Ich versuche immer noch, mit so etwas wie einen Reim auf die Wahl von Trump zu machen. In der Unmenge der Kommentare nehme ich die ernst, die davor warnen, Trump zu verharmlosen, also etwa die Einschätzungen von Jan-Werner Müller und – gestern – von Irene Braam. Wie viele andere sprechen diese Analysen dafür, dass Trump umsetzen wird, was er angekündigt hat: den liberalen Staat abbauen und durch ein autoritäres Regime ähnlich dem von Orbán in Ungarn ersetzen. Es spricht auch nichts dafür, dass er mit der Nato und der EU anders als nationalistisch umgehen wird: Er wird sie benutzen, um Druck auszuüben und die Abhängigkeit von den USA zur Stärkung der US-Wirtschaft zu nutzen.
Vor dem „autocratic breakthrough“
Das von Bálint Magyar entwickelte Konzept des „autocratic breakthrough“, das ich bei Masha Gessen gefunden habe, scheint mir gut zu beschreiben, was bevorsteht:
We can speak about an autocratic breakthrough, however, in cases of successful and systemic transformation of a democracy to an autocracy, initiated by the leading political elite. In an autocratic breakthrough, the leading political elite engages in a constitutional coup to concentrate state powers in a single hand and to solidify autocratic rule, eliminating the liberty and autonomy of various state departments through changes initiated in rapid succession [Magyar, B., & Madlovics, B. (2020). The anatomy of post-communist regimes: A conceptual framework. Central European University Press, p. 327].
Gessen hat 2020 geschrieben:
If, upon his Inauguration, a President Biden acts as though our national nightmare is over—if he attempts to build bridges and fetishizes bipartisanship in order to pass some watered-down legislation, rather than, say, even acknowledging the necessary and probably impossible task of unpacking the federal judiciary—then the autocratic attempt can return, and it will be stronger.
Im Juni hat Gessen den autocratic breakthrough für eine zweite Amtszeit Trumps vorausgesagt.
Charakteristisch für den autocratic breakthough Trumps ist dabei die Ablehnung von Expertise. Ein Grund dafür ist die antiökologische und auch anti-migratorische Ausrichtung Trumps und seiner Bewegung, die nur bei einer konsequente Verweigerung der Realität durchzuhalten ist. Rick Perlstein schreibt über das – seine Ansicht nach in seiner Bedeutung überschätzte „Projekt 2025“:
The best part so far about the journalism about Project 2025 is how it has documented its cataclysmic aim of destroying the very notion of an expert and independent civil service—the people Trumpies call the “deep state.”
„Is it fascism?“
Auch wenn Jan-Werner Müller es ablehnt, Trump einen Faschisten zu nennen: Die Argumente von Robert Paxton für die Angemessenheit dieser Bezeichnung sind überzeugend (wobei Paxton davor warnt, den Erklärungswerts dieses Worts zu überschätzen): Trump stützt sich auf eine Bewegung mit großer Ähnlichkeit zu früheren faschistischen Bewegungen, die er möglicherweise selbst so nicht vorausgesehen hat. Diese Bewegung lehnt die traditionellen Parteien ab. Trump hat am 6. Januar 2020 gezeigt, dass er zur Gewalt gegen demokratische Institutionen bereit ist, und seine damalige Niederlage nie anerkannt. Auch Paxtons Einschätzung, dass nicht eine Ideologie bestimmt, was faschistisch ist, halte ich für zutreffend. Trumps konsumistische Versprechen haben nicht viel Ähnlichkeit mit dem Heroismus des Faschismus der 30er Jahre, sehr wohl aber seine Ablehnung dessen, was er „deep state“ nennt und was damals „System“ genannt wurde.
Auch die faschistischen Regime der 30er Jahre wurden nicht von Massenbewegungen unterstützt, weil sie einen Krieg versprachen, sondern weil sie auf nationale Stärke (gegen andere und gegen Schwächere) setzten und vor allem vom jeweiligen Führer Verbesserung der Lebensumstände durch Mobilisierung und Entmachtung maroder, langsamer Institutionen erhofften.
Diese nationalistische Mobilisierung auf Kosten anderer sehe ich als das Faschistische Trumps oder des Trumpismus. Mobilisiert wird nicht für einen Krieg, sondern für eine Beschleunigung des „ökonomischen Prozesses“ in den USA, für Wachstum um jeden Preis. Wie die Faschisten der Zwischenkriegszeit verspricht Trump eine ungehemmte Modernisierung gegen „das Alte“.
Die Anhängerschaft Trumps erwarten von dieser Mobilisierung bessere Lebensumstände und eine Befreiung von den Problemen, die die demokratische Politik nicht lösen kann. Die Profiteure – die Fossilindustrie, die Internet-Milliardäre und die mit ihnen verbundenen Gruppen des US-Kapitals – erwarten, dass sie ungebremst Geschäfte machen können. Sie haben mit Trump einen offen korrupten und kriminellen Regierungschef, der ihre Interessen gegen jeden Widerstand durchsetzen wird.
Autoritäre Herrschaft und Science-Fiction-Modernisierung
Die Faschisten damals kämpften gegen die Linke und den Sozialismus. Die Faschisten von heute kämpfen gegen ökologische Gerechtigkeit. Sie kämpfen vor allem für ungebremste Förderung und Verwendung fossiler Energien und für ungebremste „Digitalisierung“ – als wenn es nur eine, nämlich von US-Monopolen gesteuerte und kontrollierte Verwendung digitialer Technologien gäbe.
Von den postkommunistischen autoritären Führern unterscheidet Trump unter anderem die enorme Kapitalkonzentration in den USA und die mit ihr verbundene Macht. Trump stützt sich nicht nur auf eine Fossilindustrie, die auch unter den demokratischen Präsidenten der letzten Jahre an Bedeutung gewonnen hat, sondern auf Unternehmen, die weltweit kaum Konkurrenz haben. Es zeichnet sich ab, dass Tech Bros wie Elon Musk und Peter Thiel Schlüsselpositionen im Trump-Regime einnehmen werden. Trump hat damit eine viel stärkere Ausgangsposition als andere Autokraten. Er hat weitergehende Möglichkeiten zur medialen Desinformation und zur Kontrolle, und er kann eine Science-Fiction-Modernisierung versprechen, die an amerikanische Archetypen von der Eroberung des Unbekannten anschließen. Die antidemokratischen Ziele von Peter Thiel hat Armin Thurnher schon vor einiger Zeit beschrieben, auch der Standard hat ihn gerade portraitiert, weil Thiel direkten Einfluss auf den zukünftigen Vizepräseidenten Vance hat. Vor der Herrschaft der Tech Broligarchs hat Carol Cadwalldr gewarnt.
Das autoritäre Regime, das die Trump-Gefolgschaft vorbereitet, wird ungleich wirkungsvoller die Ziele der ersten Trump-Präsidentschaft verfolgen, die Bruno Latour – der fast jede Ähnlichkeit des Trumpismus mit dem Faschismus der 30er Jahre zurückweist – so beschrieben hat:
Diejenigen, für die Trump arbeitet, bilden jene winzigen Eliten, denen schon zu Beginn der achtziger Jahre aufgegangen war, dass es für sie selbst und für die übrigen neun Milliarden Zu-kurz-Gekommene nicht genug Platz geben würde… Vergessen wir aber nicht, was der Grund des Ganzen ist: Trump ist Präsident des Landes, das durch eine Rückkehr zur Realität am meisten zu verlieren hatte; dessen materielle Infrastrukturen am schwierigsten rasch neu auszurichten sind… Die Vereinigten Staaten haben das Hindernis erkannt und, wie es in der Reitersprache heißt, bocken … Und mit dieser großen Weigerung müssen die anderen leben [Latour, B. (2018). Das terrestrische Manifest (B. Schwibs, Übers.; Deutsche Erstausgabe). Suhrkamp, p.48/49].
Das Regime, das die Trump-Anhänger durchsetzen wollen, ist die Antithese zu einer Politik, die auf eine gemeinsame Welt ausgerichtet ist. Es geht von einer harten geopolitischen Konkurrenzsituation aus – aber nicht um zu wenige zur Verfügung stehende Ressourcen, für deren Gewinn man Eroberungskriege führen müsste, sondern um die Möglichkeit, die eigene destruktive Wirtschaft trotz der ökologischen und sozialen Folgen weiterzuführen, die sie für Schwächere vor allem in anderen Ländern mit sich bringt. Vielleicht sind die Gemeinsamkeiten und die großen Unterschiede zwischen dieser geopolitischen Konfliktsituation und früheren der Grund für die Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten der Trump-Bewegung und der autoritären populistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit.