Am Samstag bin ich erst ziemlich spät auf die Grazer Linuxtage 2012 gegangen, bei denen es sich tatsächlich um einen einzigen, dicht mit Vorträgen gefüllten Tag handelt. Eigentlich wollte ich mich nach viel Stress in den letzten Wochen ausruhen—aber es wäre mir dann doch zu fad gewesen, genau an diesem Tag einfach zu Hause zu bleiben.

Leuten, die bei einem solchen Event noch nie dabei waren, ist seine besondere Atmosphäre wahrscheinlich nur schwer zu vermitteln. Eher abstrakte, oft sehr anspruchsvolle Inhalte werden in einer entspannten, aber ruhigen und überhaupt nicht ausgelassenen Weise vermittelt. Männer, die meisten jung und mit dunklen oder auch orangen T-Shirts, beherrschen das Bild.

Linux und Freie Software sind Angelegenheiten für Leute, die nicht Vorgegebenes übernehmen, sondern selbst etwas machen wollen, und zwar konzentriert und experimentell. Ihr Kommunikationsstil drückt aus, was ihnen wichtig ist: Autonomie, Originalität, technische Sauberkeit und auch Kontrolle. Für Marketingfuzzis uns Businessmiezen ist diese Luft zu dünn.

Die Ruhe des warmen Frühsommer-Samstags und das, vorsichtig gesagt, spröde Design der FH Joanneum haben zu der konzentrierten Stimmung des Tages noch beigetragen. Ich habe mir vier Vorträge angehört:

René Schickbauer sprach über jQuery—die Javascript-Bibliothek. Mit jQuery kann man das Design von Webapplikationen sehr einfach verbessern und steuern, und zwar ohne dass man auf die Besonderheiten und Bugs der einzelnen Browser Rücksicht nehmen muss (Beispiele hier). In meinem persönlichen Weiterbildungsprogramm zu aktuellen Webtechniken steht jQuery weit oben. Ich hoffe, dass ich es auch als Beispiel benutzen kann, um Studenten klar zu machen, wozu man überhaupt JavaScript braucht. (In dem Vortrag wurde leider nicht erklärt, was das $-Zeichen in der jQuery-Syntax bedeutet. Eine für mich als Nichtfachmann gute Kurzerklärung habe ich in diesem Artikel von O. Pehnke und B. Schmid gelesen; es deklariert ein globales Objekt $ als Zugriffspunkt für die Funktionalität des Frameworks.)

Einen Vortrag von Michael Maier über OpenStreetMap habe ich neulich auf dem Grazer OpenCamp gehört. Gestern hat Michael die allgemeine Einleitung wiederholt und ist dann auf Android-Anwendungen eingegangen, die freie Kartographie zur Navigation benutzen oder es erlauben, die Daten zu ergänzen oder zu korrigieren. So kann mit einer ganz simplen App, die nicht einmal ein Menü verwendet, Hausnummern in die Karten eintragen.

OpenStreetMap ist eines der eindruckvollsten Ergebnisse der Zusammenarbeit von verteilten und online verbundenen Freiwilligen. Dabei ist es speziell auf mobiles Computing zugeschnitten. Die offene Kartographie lässt sich quasi nebenbei optimieren.

Gösta Smekal hat sich wie im Vorjahr mit dem IPv6 beschäftigt, also der kommenden Version des Internetprotokolls, die Adressen für potenziell jedes beliebige Endgerät ermöglicht: Mobile IPv6 – take the long way home. Diesmal ging um das „Durchschleifen“ von Anfragen auf mobile Geräte. Der Vortrag war wieder sehr anspruchsvoll, aber auch sehr klar. Bei mir ist hängengeblieben: Das IPv6 macht VPNs bzw. hinter Zugangspunkten verborgene Netzwerke überflüssig und ermöglicht wieder eine direkte End-to-end-Kommunikation von Knoten. Dabei ist es möglich, dass ein ursprünglich angesprochener Empfängerknoten (z.B. mein Desktoprechner) den Sender (z.B. einen Rechner, von dem aus jemand mit mir chatten will), auf einen anderen Knoten verweist (z.B. mein Mobiltelefon), und dass dann diese beiden Knoten, und zwar für determinierte Zeiträume, direkt miteinander kommunizieren. Am 6. Juni ist der World IPv6 Launch, mehrere große Provider schalten IPv6-Kommunikation für ihre Kunden frei; eine österreichische Firma wird allerdings nicht dabei sein.

Daniel Erlacher und ein Kollege haben das Projekt FreedomBox und konkret den DreamPlug vorgestellt, einen kleinen, billigen, ziemlich leistungsfähigen Rechner, der sich als Router und Homeserver verwenden lässt. Die FreedomBox ist als kontrollierbares Archiv für die persönlichen Daten gedacht, das zugleich eine sichere, also verschlüsselte und von außen nicht einsehbare Kommunikation mit dem Netz ermöglicht. Hardware und Software sind dokumentiert und bestehen nur aus freien Komponenten, es gibt also keine Backdoors, über die staatliche Stellen oder Konzerne die Nutzer beobachten können. Noch scheint der Dreamplug für Normalbenutzer zu schwierig zu installieren zu sein. Das Projekt FreedomBox zeigt aber, dass es einen logischen Schritt von der freien Software zur freien Hardware gibt. Beide sind notwendig, um die Dezentralität des Netzes zu bewahren.

Wegen des konzentrierten Inputs allein werden mir die Linuxtage nicht im Gedächtnis bleiben. (Wer sich für die Inhalte interessiert, kann sie sicher wie im vergangenen Jahr bei YouTube und durch Links zu den Präsentationen im Programm finden.) Sie sind auch eine Gelegenheit, originelle, intelligente, witzige und vor allem sehr großzügige Menschen zu treffen. Wenigstens kurz konnte ich mit Jogi Hofmüller, Daniel Erlacher, Marc, Eva Silberschneider, Stefan, Karl Voit und einigen anderen sprechen. Die hiesige Szene mit Menschen wie ihnen ist für mich ein Grund, gerne in Graz zu leben.

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