Ein paar Bemerkungen zum PR-Tag Zukunft Online-PR!? in Dieburg. Für mich war die Veranstaltung eine Fortsetzung der PR-bezogenen Sessions des BarCamp Kärnten. Thema war PR im Web 2.0.

Während eines informativen halben Tag kamen unterschiedliche Aspekte zur Sprache, fast durchgängig auf hohem Niveau. Zusammen lassen sich die Präsentationen und Diskussion als eine Einführung in die PR (Post-PR?, Anti-PR?) mit den Mitteln des aktuellen Web lesen. (Meine eigenen, unvollständigen Notizen hier.) Thomas Pleil, der in Dieburg Online-PR unterrichtet, hielt sich meist im Hintergrund. So kann man nicht entscheiden, ob er sich selbst diskret an der Regie beteiligte oder seine Studentinnen und Studenten so gut ausgebildet hat, dass sie ein solches Event perfekt organisieren können.

Vom ersten Teil der Veranstaltung, in dem Studierende Fallstudien präsentierten, bis zu der abschließenden Diskussion über Ethik in der Online-PR spannte sich ein Bogen. Die Fragestellungen wurden zunehmend vertieft. Es ging eigentlich durchgehend um das Spannungsverhältnis zwischen symmetrischer Kommunikation, wie sie im Web möglich wird, und der Funktionalisierung von Kommunikation für strategische Ziele einer Organisation.

case studies als Einleitung

Fallstudien Dieburger Studentinnen am Anfang: Saftblog, eBay Deutschland-Podcasts und Blogdelight. Drei Händlerblogs, die zeigen, wie sich durch direkte Kommunikation mit dem Kunden die Qualität der Angebote steigern und die Zahl der Kunden vergrößern lässt, und wie sich Firmen durch Öffnung für die Kunden verändern (mehr u.a. hier, hier und hier; meine Notizen hier).

Robert Basic: to go where no pr professional has gone before

In einer Theaterkritik würde man wohl schreiben: Robert Basic spielte die Rolle des PR-Antipoden mit Bravour. Er sprach aus der Perspektive eines Bloggers, der weder PR- noch Pressemensch ist. Basics Metapher für die Entwicklung des Web: Die Besiedelung des Weltraums, den wahnsinnig viele Kulturen bewohnen. Zu viele Unternehmen spielen da die Rolle aggressiver Zivilisationen, die ihre Modelle anderen aufzwingen wollen und die Kommunikation der Friedlichen behindern. Die PR stört das alte Gespräch zwischen den Kaufleuten und ihren Kunden. Social software erlaubt es aber to go where no pr professional has gone before. Die PR-Agenturen leben noch in der alten Welt; die User sind zu schnell. Spin wird zerpflückt, Bullshit steht sofort im Netz. Statistiken zum Wachstum des Social Web, Beispiele für die Weiterentwicklung von Werbung und Firmenauftritten durch User in Basics Posting. Der Vortrag endete mit der Frage: Ist Online-PR eine Totgeburt? (meine Notizen hier).

Wolfgang Stock: Podcasting ohne Gatekeeper

Zwiespältig war mein Eindruck von der Präsentation (PDF!) Wolfgang Stocks. Stock gilt als Vater der Merkel-Podcasts. Er propagiert Video-Podcasts als Mittel, mit dem Politiker oder Firmen den Bürger, den Endkunden oder den Mitarbeiter direkt erreichen können. Der Rückkanal scheint ihn dabei weit weniger zu interessieren als die Chance, böse Journalisten zu umgehen. Und die Beispiele, die Stock über die Podcasts der Bundeskanzlerin hinaus zeigte, sprechen eher dafür, dass er die letzten Barrieren gegen Corporate Bullshit eintreten will. Wer möchte denn animierten Werbekitsch in 3D auch noch als Videocast empfangen? Oder sich morgens im Auto bereits von der Stimme des Chefs berieseln lassen? Web 2.0 für den Boss? (meine Notizen hier)

Michael Scheuermann: Blogs bringen das ungeklärte Selbstverständnis der PR-Kommunikation ans Licht

Der Vortrag (PDF!) Michael Scheuermanns zum Corporate Blogging bei der BASF enthielt eine Fülle von Hinweisen und Tips zur Einführung von Social Software in einem großen Konzern. Scheuermanns Ausgangspunkt ist das issues management. Scheuermann scheint es zu gelingen, in einer klassischen Großfirma Vertrauen in die Möglichkeiten des Web 2.0 herzustellen (mehr u.a. hier, meine Notizen hier).

Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach: Elements of Participation

Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach — auch bekannt als Haltungsturner — ist bei Edelman Deutschland für online conversations verantwortlich. In seinem Beitrag ging es vor allem um die Mittel, die Agenturen im Web 2.0 bereits zur Verfügung stehen. Lünenbürger entwickelt das Instrumentarium der Online-PR mit gleich viel technischer und kommunikativer Phantasie weiter.

Ein Gedanke, der mich weiter beschäftigt: Firmen und Organisationen werden immer mehr als Anbieter von Inhalten im Web auftreten. Sie erwerben Glaubwürdigkeit, indem sie Plattformen für die Diskussion von Themen entwickeln. Damit verschwinden die Grenzen zwischen Wissensmanagement, PR und Journalismus — so wie es Wolfgang Lünenbürger es selbst mit Publikationen etwa zum StoryCrafter vormacht

(mehr hier, meine Notizen hier).

Diskussion zur Ethik

Die abschließende Diskussion lebte von der Auseinandersetzung zwischen Robert Basic und Wolfgang Lünenbürger darüber, ob es legitim ist, dass Firmen sich in die Kommunikation im social web einschalten. Für Basic erlauben Unterhaltungen im Web nicht schon jedem die Teilnahme, nur weil sie öffentlich sind. Er befürchtet eine Verschmutzung der Blogospäre durch Firmenvertreter. Bei Lünenbürger ist Transparenz der wichtigste Gesichtspunkt: Es ist so lange legitim, Interessen zu vertreten, als die Interessen klar benannt werden und erkennbar sind (weiteres hier; meine Notizen hier)

Fazit

Ich habe den PR-Tag mit der Frage besucht: Was kommt nach dem Ende von command & control, wie lässt sich symmetrische Kommunikation strategisch konzipieren? Wie kann eine Organisation ihre Kommunikation planen, wenn die Angesprochenen einen Rückkanal besitzen und untereinander eng vernetzt sind? Was diese Frage angeht, bin ich durch den Nachmittag in Dieburg und durch die Gespräche am Abend einen Schritt weiter gekommen & nicht in Richtung auf eine Antwort sondern in Richtung auf eine Veränderung der Fragestellung.

Ich würde das Ergebnis so resümieren: Man kann nicht Web 2.0-Techniken und symmetrische Kommunikation als bloßes Mittel verwenden, um dieselben Ziele zu erreichen wie mit herkömmlicher one-way-PR. Die Partner eines Dialogs bestimmen die Ziele gemeinsam. Eine Organisation kann durch den Wert ihrer Beiträge für die Teilnehmer des Gesprächs mitbestimmen, welche Richtung die Konversation nimmt. Ein Mittel dazu kann darin bestehen, auf einem Gebiet, das für die Organisation wichtig ist, so wichtige Inhalte anzubieten, dass das Interesse an der Kommunikation bei möglichen Partnern groß ist.

Für PR in Zeitalter des Web 2.0 gelten damit vor allem Regeln, die für Dialoge und Gespräche formuliert wurden. Man kann hier sicher von ethischen Regeln sprechen. Die Frage nach der Ethik der Online-PR, die im letzten Teil der Veranstaltung gestellt wurde, darf nicht nur als Frage danach verstanden werden, welche Mittel verwendet werden dürfen, sondern sie bezieht sich auf die Voraussetzungen des Gesprächs, das eine Organisation mit ihrne Stakeholdern führen möchte. Es geht um Einstellungen und Haltungen, ohne die ein Gespräch bereits vor seinem Beginn zum Scheitern verurteilt ist.

Meine Ausgangsfrage ist also eine Scheinfrage; sie beruht auf einem Widerspruch. Ein Gespräch zwischen gleichberchtigten Partnern muss offen sein, es lässt sich deshalb gerade nicht planen. Konzepte wie strategische Kommunikation oder integrierte Kommunikation verlieren hier ihren Sinn. Vor einem Gespräch kann ich meine Interessen formulieren; ich kann sie aber nur dann erfolgreich in das Gespräch einbringen, wenn mein Gesprächpartner sie akzeptiert, wenn es seinem Interesse entspricht, meine Interessen zu akzeptieren. Eine Gesprächspartnerin eines Unternehmens kann durchaus daran Interesse haben, dass die Produkte des Unternehmens gut sind; wenn ich mit ihr sprechen will, muss ich dieses Interesse ernst nehmen und davon ausgehen, dass sie mir etwas über meine Produkte zu sagen hat. Eine Gesprächspartnerin kann sich aber auch für Dinge interessieren, die nur indirekt etwas mit meinen Produkten zu tun haben; vielleicht redet sie mit mir, weil ich unterhaltsam bin, weil ich eine spannende Geschichte zu erzählen habe oder weil ich sehr viel weiß. Bei den Praxisbeispielen, die die Studentinnen in Darmstadt vorstellten, kam es zu einem Gespräch, weil mehrere Komponenten vorhanden waren: Das Saftblog ist unterhaltsam; die Geschichte des Unternehmens ist spannend, und die Leser interessieren sich für die Produkte.

Voraussetzung jedes Gesprächs ist Vertrauen. Damit man mir vertraut, muss ich eine nicht nur utilitaristische oder instrumentelle Beziehung zu meinen Gesprächspartnern aufbauen. Nur wenn diese Beziehung besteht, werden sie meine Interessen akzeptieren.

Nicht gestellt wurde in Dieburg eine andere Frage: Wo gelten für die technisch vermittelte many-to-many-Kommunikation, die das Web ermöglicht, andere Regeln als für den Dialog von wenigen Menschen, die persönlich miteinander kommunizieren? Spielt die digitale Persona der Gesprächspartner dieselbe Rolle wie die analoge in der mündlichen oder herkömmlichen schriftlichen Kommunikation? Wie können die Interferenzeffekte der Kommunikation im Web genutzt werden — wo und wie kann sich auch PR im Web Mashup-artig vollziehen?

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