Seit einer Woche will ich etwas über Schirrmachers Payback schreiben, komme aber nicht weiter. Vielleicht habe ich zu unaufmerksam gelesen—vielleicht bin ich der Informationüberflutung erlegen, die uns, wie Schirrmacher schreibt, das geduldige Lesen fast unmöglich macht. Jedenfalls fällt es mir schwer, zu Schirrmacher etwas Zusammenhängendes zu schreiben, weil ich nicht genug Zusammenhänge in seinem Buch sehe.
Algorithmen und Geist: Ich versuche es: Thema ist die Beziehung zwischen Computer und Gehirn. Schirrmacher interessieren die Folgen der Digitalisierung für den Geist. Assoziativ behandelt er neurowissenschaftliche Forschungen, die sich mit den Auswirkungen des Computers auf die Psyche beschäftigen, und auch Visionen in der Computerindustrie, die die Benutzer den Apparaten untertan machen wollen. Schirrmacher besteht auf dem Unterschied zwischen Psyche und Computer; er fordert, dass sich Menschen nicht nach der Metapher des Rechners begreifen.
Matrix und Glasperlenspiel: Schirmacher formuliert eine negative und eine positive Utopie. Die negative: Die in der Cloud vernetzte Hard- und Software übernimmt die Macht über die Gesellschaft, steuert Menschen im Stil der Matrix, weil sie sie zuvor durch perfekte Befriedigung selbst ihrer geheimsten Wünsche willenlos gemacht hat. Die positive: Die Computer entlasten die Menschen von allen Tätigkeiten, die nach Algorithmen ablaufen. Der Geist kann sich auf das konzentrieren, wozu Computer nie fähig sein werden: neue Perspektiven zu entwickeln, das wachsende Wissen wie in Hesses Glasperlenspiel zu genießen, ohne sich von ihm abhängig zu machen.
Der googelnde Glasperlenspieler: Von jeder Beobachtung eilt Schirrmacher zum nächsten Fundstück weiter. Der Leser kann nicht mithalten, ist aber dankbar für die vielen Anregungen. (Statt zu schreiben, habe ich eben zwei Stunden in Schirrmachers Literaturverzeichnis geblättert, Quellen gesucht und Bücher von Maryanne Wolf, Ellen Langer und Roger Penrose bestellt, einigen von Schirrmachers Kronzeugen.)
Im leeren Raum: Manche Gedanken des Buchs sind trivial, manche hat man schon gelesen, z.B. bei Günther Anders, viele verdienen es, ausformuliert zu werden. Darum muss sich der Leser bemühen: Schirrmacher hat einen Essay, keinen Traktat geschrieben. Ein Manko seines Buchs scheint mir, dass es Computer und Geist im leeren Raum aufeinander prallen lässt. Die Soziologie hat es dem Autor nicht angetan. Wie sich Menschen und Computer tatsächlich miteinander vergesellschaften, damit beschäftigt sich Schirrmacher höchstens am Rande. Vielleicht hätten ihn Überlegungen zur Soziologie der Computer vor einigen apokalyptischen Übersteigerungen geschützt. Aber man soll einem Autor nicht vorwerfen, was er nicht geschrieben hat—und was Schirrmacher geschrieben hat, ist weit von der üblichen Verdammung oder Glorifizierung der Digitalisierung entfernt.
bemerkenswerte Analyse!
Ich halte Schirrmachers Buch bemerkenswert und es macht mir teilweise Angst, weil es aufzeigt, wie intensiv wir Computer bzw. Maschinen nutzen (bzw. Maschinen uns nutzen) und wie viel Lebenszeit wir damit verbringen. Das mag relativ trivial klingen, aber ich finde es schon bemerkenswert, wie sehr sich meine/unsere Mediennutzungsgewohnheiten in den letzten, sagen wir, fünf Jahren verändert haben.
weitere Anmerkungen:
– Ich teile Deine Ansicht, dass Schirrmacher – eher journalistisch als wissenschaftlich – herumspringt und Dinge verknüpft, die mE nicht wirklich zusammenhängen.
– Ich glaube, dass wir das Heft – noch – in der Hand haben und wir die Maschinen steuern und nicht die Maschinen uns.
– Ich teile Schirrmachers Befund einer permanenten Alarmbereitschaft, die ich für negativ halte.
– Ich teile den Befund einer Veränderung bzw. auch einer Verarmung zwischenmenschlicher Kommunikation unter dem Aspekt, dass diese Veränderung nicht menschengerecht ist bzw. unsere Psyche überforder bzw. auch unterfordert.
– Ich glaube, dass wir zu wenig Zeit haben, um das Informationsaufkommen zu verarbeiten bzw. unser Gehirn mit diesem Informationsaufkommen – noch – überfordert ist.
– Ich glaube an die Überlegenheit des menschlichen Gehirns gegenüber Maschinen.
– und ich glaube schlussendlich, dass wir uns mehr Gedanken darüber machen, was wir eigentlich tun und womit wir unsere Zeit verbringen – in Anbetracht dessen ist Schirrmachers Buch ein Geschenk!