Gestern Abend habe ich das das neue Post Content & Decisions: A Unified Framework von Michael Andrews gelesen. Man kann lange darüber nachdenken, und möglicherweise wird es die Versuche, Content-Strategie zu definieren, mehr als nur ein Stück weiterbringen. Andrews entwickelt ein Schema für die Situierung von Content innerhalb von allen Aktivitäten eines Unternehmens.

Diagram showing relationships between organizations, their digital assets, and users/customers, and the interaction between content and platforms. Source: Storyneedle.com
Hier eine erste Kurzbeschreibung/Interpretation, die Andrews’ Schema sicher nur in Teilen gerecht wird: 
Er unterscheidet zwischen drei Ebenen, und auf jeder Ebene zwischen der Produkt- und der Inhaltsseite. Auf der obersten Ebene finden einerseits die Entscheidungen über Produktlinien und andererseits die Entscheidung über die publizistische Linie des Unternehmens statt. Auf die mittlere Ebene gehören einerseits die verschiedenen Plattformen für die Produkte, wobei hier in erster Linie von digitalen Plattformen ausgegangen wird, und der anderen Seite die Gesamtheit der Inhalte. Andrews spricht von einem stock of content. Der dritten, untersten Ebene ordnet Andrews einerseits die Publikationen der Organisation und auf der anderen Seite die Interaktion der User mit den Publikationen und den Produkten zu. Zwischen der mittleren und der oberen und der mittleren und der unteren Ebene finden auf der Seite der Produkte wie auf der Seite der Publikationen Feedbackschleifen statt, die sich wiederum untereinander beeinflussen.
Dieses Schema zeigt sehr gut — besser, als ich es bisher irgendwo gefunden habe und für mich jedenfalls in einer ganz neuen Weise — die Rolle von Inhalten innerhalb der Aktivitäten einer Organisation, vor allem eines Unternehmens. Inhalte sind auf allen Ebenen mit den übrigen Aktivitäten verwoben und sie werden einerseits von den für die Geschäftspolitik Verantwortlichen und andererseits von den Usern gesteuert. Man kann die Inhalte nicht von den Produkten, von den Plattformen und den Interaktionen mit den Kunden trennen.
Content-Strategie umfasst alle drei Ebenen:

  • die Ebene der einzelnen Inhalts in Beziehung zum User/Kunden und zum Produkt oder Service,
  • die Ebene der Inhalte als Assets des Unternehmens in Beziehung zu den Plattform- und Produktstrategien,
  • die Ebene des Auftritts und der Botschaften und der Werte der Gesamtorganisation im Beziehung zu ihrer Positionierung in verschiedenen sozialen Handlungsräumen und bzw. auf verschiedenen Märkten.

Die Beziehungen zwischen diesen Ebenen und zwischen den Faktoren auf diesen Ebenen sind komplex.
Damit ist auch klar bezeichnet, worum sich Content-Strateginnen und Strategen kümmern müssen:

  • die Inhalte innerhalb von und in Verbindung mit vor allem digitalen Diensten und Produkten, die aus der User-Perspektive funktionieren müssen (das ist die Ebene des Content Designs, auf der z.B. ein Produkt erklärt wird oder Content ein Bestandteil eines Dienstes ist wie bei AirBNB),
  • die Inhalte in ihrer Business-Funktion in Verbindung mit den verschiedenen Plattformen, auf denen sich ein Unternehmen bewegt (hier müssen die Inhalte etwa eine Marke unterstützen, Leads generieren oder verschiedene Touchpoints miteinander verbinden — was sie aber wiederum nur tun, wenn sie auf der “unteren” Ebene aus der User-Sicht funktionieren),
  • die Inhalte als Teil der Identität und des Wertangebots einer Organisation (hier müssen die Inhalt zeigen, wofür eine Organisation steht und was sie mit ihren Bezugsgruppen teilt).

In dieser Dreiteilung finde ich eine Unterteilung wieder, über die ich selbst schon oft nachgedacht habe, wenn ich versucht habe, Content Strategie zu definieren. Ich bin aber viel mehr als Andrews vom einzelnen Inhalt bzw der einzelnen Publikation oder auch der einzelnen Applikation ausgegangen. Andrews stellt sehr gut das big picture dar, in dem der Einzelinhalt und die einzelne Applikation nur in ihrer Gesamtrolle vollständig verstanden und entwickelt werden kann.
Sehr wichtig erscheint mir auch ein Punkt, den Andrews am Anfang und am Schluss seines Posts betont: Es geht in der Content Strategie nie vornehmlich darum einzelne Inhalte zu optimieren. Auch ein Monitoring, das nur auf den Einzelinhalt, z.b. die einzelne Webseite bezogen ist, greift zu kurz. Der Wert oder die Problematik eines einzelnen Inhalts ergibt sich aus den Verbindungen mit anderen Inhalten und mit Produkten und Geschäftsprozessen.
Ausgehend von Andrews’ Schema kann man viele Themen der Content-Strategie diskutieren und wahrscheinlich neu und besser verstehen, unter anderem das Verhältnis von Content-Strategie und Business Analytics und das Verhältnis von Content Strategie und UX Design. Man könnte ausgehend von diesem Schema auch diskutieren, wie sich Inhalte und Angebote einer Organisation mit den Inhalten anderer vernetzen.
Dieses Post zeigt einmal mehr, das Michael Andrews einer der wichtigsten Theoretiker der internationalen Content-Strategie-Szene ist. Es enthält viele Argumente dafür, dass Content-Strategie sich tatsächlich als Disziplin mit einem eigenen Problemfeld und einer eigener Systematik entwickeln wird.

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