Wir beschäftigen uns in der Content-Strategie oft mit Botschaftsarchitektur, konkret meist mit Margot Bloomsteins Methode, Kernbotschaften festzulegen. Ich empfehle Organisationen, die etwas publizieren, sich darüber klarzuwerden, was sie sind und was sie nicht sind. Aber habe ich hier in meinem Blog eine Botschaftsarchitektur? Ich habe mir bisher nicht einmal Gedanken darüber gemacht. Ich frage mich höchstens, zu welchen Themen ich mich halbwegs kompetent äußern kann.
Was kann ich zu Gegenständen wie dem Klimawandel und der globalen Armut sagen, zu denen ich nur weiss, was ich in wenigen Texten, bestenfalls wenigen Büchern, gelesen habe? Umgekehrt muss ich sagen, dass ich mich bei dem, was ich hier schreibe, nicht wirklich für positive Wissenschaft, für das Sammeln von Erkenntnissen interessiere. Genauer gesagt: Ich interessiere mich nicht dafür, selbst Erkenntnisse anzusammeln, aber ich interessiere mich sehr dafür, etwas von anderen über Dinge zu erfahren, die sie erforscht haben. Im Augenblick lese ich fasziniert Descolas Jenseits von Natur und Kultur.
Mehr als die positiven Erkenntnisse reizt mich der Prozess der Interpretation, das Lesen oder die Exegese (ich habe das Wort bei Bruno Latour wiedergefunden). Anders formuliert: Die Möglichkeit, etwas zu lesen, Zeichen einen Sinn zuzuordnen, den sie nicht schon von sich aus haben.
Ich vermute, dass das Interesse am Lesen, an der Deutung und Deutbarkeit von Texten, zusammenhält, was ich hier schreibe. Mich beschäftigt, wie man Artefakten einen Sinn zuschreibt, wovon dieser Sinn abhängig ist, wie sehr er seinerseits ein Artefakt ist, etwas technisch Gemachtes und Veränderbares, das auf Techniken und Werkzeuge zu seiner Entschlüsselung angewiesen ist. Wenn ich über die globale Erhitzung schreibe, schreibe ich zwar engagiert, aber ich schreibe auch um herauszubekommen, welche Texte zu diesem Thema wichtig, wahr sind und warum—und mit der Frage, woran sich das zeigt. Ich versuche also zu interpretieren und zugleich zu kritisieren. Die epistemische Krise beschäftigt mich wegen ihrer katastrophalen Folgen und zugleich mit der Frage, ob Entwicklungen wie die sozialen Medien überhaupt lesbar, verstehbar sind. Dass ich sie selbst falsch gelesen habe, mit einem utopischen Lektüreraster, ist mir inzwischen klar.
Für diese Art von Lektüre kann ich keine Kernbotschaften festlegen, und ich weiss auch nicht, wohin sie führt. Ich kann nur versuchen, so kritisch wie möglich zu lesen, weil ich mehr zu den Texten sagen kann, die ich lese, als zu den Dingen, von denen sie handeln. Das ist eine marginale Position—aber sie eröffnet Möglichkeiten, Lektüreraster zu erkennen und sich von ihnen zu lösen.
Ich denke schon, dass du über viele Themen und Zugänge hinweg Kernbotschaften definieren kannst. Bei deinem Blog würde mir jetzt spontan die Systemkritische Einstellung einfallen. Das ist nur ein schnell heruntergeschriebenes Beispiel, aber die Essenz ist: Solche Kernwerte und -Botschaften gelten grundsätzlich für eine Entität (eine Marke, einen Blog, eine Firma) und überspannen sämtliche Inhalte. Das hilft in weiterer Folge das Konkrete zusammenzuzurren, zuzuordnen und – besonders – nicht Passendes auszuschließen. Ich denke schon dass es Sinn macht, das zu definieren. Adaptieren kann man in weiterer Folge immer.
Dass man es kann, glaube ich auch. Und danke für das Feststellen der kritischen Haltung 🙂 Aber ich selbst schreibe nicht so – frage mich allerdings, ob damit nicht die Gefahr der Beliebigkeit verbunden ist. Ich glaube, ich werde mich mehr auf die Fragen des Lesens und die Kritik von Texten konzentrieren. Wobei ich denke, dass bei einem persönlichen Blog die Vielfalt wichtig ist (wie auch beim großen Blogger-Vorbild Montaigne, der ständig hin- und her gesprungen ist.)