Im Kapitel Tutorial Problems von Ethnomethodology’s program beschreibt Harold Garfinkel eine Aufgabe, die er seinen Studenten gestellt hat:

(1) Nimm mit einem Kassettenrekorder fünfmal auf, wie ein Telefon läutet, wenn du angerufen wird.

(2) Nimm fünfmal auf, wie ein Telefon läutet, wenn eine andere Person angerufen wird.

(3) Nimm fünfmal auf, wie ein Telefon läutet, wenn du simulierst, dass du angerufen wirst.

(4) Nimm fünfmal auf, wie ein Telefon läutet, wenn du simulierst, dass eine andere Person angerufen wirst.

(5) Nimm fünfmal auf, wie ein Telefon läutet, wenn nicht eine bestimmte Person angerufen wird.

(S. 154, von mir grob vereinfacht.)

Man kann sich vorstellen, dass viele Studenten verzweifelt reagierten. Ein Telefon, das läutet, wenn ich einen Anruf erwarte, nehme ich anders wahr, als eines, das für irgendeine andere Person läutet. Die Aufzeichnung zeigt diesen Unterschied aber nicht. Garfinkel wollte seinen Studenten demonstrieren, dass die Aufzeichnung, die scheinbar objektiv registriert, was passiert, entscheidende Unterschiede, die für mich als Handelnden in einem phänomenalen Feld bestehen, nicht festhalten kann.

In der letzten Woche hat mir Monika E. König von einem Abend zum Thema „Web 2.0 und Kultur“ erzählt. Dabei hat sie offenbar Daniel Rehn getroffen, den ich im Juni in Darmstadt kennengelernt habe, und der Referent Frank Tentler arbeitet mit Christian Henner-Fehr zusammen, dem ich schon lange auf Twitter folge. Ich habe sie gebeten, darüber zu bloggen. Dabei könnte ich mir die Informationen, die mich interessieren, auch leicht selbst beschaffen. Aber ich will gar nicht nur die Informationen haben, ich will sie „gerichtet“ haben, in einer Verbindung zu mir und zu der Person, die sie mir weitergibt. Auch wenn der Informationsgehalt—das Aufzeichenbare—derselbe ist, ist der Akt des Informierens, sind die sozialen Tatsachen, die mich mit der Person, die mich informiert, und mit den Personen über die sie mich informiert, verbinden, verschieden, wenn ich die Information in einem Blogpost einer Freundin erhalte.

Der Unterschied liegt nicht nur auf der phänomenologischen Ebene, der Ebene des anderen Gegebenseins der Information. Der Unterschied liegt in den Beziehungen zwischen mir und den beteiligten Akteuren, die sich durch die Art und Weise des Informierens verändern, sodass wir ein—minimales—gemeinsames Feld, Beziehungsgeflecht oder Netzwerk haben. Der Unterschied liegt in den sozialen Anschluss- oder Aktionsmöglichkeiten, die ich habe, wenn ich informiert worden bin. Und der Unterschied liegt auch in der Handlung, die ich vollziehe, während ich informiert werde, und die gleichzeitig eine Handlung einer Person ist, die mich und andere informiert. Zu diesen Handlungen gehört, dass sie offen sind, dass ich mich immer an irgendeiner Stelle in ihrem Verlauf befinde, und dass ich diesen Verlauf auch verändern kann, indem ich z.B. auf ein Link klicke. (Ich handle anders, je nachdem, ob z.B. ein Link in einen Text integriert ist oder ob es am Ende des Textes steht.)

People Centered Navigation bedeutet also nicht nur einen anderen Zugang zu Informationen bzw. eine andere Filterung von Informationen als in der massenmedialen Kommunikation. Sie impliziert ein anderes individuelles und/oder gemeinsames Agieren, in das die Informationen eingebettet sind. Zu ihr gehören bestimmte Verlaufs- oder Handlungsformen. Und durch sie entstehen Beziehungen, an die ich später wieder anschließen kann. Deshalb sind soziale Medien nicht nur eine Alternative zu traditionellen Medien; sie finden in völlig anderen, spezifischen Aktionsräumen/phänomenalen Feldern statt.

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