Einige wenige meiner Kollegen lehnen Gmail ab. Ich muss das hässliche und unpraktische Outlook benutzen, wenn ich ihnen Mails schicke. Und sie verlangen sogar, dass ich Mails von ihnen oder an sie nicht in meinem Gmail-Account speichere. Sie befürchten, dass Google Profile von ihnen anlegt und diese Profile missbraucht.

Für mich ist Gmail — ich verwende es mit der GTDInbox — eines der wichtigsten Arbeitsinstrumente. Ich kann praktisch unbegrenzt viel speichern (die interne Mailbox bei meinem Arbeitgeber ist immer wieder überfüllt), finde die Informationen wieder und und kann sie leicht organisieren. Der Komfort ist so gross, dass ich darüber hinwegsehen kann, dass Anzeigen für Liebe ab 30 oder mit der Aufforderung Folgen Sie Ihrer Berufung….Werden Sie Schamane! eingeblendet werden. Außerdem unterrichte ich Web Publishing und muss brauchbare webbasierte Tools kennenlernen — das geht nicht, ohne sie selbst intensiv zu benutzen. Wer Gmail nicht verwendet, wird Google Wave kaum benutzen können, und wer nicht versteht, was Google Wave bedeuten könnte, sollte nicht zu angehenden Journalisten über das Web sprechen.

Handle ich unverantwortlich, wenn ich Gmail benutze? Liefere ich vertrauliche Informationen einer Datenkrake aus? Ich glaube: Nein! Ich bin mir aber nicht ganz sicher, und ich bitte um Diskussion und Kritik — nicht zuletzt übrigens Kollegen, die das hausinterne Exchange-System (von dessen Sicherheit wiederum auch nicht alle überzeugt sind) für vertrauenswürdiger halten.

Ein paar Überlegungen dazu:

  1. Viele mögen diese erste Überlegung für naiv halten: Google hat Datenschutzbestimmungen. Wer Dienste von Google benutzt, erkennt diese Bestimmungen an, und Google verpflichtet sich dazu, sie einzuhalten. Diese Bestimmungen lassen, wenn ich sie richtig verstehe, nicht zu, dass Google Profile von erwähnten Personen, z.B. Adressaten, anlegt, und sie schließen definitiv aus, dass diese Profile zu kommerziellen Zwecken weitergegeben werden. Sollte ein Missbrauch vorkommen, kann man dagegen klagen. (Mir sind solche Klagen nicht bekannt.) Warum sollte sich Google dem Risiko solcher Klagen — und dem PR-GAU, den Verstöße gegen diese Regeln bedeuten würden — aussetzen? Gibt es Gründe, die Seriosität des Unternehmens Google anzuzweifeln?

  2. Email-Daten sind prinzipiell nicht sicher; sie lassen sich an vielen Stellen scannen und werden gescannt, z.B. um Spam zu bekämpfen. Will man ausschließen, dass Emails von Dritten gelesen werden, muss man Programme wie Pretty Good Privacy zur Verschlüsselung verwenden. Die Verwendung solcher Verschlüsselungen ist zusammen mit Gmail möglich (ich habe sie noch nicht probiert). Anders gesagt: Wer vor Gmail Angst hat, sollte keine unverschlüsselten Emails versenden.

  3. Es besteht sicher ein nicht geringes Risiko, dass Google personenbezogenen Daten an Regierungsstellen und z.B. amerikanische Geheimdienste weitergibt. Googles Datenschutzbestimmungen schließen das nicht aus. Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass andere Emails von Geheimdiensten verwendet werden. Ich würde über Gmail nicht unverschlüsselt Informationen austauschen, die für Geheimdienste (und ihre Klienten, z.B. möglicherweise US-Unternehmen, die Wirtschaftsspionage betreiben) interessant sein könnten — wobei fraglich ist, ob Gmail dabei angesichts einer Vielzahl anderer Überwachungstechniken das oder auch nur ein Hauptrisiko darstellen würde. In meinem beruflichen Umfeld an einer steirischen Fachhochschule habe ich mit Geheimdienst-relevanten Informationen noch nicht zu tun geabt.

  4. Wer Gmail nicht toleriert, darf prinzipiell keine Speicherung von Daten außerhalb eines geschlossenen Systems zulassen, also z.B. auch nicht andere Webmail-Anbieter oder Amazon EC2. Das wäre weltfremd und reaktionär, es würde wohl bedeuten, auf moderne Web- und Internettechnologie überhaupt zu verzichten. Gmail im Arbeitsleben verlangt wie viele andere Technologien — vom Firmenlaptop, den man mit nach Hause nimmt, bis zum privaten Telefon, über das man dienstliche Gespräche führt — dass man es verantwortungsvoll benutzt. Davon muss eine Firma bei ihren Mitarbeitern ausgehen — und ganz sicher eine Hochschule bei ihren Lehrern.

Mein persönliches — sicher nicht ganz begründbares — Gefühl ist: Die Furcht vor Gmail ist wie andere Formen der Anti-Google-Hysterie Teil der amorphen Angst vor weiterer Modernisierung, dem Internet überhaupt und obskuren Kräften wie dem Neoliberalismus. Sie trägt zur Sicherheit der Benutzer nicht nachweisbar bei und erschwert es, über die wirklichen Risiken von Internettechnologien zu diskutieren. Ich lasse mich aber gern korrigieren.

9 Kommentare zu “Ist Gmail ein Werkzeug des Teufels?

  1. muahahahahahahaha. ich lach mich tot: manchmal tust du mir echt leid, bei all dem schwachsinn, mit dem du dich rumärgern musst. *Rofl*
    für mich zeigt die die Angst vor GMail zwei dinge: erstens naive unkenntnis (als ob gespeicherte daten irgendwo sicher wären). zweitens, die hybris anzunehmen, man würde tatsächlich etwas im postfach haben, dass auch nur annähernd für irgendwen interessant sein könnte.
    übrigens: viel gefährlicher (und in der ausführung einfacher/risikoloser) ist http://de.wikipedia.org/wiki/Social_Engineering

  2. Da sich Datenschutzrichtlinien als auch Terms of Service (TOS) häufig ändern, empfiehlt es sich den TOS-Tracker der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) zu verwenden: http://www.tosback.org/
    Auch Gmail wird davon – zumindest in der US-Version – erfasst.
    Wie sieht es mit den Datenschutzrichtlinien im Unternehmen (FH) aus, gibt es da welche?

  3. Noch ein Aspekt, wäre für mich der schwerwiegenste: Bei so gut wie allen Unternehmeninstallationen haben alle Mail-Administratoren die Möglichkeit, Mails aller Mitarbeiter zu lesen. In der Praxis ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein neugieriger Admin in den Mails seiner Kollegen stöbert, eine Größenordnung größer als die Gefahr, dass Google oder der CIA Interesse an deinen Emails hat.
    Übrigens verwende ich genau aus diesem Grund in meiner Firma (als Chef) die Gmail-für-Unternehmen-Variante „Google Apps“: Denn hier können meine Mitarbeiter sicher sein, dass ich – ohne ihr Passwort auf ein mir bekanntes zurückzusetzen – keine Möglichkeit habe, ihre Mails zu lesen.

  4. Man kann die Profildaten ja nicht nur für Geheimdienste und Regierungen nutzen (der normale FH-Emailverkehr wäre da wohl tatsächlich uninteressant), man kann die Daten auch ökonomisch nutzen. Sei es um im Universitären Raum Tendenzen, Nutzungsverhalten etc.. zu analysieren, um z.B. abzuschätzen, wieviel Wert eine Plattform wie Facebook tatsächlich ist, oder wie stark Amazon wirklich genutzt wird,etc.. das sind tatsächlich für den einzelnen erst mal irrelevante Daten, die erst, wenn von vielen erhoben Bedeutung erlangen. Das wissen die meisten ja sicher, die den Blogeintrag lesen. Manche Kollegen sehen darin nun schon eine Wettbewerbsverzerrung ähnlich wie bei Microsoft eine Ausnutzung einer marktbeherschenden Position, die Goolge zweifelsohne inne hält. Es herrscht bei manchen Kollegen eben die Meinung solche Dinge nicht aktiv zu unterstützen um einem mächtigen Unternehmen noch mehr Macht zu geben. Ich glaube nicht, dass es um die tatsächliche Datensicherheit geht, solange eben der Inhalt FH-bezogen ist. Denn dann gilt es natürlich jeglichen Emailverkehr verschlüsselt zu versenden. Es sind sicher Unsicherheiten und unvollständiges Wissen, die in Kombination einen perfekten Boden für Spekulationen bieten. Nachdem es bei uns keine klare Anweisung gibt, womit gearbeitet werden soll oder darf bzw. sollte es eine geben nicht exekutiert wird, halte ich es für legitim (aber schlecht), dass jeder sein emailsystem bzw. Kalendersystem verwendet. im Sinne der Produktivität wäre ein einheitliches System wesentlich effizienter.

  5. Ich glaube, dass viele nicht die Eigenschaften der Umgebung "Internet" verstehe: Dort hat man es mit unterschiedlichen Clients, Verwendungsmöglichkeiten usw. zu tun. Wer das nicht will, muss andere Mittel benutzen, um zu kommunizieren. Aber er sollte nicht denen, die das Internet – und dort "moderne" Anwendungen wie Gmail – benutzen, aus Unkenntnis dieses Mediums auch noch moralische Vorhaltungen machen.

  6. nach kurzer diskussion mit heinz möchte ich meine beiden letzten Sätze relativieren: Im Sinne der Produktivität hielte ich ein einheitliches System v.a. was die Terminkoordination betrifft für sinnvoll. email müßte tatsächlich nicht einheitlich verwaltet werden, wobei, wenn man an Entwicklungen wie google wave denkt, auch die trennung von emailverkehr und terminen in zukunft vielleicht gar nicht mehr so leicht darstellbar ist..

  7. Ich denke auch, dass die Gefahr, dass ein lokaler Admin oder Vorgesetzter die Mails liest oder mitliest ungleich größer ist, als jene, dass der CIA oder sonst jemand mitliest. Email ist allerings ohnehin ein sehr unsicheres Kommunikationsmittel, deswegen sollte man ich immer bewusst sein, dass gegen mitlesen nur Verschlüsseln hilft.
    Obwohl ich GMail selbt nutze, habe ich trotzdem ein ungutes Gefühl dabei. Weil wir damit Google eine immer größere Marktmacht verleihen. Ich habe auch nie angenommen, dass Microsoft oder Bill Gates böse sind, trotzdem war/ist deren Marktmacht nicht unbedingt positiv und das selbe gilt für Google. Ich sehe allerdings weit und breit keine einfachen Alternativen zu GMail, die Suchmaschine und den Google Apps.

  8. Ich denke da inzwischen immer marktwirtschaftlicher: Wenn das Produkt
    gut ist, wäre es Zeit- und Energieverschwendung es nicht zu nutzen.
    Auch die Macht von Google oder Microsoft bei Software und vielen
    Services ist begrenzt, weil es viele andere Player gibt. Für riskant
    halte ich die Vormacht auf dem Online-Werbemarkt. Da wäre es gut, wenn
    sich Konkurrenz durchsetzen würde.

  9. gößeres vertrauen der Wirtschaft in „werbeschaltungen“ von google-ads durch höhere Einnahmen aus den ads, höhere Einnahmen aus den ads durch höhere Trefferquote, höhere Trefferquote mit gezielterer Werbung, gezieltere Werbung durch mehr Wissen über den Nutzer, mehr Wissen über den Nutzer durch genauere Beobachtung desselben, usw…
    economic success follows function

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