Gestern habe ich in einer Lehrveranstaltung versucht, den Begriff Content Marketing zu erklären (hier meine unfertige Präsentation). Ich bin dabei davon ausgegangen, dass sich in der vernetzten Gesellschaft die Beziehungen von Marken zu Verbrauchern grundlegend ändern. Marken werden zu kontinuierlich präsenten Anbietern, von denen man Problemlösungen erwartet, und mit denen man sich identifizieren kann. Content Marketing wird zum Standard, denn ohne Inhalte wären die Beziehungen zwischen Marken und Verbrauchern in einer digitalisierten Realität gar nicht möglich. Parallel dazu verlieren die herkömmlichen, zentralisierten Medien an Bedeutung und stehen als Mittel der Kommunikation mit den Verbrauchern, im Fall von Marken also der Werbung, nur noch bedingt zur Verfügung. Gleichzeitig steigt die Menge der medialen Angebote so sehr, dass Aufmerksamkeit zu einem viel wichtigeren Faktor für die Wirkung von Inhalten wird als die Kontrolle von Kanälen.

Ich frage mich, ob dieses Bild des Content Marketing nicht auch erfasst, wie die populistischen Parteien in Europa, z.b. die FPÖ, kommunizieren und warum sie erfolgreich sind. Sie sprechen ihre Klientel als Problemlöser an. Sie verzichten weitgehend auf die klassischen Medien in ihrer Gatekeeper-Funktion. Sie erzeugen permanent Aufmerksamkeit. Sie beherzigen offenbar auch das Motto, das für erfolgreiches Content Marketing entscheidend ist: Make Your Customer the Hero of Your Story. Sie erzählen nämlich permanent von den kleinen Leuten, den normalen Menschen, im Gegensatz zum verteufelten sogenannten Establishment.

In letzter Zeit gibt es immer wieder Überlegungen dazu, ob man Parteien wie die FPÖ oder Politiker wie Viktor Orbán als faschistisch bezeichnen kann. Sie haben sicher viel mit dem Faschismus in den ersten 30 bis 40 Jahren des 20. Jahrhunderts gemeinsam, und da, wo sie weniger gefährlich oder mörderisch agieren, stellt sich die Frage, ob sie sich nicht in wenigen Jahren weiter radikalisieren werden. Ihr Vorbild und Unterstützer Putin geht jedenfalls mit einer Brutalität vor, die der des Faschismus etwa in Italien nicht nachsteht. Was diese Bewegungen aber tatsächlich vom Faschismus unterscheidet, so dass ich diesen Ausdruck nicht benutzen würde, ist, dass sie weder Massenorganisationen aufgebaut haben, wie es die italienischen Faschisten und ihre Nachahmer getan habe, noch dass sie versuchen eine abgeschlossene Weltanschauung zu vermitteln. Genau an dieser Stelle spielt der Unterschied zwischen den zentralisierten Kommunikation in der alten industriellen Gesellschaft und der vernetzten Kommunikation in der heutigen digitalen Gesellschaft vielleicht eine große Rolle. Die heutigen Populisten betreiben im Wesentlichen Medienpolitik, sie erzeugen eine mediale Realität statt eine Weltanschauung zu verbreiten. Diese eigene mediale Realität setzen sie gegen die Realität, die in der öffentlichen Diskussion kritisch überprüft werden kann, sei es in der Wissenschaft, sei es im Journalismus, sei es in einer echten parlamentarischen Debatte.

Wenn diese Hypothese stimmt, dann ist die Erzeugung einer eigenen Marken-Wirklichkeit, einer als Realität vermittelten Scheinwelt, um permanent Aufmerksamkeit zu erzeugen, für die populistischen Gruppierungen nicht ein sekundäres Phänomen, sondern sie ist für diesen neuen Populismus konstitutiv, sie definiert ihn geradezu. Das würde auch bedeuten, dass man ihn nur auf dieser Ebene tatsächlich entgegentreten kann. Damit sind die Kräfte, die ihn aktiv bekämpfen, in einer paradoxen Situation: Sie müssen gerade den fiktiven, die Realität verschiebenden Charakter des Populismus angreifen, das aber in einer medialen Wirklichkeit tun, in der genau diese populistische Art von Kommunikation den größten Erfolg verspricht. Wenn der Verfall der klassischen medialen Instanzen zu den Ausgangsbedingungen des neuen Populismus gehört, so wie er auch zu den Ausgangsbedingungen des Content Marketings gehört, dann kann man auf diese medialen Instanzen auch nur sehr bedingt als Gegenkräfte zum Populismus bauen. So wichtig es ist, guten Journalismus und öffentliche Wissenschaft zu unterstützen, es dürfte äußerst schwierig sein, mit den dort bisher üblichen Kommunikationsformen mit den Populisten zu konkurrieren.

Dass die Populisten die Möglichkeiten der vernetzten Kommunikation professionell ausnutzen, bedeutet immerhin nicht, dass sie tatsächlich auf Dauer Gewinner der Digitalisierung in den Medien sein müssen. Sie sprechen, das macht ja den Populismus gerade aus, genau diejenigen Gruppen an, die Verlierer der Digitalisierung und der Entwicklung zu einer internationalen Netzwerkgesellschaft sind. Vermutlich, aber auch das ist nur eine Hypothese, finden sich die wirksamsten Gegenkräfte nur in dieser digitalisierten globalisierten Realität und nicht in den Restbeständen der Gesellschaft vorher, wie z.b. den herkömmlichen Gewerkschaften und den klassischen Medien. Im Augenblick bin ich ratlos, was man den medialen Strategien der FPÖ und ihrer Schwester-Parteien entgegensetzen kann,  wenn sie die Mechanismen der digitalen Medien, speziell der Erzeugung von Aufmerksamkeit und Teilöffentlichkeit mit diesen Medien, auf ihrer Seite haben.

5 Kommentare zu “Populismus als politisches Content Marketing?

  1. Natürlich ist „Populismus“ nur eine sehr fokussierte (überfokussierte) und auch (extrem ver)einfach(t)e Art des „Content Marketings“. – Unter dem Strich ist das alles nur „Propaganda“ im Sinne von Bernays. Das gleichnamige Werk von 1928 erklärt sowohl die damaligen als auch die heutigen Vorgehensweisen politischer und natürlich auch unternehmerischer und sonstiger organisatorischer Kommunikation. Insgesamt finde ich immer wieder unterhaltsam, wie neue Begriffe letztlich tatsächlich nur Altes (einmal mehr) erklären wollen. „Public Opinion“ (1922) von Lippmann ist ein weiteres äußerst lesenswertes Buch in diesem Kontext.

    • Lieber Gerrit, danke für den Kommentar, und danke dafür, dass du hier kommentierst. Und danke auch für den Hinweis auf zwei Bücher, die ich schon lange gelesen haben sollte (wobei mir bei Lippmann auch Dewey einfällt.) Worauf es mir ankommt: Die Veränderungen in der Mediendistribution. Die Populisten beherrschen offenbar das vernetzte Kommunizieren sehr viel besser, als es viele für möglich gehalten haben. Hier in Österreich hat Kickl in seinem Innenministerium wohl mindestens 20 Social Media-Leute, darnter einen der bisher für unzensuriert.at Verantwortlichen. Die Cinque Stelle in Italien sind eine Internet/Netzwerk-Bewegung. Die Frage für mich ist: Was kann man dem entgegensetzten, wenn man nicht nur die schrumpfende „Establishment“-Öffentlichkeit erreichen will?

      • Ich sehe das anders: Sie „beherrschen“ das nicht „besser“, sie haben allerdings so simplifizierte Botschaften, dass sie diese natürlich genau in diesem Sinne („Propaganda“, „Populismus“…) besonders effektiv und effizient verbreiten können. Es spielt mMn keine Rolle, ob das in den 1920ern über Plakate, gedruckte Pamphlete, Rundfunk oder heute über Social Media-Kanäle erfolgt. Die Methoden und in diesem Fall manchmal sogar die Inhalte sind letztlich die gleichen. – Ganz entscheidend: Es ging immer darum, die Gatekeeper zu umgehen. Das ging früher durch wildes Plakatieren und Verteilen von Pamphleten genauso wie heute durch das Posten in allerlei Onlinekanälen. Letztere mögen dabei schneller sein, erstere (insbesondere Außenwerbung) war (und ist auch heute noch) wirksamer. – In jedem Fall geht es um die direkte, unmittelbare Kommunikation zwischen Sender und Empfänger.

        • Ich weiss nicht, ob wir wirklich anderer Meinung sind. Aber ich möchte auch auf den Punkt der faschistischen Massenorganisationen hinweisen. Meine Hypothese ist, dass Online-Öffentlichkeiten oder Teilöffentlichkeiten (auch Online-Hetzmeuten) an ihre Stelle treten. – Mich interessiert die Frage, was bei den Populisten heute anders ist als bei den Faschisten damals. Das bedeutet nicht, dass nicht vieles ähnlich ist. Und vielleicht wird auch heute wieder Italien zum Vorbild.

          • Ich denke, dass sich überwiegend gar nichts verändert hat: Inhalte, Art und Weise, Methoden und Mechanismen sind sehr ähnlich, einzig die Distributionswege haben sich geändert. – Wichtig erscheint mir, darauf zu achten, wie alt diese Parteien oder Organisationen sind: mKn haben viele sich kurz vor oder deutlich nach etwa 1990 gegründet. Sie sind mit dem Netz aufgewachsen, ganz anders als die klassischen Parteien.

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