Ich suche für eine Lehrveranstaltung über Video im Web nach Material zur Ästhetik von Web-Videos
, also nach Antworten auf die Frage, wann Videos im Web funktionieren und wann nicht. Dieses Posting ist eine erste Sammlung.
Meine Ausgangspunkte sind Roman Mischels ausführliche Diskussion der Video-Aktivitäten der Online-Ableger von Tageszeitungen und Wochenzeitschriften und dieses Interview mit Travis Fox, der Videos für die Washington Post produziert und dafür schon wichtige Preise gewonnen hat. Bei Mischel erfährt man anhand einer Fülle von Beispielen, was der state of the art in Deutschland ist; Fox beschreibt wichtige Unterschiede zwischen TV- und Web-Video. (Ich habe das Interview in einem älteren Posting zusammengefasst.)
Gute Ergänzung: Roman Mischels und Markus Bönischs Weblog videojournalismus.net weist auf eine Hausarbeit (pdf) Thomas Majchrzaks über Qualitätsmängel im Videojournalismus hin. Majrzak analysiert typische Fehler von Web-Videos, etwa wackelnde, zu dunkle oder zu helle Bilder und unverständlichen Ton.
Beispiele:
Als positive Beispiele nennt Mischel unter anderem die Online-Videos der Ostfriesischen Nachrichten und die Videos von Lennart Laberenz und Christoph Hartmann in der Zeit, z.B. Kamerad Nachbar. Mischel beschäftigt sich nicht ausdrücklich mit den Unterschieden zwischen Web- und TV-Videos; seine Positivbeispiele illustrieren aber auch die Faustregeln von Travis Fox: Ruhige Bilder, am besten mit Stativ aufgenommen; Nahaufnahmen; trotzdem so viel Bewegung wie möglich. Video im Web läuft meist in kleinen Fenstern, so dass man die Details bei Totalen kaum wahrnimmt; auߟerdem pixeln Videos auf langsamen Geräten schnell aus. Man kann vielleicht sagen, dass Video im Web flächiger sein muss als Fernsehbilder. Durch das kleine Format spielt das Audio eine noch wichtigere Rolle als im Fernsehen; eines der Negativbeipiele Mischels (Bitburg: Evakuierung nach Bombenfund) zeichnet sich nicht zuletzt durch das Fehlen von Sprechertext aus.
Von einer Ästhetik der Fläche könnte man bei Travis Fox‘ eigenen Videos sprechen, etwa bei den Gesichtern in seinem Nightmare in Eastern Burma.
Flächigkeit, Nähe zum signifikanten Detail und Sound sind übrigens auch für die Wirkung des berühmt gewordenen Web 2.0-Videos von Michael Wesch mitverantwortlich:
Gute Hinweise zum Thema Video im Web aus der Perspektive des Lehrers (auch die auf Travis Fox und Kevin Anderson, s.u.) habe ich mehrfach im Weblog von Mindy McAdams gefunden. In einem ihrer letzten Postings weist sie auf den Foto- und Videojournalisten Mike De Sisti hin: unprätentiöser und sympathischer Video-Lokaljournalismus. De Sistis Videos sind gute Beispiele dafür, was mit einfachen Mitteln möglich ist. Von einem Travis Fox lässt sich sicher viel lernen, aber um seine Themen und Produktionsbedingungen können ihn Autoren, die ihre Aufträge nicht von der Post
erhalten, nur beneiden.
Weblogs
Inzwischen beschäftigen sich mehrere deutschsprachige Weblogs mit digitalem Video und Video fürs Web. Auߟer videojournalismus.net sind Digitaler Film von Bertram Gugel und Roman Mischels r73.net über Videojournalismus und artverwandte Themen wichtig: alle drei behandeln die technischen, wirtschaftlichen und inhaltlich-ästhetischen Aspekte des Themas.
Emanzipation des Web-Video
Man kann nach der Qualität von Videos im Web auf drei Ebenen fragen: Grundregeln gelten für jede Art von Video: verwackelte und falsch belichtete Bilder stören auf allen Plattformen. Eine weitere Gruppe von Regeln ergibt sich aus den gegenwärtigen technischen Bedingungen: die Bandbreiten und Rechenkapazitäten reichen meist für bildschirmfüllende bewegte Bilder nicht aus. Diese Regeln werden sich mit der technischen Weiterentwicklung ändern. Auf einer dritten eben stellt sich die Frage nach Besonderheiten des Video im Web als einem interaktiven, dezentralen Medium. Im Moment ist Video im Web vielfach noch schlecht imitiertes Fernsehen; das dürfte sich in den kommendern Jahren ändern.
In den USA und in England findet gerade eine intensive Diskussion über die Unterschiede zwischen Web- und TV-Video statt. Einen guten Einstieg bietet Kevin Andersons Beitrag Rethinking video, rethinking journalism, rethinking priorites
Anderson formuliert Gesichtspunkte, an denen sich die weitere Diskussion orientieren dürfte. Er erwartet vom Videojournalismus im Web, dass er
- die ökonomischen Möglichkeiten der
Prosumer
-Videoproduktion wahrnimmt, statt das TV-Video zu imitieren; - einen Workflow für On-Demand-Video entwickelt, statt sich an der laufenden TV-Videoproduktion für 24-Stunden-Nachrichten zu orientieren;
-
eine
redaktionelle Stimme und Grammatik
entwickelt, die in einer On-Demand-Umgebung funktioniert.
Diesen artikel sollte man der abteilung iptv.orf.at ans herz legen…