Es ist nicht dasselbe, etwas theoretisch zu erfassen oder es praktisch zu erfahren. In den vergangenen Tagen habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass soziale Medien für die Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule, an der ich arbeite, die Hauptrolle spielen — auch wenn es Lehrende und PR-Abteilung noch nicht wissen.

Aufnahmegespräche

Gestern und vorgestern habe ich an den Aufnahmegesprächen für unseren Studiengang teilgenommen. In diesem Jahr haben sich über 180 junge Leute für ein Studium bei uns beworben; etwa 120 wurden zum Aufnahmeverfahren eingeladen. Entscheidend dafür ist die Qualität der eingereichten Mappe mit Texten. Die eingeladenenen Bewerber nehmen dann an einem Studierfähigkeitstest teil, schreiben eine Klausur und führen ein Gespräch mit dem Studiengangsleiter, einer Psychologin und einer oder einem weiteren Lehrenden. Für jeden dieser Teile erhalten sie Punkte; aufgenommen werden dann die Bewerberinnen mit der höchsten Punktzahl.

Eine Bemerkung vorab: Die Bewerber, die wir bei aufnehmen, haben ein hohes Niveau. Wir können junge Leute aussuchen, die sehr begabt wirken und hohes Interesse für die Arbeit in einem Medienberuf zeigen. Wir haben da sicher einen Vorteil gegenüber den Universitäten; für viele unserer Bewerberinnen ist ein Universitätsstudium die zweite Option, falls sie von uns nicht genommen werden. Hoffentlich geben wir auch unseren Unterricht auf einem Niveau, das über dem Durchschnitt liegt!

Was haben die Profs zu bieten? Informationsquelle StudiVZ

Sehr interessant fand ich, wie sich die Bewerber über unseren Studiengang informiert hatten. Ich habe viele von ihnen danach gefragt. Für die meisten war – außer natürlich der Website der Fachhochschule – das StudiVZ eine der wichtigsten Informationsquellen. Wir wissen auch aus Gesprächen mit unseren Studierenden, wie viele Anfragen von Bewerbern sie erreichen, nicht nur im StudiVZ sondern auch über Email. Dabei geht es natürlich nicht nur um Formalia wie den Ablauf des Studiums. Die Bewerberinnen informieren sich auch detailliert über den Unterricht und auch über die einzelnen Lehrenden. Mit anderen Worten: Wir unterrichten in einer Öffentlichkeit, die vielen von uns sicher noch gar nicht als solche bewusst ist.

Unsere PR-Abteilung sind die Studenten

Soziale Netzwerke wie das StudiVZ sind erst in den vergangenen zwei Jahren so wichtig für die Studierenden geworden. Vor einem Jahr lief die Kommunikationen über die geplante Verlagerung unseres Studiengangs in eine Kleinstadt ebenfalls zu einem großen Teil in diesem Medium. Inzwischen dürfte es für die PR unseres Studiengangs wichtiger sein als alle offiziellen Kanäle — jedenfalls was die Kommunikation mit Schülern und potenziellen Bewerbern angeht.

Das bedeutet auch, dass die Studierenden die PR für unseren Studiengang machen, und zwar in einer Weise, die wir nicht korrigieren können, weil wir nicht einmal Einsicht in sie haben. Natürlich handelt es sich dabei nicht um etwas grundsätzlich anderes als die herkömmliche Mund-zu-Mund Propaganda, aber diese Mund-zu-Mund Propaganda findet nun in einem anderen Medium statt und kann sehr schnell eine große Zahl von Menschen erreichen, während sie früher nur unter persönlichen Bekannten funktionierte. Damit haben die Studierenden eine Macht, die wahrscheinlich den meisten Lehrenden und vermutlich auch vielen Studenten selbst noch gar nicht bewusst ist.

Unterrichts-Feedback im Blog

Zufällig bin ich dann am Nachmittag nach meinem letzten Aufnahmegespräch auf einen Blog-Eintrag gestossen, indem ein Student — Michael Thurm — über einige leider eher negative Erfahrungen in unserem Unterricht berichtet. Auch hier handelt es sich um eine Form der Öffentlichkeit, die sich von der Institution selbst nicht kontrollieren (jedenfalls nicht kommandieren) lässt, und die ein enormes Potenzial hat. Wir lernen — und lehren — nicht mehr in geschlossenen Räumen. Wir arbeiten in einer Öffentlichkeit, die bereits zu einem großen Teil im Netz stattfindet. Wir müssen unseren Unterricht und auch unseren Umgang mit den Studenten daran anpassen, wenn wir nicht den Kredit bei unseren Zielgruppen verspielen wollen.

Die Öffentlichkeit löst sich auf

Ich möchte noch einen Gedanken anschließen, der sich nicht nur auf die Kommunikation an der Hochschule bezieht (und mit dem ich den Nordpol neu entdecke). Ich denke immer noch ausgehend von einem Gegensatz zwischen öffentlicher und privater Sphäre und berücksichtige zu selten, dass es dazwischen eine Vielfalt unterschiedliche Öffentlichkeiten gibt. Interessant an den neuen Form der Öffentlichkeit im Web ist vielleicht gar nicht so sehr, welche neuen Gegenstücke zu den Massenmedien sich dort entwickeln — so wichtig dass auch ist. Interessant ist vor allem, wie sich ganz neue Formen der Kommunikation in und zwischen Ziel- oder Bezugsgruppen unterschiedlichster Art entwickeln, die sich vielfach erst über das Web als Gruppen formieren können. Letztlich dürfte diese Kommunikationen in kleineren und vielfach — wie beim StudiVZ durchaus exklusiven — Gruppen folgenreicher sein als das Ersetzen von Medien wie Zeitung und Fernsehen durch Angebote im Netz.

7 Kommentare zu “Wir lernen — und lehren — nicht mehr in geschlossenen Räumen

  1. Interessanter Punkt, den Du da mit dem letzten Absatz aufmachst. Radikal zuende gedacht würde das den Journalismus in Frage stellen. Insofern, als dass in einer Welt, in der sich Öffentlichkeiten quasi von selbst manifestieren, niemand mehr institutionen braucht, die öffentlichkeit herstellen, oder?

  2. Fundierte Kritik an (Aus-)Bildung ist normal und gut so. Ohne Kritik keine Weiterentwicklung. Ohne Kritik keine Hochschule. In den nicht einmal vier Jahren, die ich an unserem Studiengang studiere, hat sich eine Umwälzung in der Informationskultur ergeben, die außerordentlich ist. Wie du auch schreibst: Die Diskussion wird jetzt öffentlich geführt. Das hätte es, als ich mit dem Studium im Jahr 2004 begonnen habe, noch nicht gegeben. Eine rasante Entwicklung.
    Ein anderer Aspekt in diesem Zusammenhang, der mich auch interessieren würde: Wenn die potentiellen Studierenden fragen, „was die Profs zu bieten haben“, dann liegt ein Umkehrschluss nahe. Fragen auch die Lehrenden, was ihre zukünftigen Studierenden so machen? Gibt es im Rahmen des Aufnahmeprozesses ein Check der Profile in diversen Social Networks? Wenn die Antwort „Nein“ lautet (was ich hoffe): Glaubst du/ glaubt ihr, dass das kommen wird?
    PS: Disclaimer: Wie auch aus dem Kommentar hervorgegangen, studiere ich gerade im letzten Semester am Studiengang und habe in wenigen Wochen Diplomprüfung.

  3. es freut mich, dass die diskussion öffentlich geführt wird, denn so komm ich deutlich besser an „externe“ meinungen ran. nur denke ich – bzw. gehe davon aus – dass die betroffenen von dieser diskussion überhaupt nichts mitbekommen. ihre kleine fh-welt hört beim abrufen der mails internettechnisch auf. nur geht deren fh-welt gedanklich leider scheinbar auch nicht wirklich weiter. auf uns studenten wird von den meisten – einfach nicht eingegangen – wir sind ja nur studenten. wir sind ja da um zu lernen – dass einer was von uns lernen könnte?! oh mein gott, nein, wie komme ich darauf?!
    doch sind wir es letztendlich, die versuchen müssen, was zu ändern! und ich habe langsam keine lust mehr drauf, gegen wände zu reden, deren pädagogische fähigkeiten bei „guten morgen“ aufhören. es ist an der zeit, diese verkalkten strukturen aufzubrechen – vor allem ist es an der zeit diese verpolitisierten strukturen, die mich teilweise an eine vetternwirtschaft erinnern, zu vernichten. ja – verdammt, das klingt jetzt vielleicht wie aus einem kommunistischen manifest – aber es geht scheinbar nicht anders. ich gebe bestimmten leuten an dieser fh noch eine „galgenfrist“ bis ende diesen jahres. wenn sich bis dahin nichts geändert hat – und ich gehe davon aus, dass sich nichts ändern wird – bin ich bereit einen schritt weiter zu gehen! ich bin bereit mich öffentlich gegen diese studiengangsverhältnisse zu stellen. denn ehrlich gesagt verliere ich langsam immer mehr die motivation irgend etwas (inhaltliches) für diesen studiengang zu tun. und ich habe mich eigentlich nicht für diesen studiengang entschieden, um meine zeit abzusitzen, dafür bin ich inzwischen zu alt. aber dieses erste jahr, war zum großteil nichts anderes! und so kann/darf/soll es nicht weitergehen – wird es aber, wenn es bei den alten verhältnissen bleibt!

  4. @flo: ich sehe das wie du; die begriffe online-journalismus oder online-pr haben etwas von krücken. nur sagt man damit auf dieser allgemeinheits-ebene noch nicht eben viel. die schwierigkeit liegt in der praktischen wie in der theoretischen konkretisierung.
    @julian: im augenblick wird sicher nichts gescannt. mir ist während der gespräche gestern tatsächlich so etwas durch den kopf gegangen. von welchem punkt an könnte so etwas legitim werden? schwieriges thema!
    @schneeengel: ich glaube, dass sich mit offener argumentation viel verändern lässt, und ich möchte dazu ermutigen. wobei es mir hier tatsächlich um die reflexion geht, nicht so sehr um die konkreten verhältnisse bei uns, für die noch foren entwickelt werden müssen. wenn du das kommunistische manifest erwähnst, möchte ich auf gramsci verweisen. durch argumentation und kommunikation zur kulturellen hegemonie …

  5. Anregende Diskussion – auf die ich leider erst heute gestoßen bin. Tatsächlich – und nur deshalb poste ich auch noch so verspätet – werden hier die Veraussetzungen für die Diskussion schlichtweg falsch bzw. zumindest grob vereinfachend dargestellt:
    Studierende sind nicht, und zwar nie, die PR-Abteilung eines Studienganges. Nicht im Web2.0. Nicht mit oder durch den Einsatz von Social Media. Nicht in sozialen Netzen. Und (hoffentlich auch)* nicht danach. Wer das heute so einfach behauptet, der negiert sowohl die Dichotomie von Organisation und Öffentlichkeit als auch die von Individuum und Öffentlichkeit. Und er verkennt das Wesen von Public Relations – oder hat bloß eine rudimentäre, laienhafte Vorstellung davon.
    Studierende machen natürlich PR. Für die FH wie für den Studiengang, an dem sie studieren. Sie tun das als Individuen, die ihre persönliche Meinung äußern – heute lauter und wahrgenommener denn je. Für den effizienteren, schnelleren und in letzter Konsequenz auch mächtigeren Informationsaustausch sorgen ja die Social Media und sozialen Netze. Und wie nicht nur Edelmans Trust Barometer feststellt: Man vertraut (nur) seinesgleichen mit jährlich steigender Intensität. Darauf sollte man als Studiengang achten. Darauf muß man als Lehrender Rücksicht nehmen. Der beste Weg dazu ist, eine offene Diskussionskultur zuzulassen und zu pflegen. So weit, so übereinstimmend.
    All das macht Studierende aber noch nicht zur PR-Abteilung des Studiengangs, über den sie sich äußern. Leider nicht, bin ich fast versucht hinzuzufügen. Diese Arbeit kann das angestellte Staff am Studiengang niemand anderem umhängen. Auch wenn es noch so verlockend wäre, die Hände frei zu haben für die Umsetzung individuell befriedigenderer Einzelinteressen 🙂
    *Meine Hoffnung, dass die Dichotomien auch in Zukunft nicht aufgehoben werden, nährt sich aus der Tatsache, dass eine solche Aufhebung natürlich denkbar, meiner Ansicht nach aber wenig erstrebbar ist. Zu sehr gliche das Ergebnisszenario dem in Science Fiction Literatur dargestellten: Geprägt werden die Gesellschaften dort vom Kollektiv und einzelnen Führern bzw. Führerkollektiven. Das ist mir persönlich zu einseitig.

  6. @gud Das ist dogmatisch formuliert, aber es ist nicht richtig. Das interessante an den sozialen Medien ist ja gerade, dass die „Dichotomien“ zwischen Organisation und Öffentlichkeit und zwischen Individuum und Öffentlichkeit einer ganzen Skala von Kommunikationsmöglichkeiten in und für Teilöffentlichkeiten Platz machen. Diese Dichotomien hängen mit einem technisch und sozial überholten Stand der Medien zusammen – mit einer zu bewirtschaftenden und daher zu kontrollierenden Knappheit an Publikationsmöglichkeiten, die es so nicht mehr gibt. Die Kommunikation einer Organisation wird damit zu einer Angelegenheit aller in der Organisation und ihrer Bezugsgruppen (das meint auch die Zwischenüberschrift von den Studenten als PR-Abteilung). Auf eine mögliche Antwort auf diese Situation hat Gerrit Eicker in einem friendfeed-Kommentar zu diesem Posting hingewiesen: „Von der integrierten zur integrierenden Kommunikation“ (siehe http://www.ewerx.com/d/pr_weblogs_sw.pdf).

  7. @gud ich weiß nicht, was ich jetzt davon halten soll. was sind denn die studenten jetzt? pr für den studiengang oder nicht?! oder sind sie nur ein gaaaaaaaaanz kleines rädchen? und wenn ja, warum läuft denn dann die pr zum großteil über die studenten? und was ist denn mit der immer lauter werdenden diskussion, dass die „gute-alte“ mundpropaganda oder auch das „word-of-mouth-marketing“ wieder immer mehr im kommen sind? und wo ist denn bitte die pr-abteilung? muss sich eine pr-abteilung nicht auch gerade „krisen“ stellen (siehe zum beispiel rektor)? oder berichtet man nur über schöne ausflüge, bestandene prüfungen und überlässt die schlechte pr der presse oder dem web?

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