Danke für die Einrede! Ich versuche, weiterhin eine andere Position zu vertrete, um die Frage zu klären. Wäre ich da ganz meiner Meinung, hätte ich mein Posting wahrscheinlich gar nicht geschrieben.
Zwei Gruppen von Argumenten sprechen für mich dagegen, unsere Arbeit vor allem als Anwendung von Wissenschaft oder als Vermittlung von angewandter Wissenschaft zu verstehen. Die erste Gruppe betrifft den praktischen Charakter unseres Unterrichtsgebiets, die zweite seine Komplexität.
Mit „Praxis“ meine ich zielgerichtetes Handeln, nicht mehr oder weniger theorielose oder theorieferne Tätigkeit. Wie ich handle, kann ich begründen, aber mit Argumentationen, die einen eigene Form haben. In der philosophischen Tradition gibt es die so genannten praktischen Schlüsse, zu deren Prämissen auch die Intentionen des Handelnden gehören. Ich glaube nicht, dass man das Vollziehen dieser Art von Schlüssen auf eine wissenschaftliche Praxis oder die Anwendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen reduzieren kann. Als Theorie läst sich den praktischen Argumentationen, mit denen wir uns beschäftigen, vielleicht die Handlungstheorie zuordnen.
Andere Argumente dagegen, unser Unterrichtsgebiet nicht als angewandte Wissenschaft zu verstehen, ergeben sich für mich aus der Komplexität der Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Wir haben es mit gesellschaftlichen, aber auch mit ökonomischen und technischen Tatsachen zu tun. Sprache spielt eine entscheidende Rolle. Mit dem Web befasst sich eine „Web Science“, die gerade von Tim Berners-Lee und anderen aus der Taufe gehoben wird. Kenntnisse aus allen diesen Bereichen sind für unseren Unterricht wichtig, und wir sollten den Studenten vermitteln, welche Bedeutung die Soziologie, die Betriebswirtschaft oder die Linguistik haben. Aber können wir tatsächlich eine oder alle der entsprechenden Wissenschaften unterrichten? Mir ist vor allem nicht klar, wie sich die technische Komponente, mit der wir es immer wieder zu tun haben, hier „einordnen“ lässt.
Journalismus und PR lassen sich wahrscheinlich nur interdisziplinär erforschen. Aber muss eine tatsächlich wissenschaftliche Arbeit auf diesen Gebieten nicht von einer Wissenschaft ausgehen? Möglicherweise ist mein Verständnis von „Wissenschaft“ zu statisch. Leider ist meine Vorstellung von der Kommunikationswissenschaft zu ungenau um sagen zu können, ob man sie als eine Metawissenschaft verstehen kann, der sich unsere Unterrichtsgebiete tatsächlich zuordnen lassen. Wäre nicht auch die Soziologie eine Kandidatin für einen solchen Platz?
Ich sehe uns eher in der Nachfolge der Rhetorik als in der wissenschaftlichen Tradition – falls man beide unterscheiden kann. Anspruch auf ein akademisches Plätzchen können wir auch damit erheben. Wie auch immer – ich würde mich freuen, wenn sich der Dialog fortsetzt!