oder in einem System situieren.

Das heisst aber auch, dass sich Social Media nicht als ein Wissen lehren lassen, dass sich dann irgendwann anwenden lässt. Man kann sie nur mitmachen, variieren, und dabei das geteilte Wissen eines Kollektivs, der Leute, die miteinander interagieren, erweitern. Man muss schon Social Media machen, um sie überhaupt lernen und lehren zu können. Das ist nichts anderes als bei jeder anderen kommunikativen Praxis: Die Kenntnis der Grammatik ist, wenn überhaupt, nur eine sehr ungenügende Voraussetzung, um eine Sprache zu sprechen. Wer Social Media-Konzepte oder Social-Wissen als etwas verkauft, das man einfach anwenden und dann am besten noch evaluieren kann, verhält sich wie jemand, der den Nürnberger Trichter verhökern will.

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