Von dem Abend im Literaturhaus zu Ivan Cankar möchte ich Cankar selbst in Erinnerung behalten, und auch einige Sätze Josef Winklers, der gestern seine Nacherzählung von Cankars Jernej der Knecht und sein Recht vorlas. Er interessiere sich eigentlich nur für die Sprache von Texten, kaum für die Inhalte, sagte Winkler. Die Sprache sei wie eine Katze oder ein Tiger, die sich elegant vorwärts bewegen, manchmal sei eine klappernde Blechdose an den Schwanz gebunden: der Inhalt. Ich dachte: Wie peinlich wäre es mir, wenn ich Winkler sagen müsste, dass ich an einem Studiengang für Content-Strategie arbeite, und ob es vielleicht erträglich wäre, von Inhaltsstrategie zu sprechen. Wir seien bei vielen Texten auf Übersetzungen angewiesen, sagte Winkler, als ihn eine Zuhörerin aufforderte, Slowenisch zu lernen. Jetzt seien gerade einige große Texte in neuen Übersetzungen erschienen—Romane von Dostojewskij, Tolstoi, Knut Hamsun, Melville. Die Übersetzungen und die Kritiken der Übersetzungen seien ein Anlass, wieder in diesen Büchern zu lesen, und nur diese großen Texte seien es Wert, gelesen zu werden, alles andere seien nur Seifenblasen. Er selbst sei auch nur eine Seifenblase, sagte Winkler, anders als viele Passagen Handkes, an dessen Beschreibung einer Igelfamilie er sich öfter erinnere als an die Igelfamilie, die er selbst vor einigen Jahren in Holland beobachtet habe. Er frage sich, wie ein Mensch überhaupt so schreiben könne.
Fast zwei Stunden lang haben Winkler, Erwin Köstler und Andreas Leben Ivan Cankars (und Josef Winklers) Sprache vorgestellt. Ich habe Cankar vorher nicht einmal dem Namen nach gekannt. Die Abschnitte, die ich gestern gehört habe, erinnern mich im Naturalismus und der Kritik an nationalistischer Provinzialität an Joyce und in der Insistenz und der Frage nach der Gerechtigkeit entfernt an Kafka. Einen Abend, bei dem die Sprache so unaufgeregt und konzentriert in den Mittelpunkt gestellt werden, habe ich auch im Grazer Literaturhaus nicht oft erlebt.
Viele Werke Cankars sind übersetzt im Drava-Verlag erschienen. Köstler und Leben notiere ich mir als Gewährsleute für slowenische Literatur.