Warum es die SZ in dem neuesten ihrer Berichte über das komische Volk der Blogger nicht einmal schafft, den Werbespot für bildblog.de einzubinden oder an der richtigen Stelle zu verlinken? Hat das juristische Gründe? Oder sollte das Qualitätsmedium auch noch „eine Strecke auf dem langen Weg zur Professionalisierung“ vor sich haben? Trotz der Schärfe von Johannes Boies Analyse?

Für alle, die den Spot — wie ich — noch nicht gesehen hatten:


Link: sevenload.com

Nach einer Woche offline in Kroatien (und einigen Wochen davor, in denen mich Projekte meist daran gehindert haben zu bloggen oder andere Blogs intensiver zu lesen), habe ich gestern begonnen, im Google Reader die Feeds nachzulesen, die mich besonders interessieren. Schon nach gut zwanzig Einträgen von hackr.de habe ich vor der Menge an Informationen kapituliert. Um den Hinweisen auf John Hagel und Umair Haque nachzugehen, hätte ich vermutlich mehr als nur den Tag gestern gebraucht.

Vielleicht liegt es daran, dass ich mich nur schwer auf wenige Themen beschränken kann: Mir fehlt ein Mittel, um die Masse der Informationen, die ich nur durch eine kleine Anzahl von Weblogs erhalte, auch nur kurzfristig sinnvoll zu verarbeiten. Der Grundsatz der people centered navigation hilft mir nur wenig. (Ich versuche mich bei der täglichen Lektüre auf Feeds von Leuten zu beschränken, denen ich persönlich vertraue und dich ich meist auch persönlich kenne — wenigsten durch Austausch von Links). Es gibt zu viele Blogger, die mir als Gewährsleute für die Themen dienen, die mich interessieren — und viele sind, wie ich selbst, Info-Junkies. (Das Internet synchronisiert Lebenszeit und Weltzeit, über die Hans Blumenberg geschrieben hat, mehr als alle Medien vor ihm, aber zugleich öffnet es die „Zeitschere“ so weit, dass Lebenszeit und Weltzeit jede Beziehung zueinander verlieren.)

Die Schwierigkeit liegt dabei nicht darin, Informationen zu verarbeiten, mit denen man sich intensiver beschäftigt. Das verlangt Konzentration und Arbeitstechniken, die sich von denen in der Offline-Welt nicht sehr unterscheiden. Das Problem liegt im Scannen und Gewichten der Unzahl von Informationen, die möglicherweise interessant sind, die man irgendwann vielleicht einmal braucht. Darauf zu verzichten, diese Informationen überhaupt wahrzunehmen, ist keine Lösung, jedenfalls nicht für mich: Nicht nur, weil sie mich dazu viel zu sehr interessieren, sondern auch weil ich als Lehrer, der angehende Journalisten und PR-Leute in die „Social Media“ einführen soll, up-to-date bleiben muss. (Wir machen uns hier in Mitteleuropa ohnehin zu selten klar, wie rasant die Wandlungsprozesse sind, zu denen es durch das Live Web kommt; die beliebte Taktik, sie so lange wie möglich zu ignorieren, ist eine intellektuelle Bankrotterklärung.)

Vorläufig werde ich versuchen, die Informationen, die ich nur passiv aufnehmen kann, mit Mindmaps etwas besser zu strukturieren und gleichzeitig auch für den Unterricht aufzubereiten. Dabei würde ich gerne dazu kommen, die Mindmaps mit meinen del.icio.us-Links und auch mit den Newsfeeds, die ich abonniert habe, zu verknüpfen. Mit einer Mindmap zur Einführung in die Social Media habe ich gestern begonnen. (Sie ist noch sehr unvollständig, und die Struktur passt noch nicht zu dem, was ich darstellen will.) Ich weiß, dass Mindmaps ein simples Mittel sind — im Grunde sind sie nichts anderes als visualisierte Outlines/Gliederungen. Aber deshalb eignen sie sich als didaktisches Mittel. Und der Zwang, sie auch didaktisch zu benutzen, hilft mir, die Informationen auch für mich selbst besser zu organisieren.

Ich benutze als Werkzeug mind42, das ich beim letzten Barcamp in Wien kennengelernt habe. Die Maps lassen sich exportieren und z.B. mit freemind offline bearbeiten. Vor allem aber kann man sie — und darauf hoffe ich für den Unterricht — kollaborativ weiterbearbeiten.

Vielleicht haben Mindmaps als didaktisches Werkzeug noch einen weiteren Vorteil: Sie machen implizite Theorien explizit, bzw. sie verlangen nach einer Theorie für die Themen, die man anordnet. Bei meinen ersten Versuchen gestern ist mit aufgegangen, dass ich die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Technik spontan viel konservativer darstelle, als ich es vermutlich formulieren würde — dass ich Themen, auf die ich mich beziehe, also nicht wirklich durchdrungen habe. Es kann gut sein, dass ich das Experimentieren mit Mindmaps wieder aufgebe. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es dazu beitragen kann, meine eigenen Positionen zu klären.

Ich habe mich in den letzten Wochen weiter mit der „Actor-Network-Theory“ (ANT) beschäftigt, wenn auch noch nicht so intensiv, wie ich es wollte. Noch mehr als vor ein paar Wochen sehe ich in ihr eine Möglichkeit, Phänomene im Bereich der „neuen Medien“ und des Web zu analysieren, ohne sich von eingefahrenen Unterscheidungen wie der zwischen „Technischem“ und „Sozialem“ blind machen zu lassen.
Es handelt sich bei der ANT nicht um eine Theorie im Sinne einer Menge von Aussagen über die „Realität“. Ich verstehe die ANT eher als eine Methode, um soziale Wirklichkeiten zu beschreiben und zu analysieren. Ob eine solche Analyse dann „richtig“ ist, was sie „wert“ ist, hängt von ihren Beziehungen zu ihrem Gegenstand und nicht von der Richtigkeit der theoretischen Grundannahmen der ANT ab.
Allerdings — auch zur ANT gehören Verallgemeinerungen über die Gesellschaft. Ich versuche, provisorisch einige davon zu formulieren, und bitte bessere Kenner dieser Theorie um Korrekturen. Ich hoffe, dass sich diese Annahmen als Ausgangspunkt konkreter Analysen verwenden lassen. Die Texte, auf die ich mich beziehe, habe ich hier gesammelt.
(1) Zu sozialen Strukturen gehören immer sowohl menschliche wie nicht-menschliche Akteure. Die nicht-menschlichen Akteure, die „Objekte“, haben eine entscheidende Funktion bei der Stabilisierung von sozialen Strukturen. Die Objekte sind nicht nur Projektionsschirme für soziale Verhältnisse, sondern sie ermöglichen die sozialen Verhältnisse erst. Der portugiesische Fernhandel, den John Law in einer berühmten Studie (pdf) beschrieben hat, hätte zum Beispiel ohne die Beobachtung der Sterne nicht stattfinden können; die Sterne lassen sich aus dem Netzwerk „Fernhandel“ nicht herauslösen.
(2) Soziale Strukturen existieren nicht unabhängig von Akteuren, sondern sie sind „performativ“, sie werden „aufgeführt“ oder „ausgeführt“. Etwas überdeutlich formuliert: Sie werden immer wieder neu erfunden, neu ausgehandelt und bestimmt. In dieses Aushandeln investieren die Akteure ihr Wissen über die Gesellschaft, ihre „Soziologie“.
(3) In jedem sozialen Netz interagieren unterschiedliche menschliche und nichtmenschliche Akteure. Die Voraussetzung dafür sind Übersetzungen, die überhaupt erst eine Kommunikation zwischen den verschiedenartigen Beteiligten ermöglichen. In solchen Übersetzungsprozessen werden Repräsentanten der verschiedenen Gruppen von Akteuren bestimmt. Die Übersetzungen machen Unvergleichbares vergleichbar und integrieren es damit in ein Netzwerk. Durch die Übersetzung bestimmt oder erzeugt das Netzwerk seine besondere Realität. Es wird festgelegt was real und relevant, was unwirklich und unwichtig ist. Es wird auch festgelegt, welche Ebenen die „Realität“ bilden, wo zum Beispiel bei Medien die Grenze zwischen „Technik“ und „Inhalt“ liegt.
(4) Soziale Strukturen oder soziale Netze dienen dazu, Kontrolle auszuüben, sie sind immer Instrumente der Macht. Bei den Übersetzungsprozessen, in denen sich ein Netzwerk konstituiert, wird bestimmt (verhandelt), wer wen kontrolliert, wer für wen spricht, wer wen oder was repräsentiert. Es gibt keine „unschuldigen“ oder „neutralen“ Übersetzungen, bei denen keine Macht ausgeübt würde.
(5) Zu den Akteuren, die an einem Netzwerk beteiligt sind, können wiederum Netzwerke gehören; sie verhalten sich aus der Perspektive des Netzwerks, in das sie integriert werden, wie „black boxes“. Die makrosoziologische Ebene unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der mikrosoziologischen Ebene; damit Netzwerke auf einer Makroebene funktionieren, müssen die Netzwerke, die in das „Makronetzwerk“ integriert werden, Komplexität so weit reduzieren, dass sie zu „einfachen“ Akteuren werden können.
Im Zentrum der ANT steht der Begriff der Übersetzung, und im Grunde interessiert mich, wie sich dieser Begriff bei der Analyse von Kommunikation im Web verwenden lässt. Übersetzungen sind eine Voraussetzung für die Bildung der neuen „soziotechnischen“ Netzwerke, an der wir gerade teilnehmen. Mit dem Instrumentarium der ANT lassen sich, wie ich glaube, solche Übersetzungsprozesse qualifiziert beschreiben, ohne die immanente Logik der neuen Netzwerke absolut zu setzen (sie also als „natürlich“ anzusehen), und ohne sie zu ignorieren (sie also als bloße „Technik“ zu verstehen).
Beispiele für solche Übersetzungen lassen sich leicht finden: Schon indem ich blogge oder mich bei facebook beteilige, übersetze ich meine analoge Identität (die nichts Natürliches, Vorgegebenes war) in eine „netzkompatible“ Version. Man kann die Arbeit an der Wikipedia als einen großen Übersetzungsprozess verstehen, in dem „enzyklopädisches Wissen“ in eine für das Web geeignete Form übertragen wird. Ohne nichtmenschliche Beteiligte wie Rechner und die Internet-Infrastruktur wären diese Übersetzungsprozesse nicht möglich und auch nicht nötig. Aber keiner dieser Prozesse ist „nur“ technisch. In ihnen allen werden soziale Beziehungen neu ausgehandelt, und wir verwenden unser Wissen über soziale Beziehungen in diesen Verhandlungen.
Für tatsächliche Analysen im Sinne der ANT wäre es wohl vor allem wichtig herauszuarbeiten, wie bei diesen Übersetzungsprozessen Äquivalenzen hergestellt werden und nach welchen Kriterien „überprüfbare“ Realitäten definiert werden (z.B. durch Googles Page Rank, der als „objektives“ Kriterium funktioniert.) Die Blogospäre wäre ein gutes Beispiele; interessanter wäre aber vielleicht die Analyse der Bildung von virtuellen Gruppen und Organisationen.
Das liest sich vielleicht kryptisch. Ich werde mich um Klärung bemühen und freue mich über Kommentare. Etwas weiter ausgearbeitete Gedanken zur Untersuchung von sozialen Medien mithilfe einer „Soziologie der Übersetzung“ würde ich gerne bei einer Gelegenheit wie dem nächsten Barcamp in Wien vorstellen.