Karl-Markus Gauss und Lojze Wieser

Während am Samstag in Linz die Leistungsschau der Rechtsradikalen stattfand, mit dem Wahlkampfleiter des Kandidaten Hofer als einem Hauptredner, stellten in Graz Karl-Markus Gauß und Lojze Wieser in der Buchhandlung Moser die Übersetzung von Miroslav Krležas Roman Die Fahnen vor.


Ich kenne Krleža so wenig wie den Rest der kroatischen Literatur. Und auch das Land Kroatien ist mir außer Dalmatien noch fast unbekannt. Ich lerne es zwar gerade durch Ana besser kennen als ich jemals vorher ein neues Land kennengelernt habe. Aber keines der europäischen Länder, mit denen ich mich bisher beschäftigt habe, ist mir trotz seiner Nähe so schwer begreiflich vorgekommen.
Durch die Stunde am Samstag bin ich auf auf Kroatien und seine Literatur noch neugieriger geworden. Wieser und Gauß haben wie mit einer Taschenlampe in eine Welt geleuchtet, die für jemand, der heute in Graz lebt, räumlich und zeitlich im der Nachbarschaft liegt, die wir aber fast nie betreten. Sie haben berichtet, wie sie selbst auf Krležas Roman gestoßen wurden und wie er sie dann nicht mehr losgelassen hat. Sie haben vorsichtig und indirekt über Krleža und die Versuche gesprochen, ihn zu übersetzen. Besser als durch standardisierte Superlative haben sie so deutlich gemacht, wie interessant dieser Autor ist. Nach der Stunde in der Buchhandlung Moser (und nach der Lektüre der Krleža-Biographie Reinhard Lauers, die ich mir dort gekauft habe) ahne ich, was ich bei Krleža finden kann: Versuche, die blutige, vieldeutige und unabgeschlossene Geschichte Kroatiens und des Balkans zur Sprache zu bringen, ohne die Sprachen und Ideologien der Eroberer und Herrscher zu übernehmen.
Das monumentale Projekt, das Gauß und Wieser vorstellen, wirkt unzeitgemäß. Krležas letzter Roman hat 3000 Seiten, und wahrscheinlich wird er auf Deutsch noch weniger Leser finden als die Werke von Joyce, Proust und Musil, mit denen er verglichen wird. Aber wie bei der Grundlagenforschung in der Physik ist bei solchen Werken nicht wichtig, wie oft sie gelesen werden, sondern dass sie überhaupt gelesen werden und dass andere an sie anschließen können. Die Welt, die Krleža beschreibt, mag fern wirken. Es führen aber so viele Verbindungslinien von ihr in unsere Realität wie von den Kriegen und Krisen der Zeit damals zu denen an den heutigen äußeren und inneren europäischen Grenzen.
Wieser las auch aus Gauss‘ Essay über Krleža in Tinte ist bitter vor:

Aber da dieses Kroatien, wie es Krleža mit Zuneigung und Kritik gestaltet hat, stets ein historisches Krisengebiet war, in dem die Erdbeben Europas nachbebten und kommende Zusammenbrüche sich knirschend und krachend ankündigten, ist in Krležas Gedächtnis des kroatischen Volkes auch europäische Geschichte aufgehoben.«

Gauß‘ Satz über Kroatien bleibt mir im Gedächtnis. Er trifft das Gefühl, das sich gerade ein historisches Erdbeben ankündigt – vergleichbar mit denen, die Krleža in seinem Roman beschreibt.