Heute habe ich (als Gast) eine Doppelstunde Medienethik unterrichtet. Nicht ungern, denn ich kann dabei an mein — unterbrochenes — Philosophiestudium anschließen. Ich glaube allerdings nicht, dass es so etwas wie eine eigene Medienethik gibt. Wenn man überhaupt ethische Regeln begründen kann, gelten sie überall, schon der Ausdruck Medienethik gehört für mich in eine gemeinsame Schublade mit Sexualmoral, Grundwerten und anderern Verlegenheitskomposita.
Trotzdem habe ich versucht, den Studenten so etwas wie Richtlinien oder Werte für soziale Medien vorzuschlagen. Ich bin allerdings nicht sicher, ob es sich dabei überhaupt um ethische Begriffe handelt, und vielleicht gehören sie auch nicht auf dieselbe Ebene. An drei ethischen Prinzipien kann man sich möglicherweise bei Webmedien orientieren:

  1. Transparenz
  2. Dialogbereitschaft
  3. Respekt

Keiner dieser Werte betrifft nur Online-Medien (aber woher sollten auch eigene Werte für Online-Medien stammen?) Aber alle drei gehen Online-Medien in einer besonderen Weise an.

Transparenz ist ein Wert, der bei anderen Medien und jenseits anderer Medien nur bedingt gilt, weil dort schlicht begrenzt ist, wieviel publiziert werden kann. In einer Zeitung erwarte ich keine Fussnoten; es ist auch nicht möglich, dass eine Journalistin alle Details ihrer Recherche publiziert. Online ist es dagegen möglich, die Genese einer Publikation mitzupublizieren, und auch wenn sich dafür nur wenige interessieren werden — es gibt keine Grund sie nicht zu veröffentlichen. So haben alle Leser/User wenigstens eine Gelegenheit nachzuvollziehen, wie ein bestimmtes Ergebnis zustande gekommen ist. Erst recht ist bei einem Online-Medium zu erwarten, dass alle möglichen Befangenheiten einer Autorin offen gelegt werden.

Dialogbereitschaft gehört wahrscheinlich zu jeder Form von Ethik; sie ist eine Voraussetzung ethischen Argumentierens. Soziale Medien bauen aber direkt auf ihr auf. Dialogbereitschaft bedeutet dabei, dass es immer möglich sein muss, dass Leser und Betroffene antworten. Ich muss also so arbeiten, dass ich dem anderen seine Fähigkeit zu antworten nicht nehme oder abspreche, etwa durch verletzende Polemik. Die Dialogbereitschaft kann erst aufhören, wo der Adressat nicht zum Dialog willens oder fähig ist. Soziale Medien sollten also vorsichtiger sein als herkömmliche Massenmedien, die nicht auf Antworten ihrer Nutzerinnen angelegt sind; bashing ist in ihnen mindestens schlechter Stil, auch wenn sie dadurch gegenüber der älteren Konkurrenz an Prägnanz verlieren.

Respekt ist für mich der schwierigste der drei Begriffe, aber der entscheidende. Mit Respekt meine ich Rücksicht auf die Bereitschaft oder Fähigkeit, Publikationen über sich zu ertragen. Warum ist es verwerflich, Hinrichtungsvideos zu publizieren oder anzusehen? Es wird dabei etwas veröffentlicht, das nicht öffentlich gemacht werden soll, die Publikation ist ein Teil der Entwürdigung, die das eigentliche Ziel jeder Hinrichtung ist. Es wird ein Tabu gebrochen — vielleicht geht es hier um einen Bereich jenseits oder diesseits einer rationalen ethischen Argumentation. Respektlos ist es aber auch — um ein viel alltäglicheres Beispiel zu nennen –, in Konversationen einzugreifen, um ein Produkt zu verkaufen. Die Frage des Respekts stellt sich bei Online-Medien besonders heftig, weil sie die tradionellen Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem verschieben oder sogar aufheben. Schon die Publikation eines Namens oder Bildes kann respektlos sein.

Sicher kann man Transparenz, Dialogbereitschaft und Respekt nicht voneinander trennen. Die Perspektive ist bei diesen drei Prinzipien aber unterschiedlich: Transparenz betrifft die Autorin selbst, Dialogbereitschaft ihr Verhältnis zu ihrem Publikum und Respekt die Beziehung zu Dritten, über die publiziert wird. Vielleicht forden sich die drei Werte deshalb gegenseitig.

[Letzte Version: 7.6.2007]

2 Kommentare zu “Ethische Regeln für soziale Medien?

  1. Das sind wirklich ganz großartige Gedanken, und ich komme nicht umhin meine Wertschätzung für den oben publizierten Text zu äußern. Frei nach dem Motto: Ehre wem Ehre gebührt.
    Und ich erlaube mir gleich, daran anschließend auch einige Überlegungen zum Thema Medienethik in den offenen Raum der Diskussion zu stellen:
    a)Der Begriff Medienethik:
    Ich für mich würde den Begriff Medienethik nicht kategorisch ablehnen, wenngleich er naturgemäß nur ein Hilfsbegriff sein kann. Was ist Medienethik? Was Sexualmoral? Oder Bioethik? Im Grunde geht es bei allen ethischen Untergruppierungen (so man nicht von Subdisziplinen einer abstrakten Metaebene des menschlichen Zusammenlebens sprechen möchte) ja „nur“ um die Frage nach dem richtigen – oder sagen wir: angemessenem – Verhalten. Die zieht sich aber, bedingt durch den Menschen als moralischem Lebewesen, quer durch alle Lebenslagen. Sämtliche „Spezialethiken“ fragen lediglich nach dem eigentlichem Ziel aller Ethik: dem rechten Umgang mit einem Thema, dem ethischen Verhalten in einem bestimmten Zusammenhang und unter bestimmten Gesichtspunkten, die als Ausgangspunkte, als Aufhänger einer ethischen Diskussion gedacht werden.
    b)Transparenz, Dialogbereitschaft und Respekt:
    Den genannten Werten kann man nur vorbehaltlos zustimmen. Ich würde zusätzlich noch den Begriff der „Angemessenheit“ hinzufügen, der aber – fast wie die Ethik an sich – in sämtlichen drei Grundwerten schon durchschimmert. Gerade weil Äußerungen die Menschen in einem öffentlichen Forum wie dem Internet tätigen, nicht anders als auf die größtmögliche Öffentlichkeit hin gerichtet gedacht werden können, muß auch ein angemessenes Maß an Transparenz gegenüber der(potentiellen) Leserschaft gewahrt bleiben. Die Transparenz möchte ich mit der Angemessenheit verknüpft wissen, weil – im Unterschied zu einer wissenschaftlichen Arbeit – in diversen webbasierten Kommunikationsformen letztlich meist nicht sonderlich viel recherchiert (bzw. reflektiert) wird, bevor man eine Wortmeldung zum Thema abgibt. Dies bringt mit sich, daß es dem User letztlich (Stichwort: Usability) nicht zumutbar ist, Quellenverweise für sämtliche von ihm gemachten Äußerungen nachzuweisen, zumal viele Informationen die im Web publiziert werden alleine durch Hören-Sagen zustande gekommen sind.
    Auch die Dialogbereitschaft wird wohlweislich im Sinne der Angemessenheit geführt werden. Wo zieht man zb. die Grenzen der eigenen Dialogbereitschaft? Man kann von einem radikalen Liberalen mMn nicht erwarten endlos mit einem noch radikaleren Rechten über die Vorzüge eines diktatorischen Regierungssystems zu konversieren. Irgendwo sind die Grenzen erreicht und irgendwo müssen wir auch das bewusste „Sich Entziehen“ vom Gespräch, selbst als kommunikative Äußerung werten, die ja durchaus über eine starke Aussagewertigkeit verfügt. (Der Abbruch der Kommunikation als schärftsmögliche Ablehnung eines unmenschlichen Argumentationsschemas!)
    Und auch der Respekt kann durch Beigabe der Angemessenheit weiter verfeinert werden. Ich würde zb das blose Einsteigen in eine Diskussion mit dem Ziel ein bestimmtes Produkt (oder eine Dienstleistung) zu verkaufen/feilzubieten nicht prinzipiell als grobe Respektlosigkeit werten. Ich selbst habe zb einmal in einem themenrelevanten Forum eine Kurzbeschriebung eines von mir verfassten Buches, samt Abbilung des Buch-Covers gepostet. Dies nicht alleine deshalb weil ich gerne eine weit größere Stückzahl an Exemplaren an die Leserschaft bringen wollte, sondern auch weil eine konkrete Themenrelevanz gegeben war. Mein Posting wurde aber kommentarlos von den Betreibern der Seite gelöscht. Auch nach Rückfrage blieb mir leider eine Antwort auf das Löschen meines Beitrages verwehrt. Die Crux an der Geschichte: das Posting befand sich in einem Forenthread in dem gezielt über Publikationen zum Thema gesprochen werden sollte. Hätte ich meinen dortigen Beitrag einfach unter anderem Namen veröffentlicht, wäre er vmtl. heute noch in diesem Forum zu lesen. Und hier wieder das oben bereits angesprochene Grundproblem: Auch der Respekt ist letztlich eine Münze mit zwei Seiten. Wir dürfen dem User nicht aufbürden, der Respektlosigkeit von Forenbetreibern seinerseits Respekt zollen zu müssen (auch wenn die Kräfteverhältnisse im Internet ihm leider meist nichts anderes übrig lassen).

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