Heute arbeiten in den USA 25% weniger Journalisten als vor zehn Jahren; in vier Wochen haben gerade 4000 Angestellte von US-Zeitungen ihren Job verloren. Aus Großbritannien kommen ähnliche Schreckensmeldungen. Paul Bradshaw fragt deshalb:

Should journalism degrees still prepare students for a news industry that doesn’t want them?

Die Diskussion fand (und findet) auf seesmic statt; sie beginnt mit einem Statement Bradshaws:

In seinem Online Journalism Blog hat Bradshaw die Diskussion zusammengefasst.

Great Decoupling, Journalismus als Prozess

Es kommt eine Fülle von Statements, Erfahrungen und Ideen zusammen, äußerst anregend für jeden, der sich fragt, wie Journalismus und Journalistenausbildung aussehen können, wenn das Broadcast-Modell der Massenmedien tatsächlich zuende geht. Zwei zentrale Formulierungen:

JD Lasica spricht vom Great Decoupling: Journalismus löst sich von den Behältern, die ihn bisher ermöglicht, geschützt und gefangen gehalten haben.

Adam Tinworth unterscheidet Journalismus als Prozess und Journalismus als Produkt, ähnlich wie es neulich auch Mercedes Bunz getan hat.

Journalistische Professionalität jenseits des Berufsjournalismus

Zur Diskussion stehen nicht so sehr die Inhalte, die angehenden Journalisten vermittelt werden sollen: klassische journalistische skills wie Schreiben, Recherche, Interviewtechnik; technische Fähigkeiten, z.b. Bild- und Medienbearbeitung und Umgang mit Desktop Publishing Systemen; Social Media Kompetenz, also die Fähigkeit, gemeinsam mit dem einstigen Publikum zu recherchieren und Debatten zu führen. Änderungen gibt es eher in der Zielsetzung und im Berufsbild. Wohl die meisten Teilnehmer gehen davon aus, dass die Fähigkeiten professioneller Journalisten immer mehr außerhalb der herkömmlichen journalistischen Berufsbilder gebraucht werden, z.B. bei Webagenturen. (Journalismus-Fakultäten müssen sich also auch entsprechend vernetzen und nicht nur auf Partnerschaften mit etablierten Medienhäusern und Verlagen setzen.) Immer wieder wird auch von Entrepreneurship gesprochen: Eigene Unternehmen bieten oft bessere Aussichten als etablierte Verlagshäuser und Rundfunkanstalten.

Einstellungen sind wichtiger als Fähigkeiten

Mark Comersford unterstreicht, dass potenzielle Arbeitgeber mehr auf den mind set als auf den skill set von Bewerbern achten. Das ist zwingend: Die Technik ändert sich alle paar Jahren radikal, und Journalismus wird immer weniger isoliert von Publikum und Betroffenen betrieben; Medienprofis müssen mit diesen Veränderungsprozessen umgehen und mit wechselnden und unterschiedlichen Gruppen kommunizieren können. Auch die Hartnäckigkeit in der Recherche und der Wille, komplexe Zusammenhänge selbst zu verstehen und verständlich darzustellen, sind in erster Linie eine Sache der Einstellung, unabhängig vom Medium, in dem man arbeitet. Sie lassen sich kaum direkt lehren, sondern nur auf einer Metaebene vermitteln. Sie werden nicht über die Inhalte, sondern über den Kontext mitgeteilt, in dem die Inhalte unterrichtet werden.

Recherche via Seesmic-Panel

Eine Schlussbemerkung: Die Diskussion, die Bradshaw angestoßen hat, ist selbst ein exzellentes Beispiel für Journalismus als Prozess. Die Recherche wird mit Betroffenen und Interessierten gemeinsam durchgeführt, die journalistische Arbeit ist in allen Phasen nachvollziehbar und transparent; sie endet nicht mit einem fertigen Produkt, sondern mit offenen Fragen, die von anderen aufgegriffen werden können. Die Video-Konversation-Plattform seesmic beweist ihre Tauglichkeit im journalistischen Werkzeugkasten.