Nach den zwei Tagen des Contentstrategie-Events Confab in London bin ich noch benommen. Die dichte Folge von Präsentationen—viele von ihnen erstklassig—ließ kaum Zeit zum Nachdenken. Mit einigen der Vorträge möchte ich mich in den nächsten Wochen ausführlich beschäftigen, wenn Slides und Videos im Netz stehen. Hier eine Fortsetzung des Überblicks von vorgestern, und zuerst eine kurze Erläuterung zum Event selbst.
Content Strategie ist ein junger Ausdruck. Er steht für etwas, das die Vertreterinnen und Vertreter der Contentstrategie meist als Disziplin bezeichnen: eine zusammenhängende Methodik, um die digitalen Inhalte von Organisationen zu strukturieren, zu pflegen und zu entwickeln. Contentstrateginnen und -strategen betreuen und verantworten die Kommunikation von Firmen und Organisationen im Netz redaktionell. Sie verstehen ihre Tätigkeit als Profession, der sie in Unternehmen und Agenturen nachgehen. Sie haben ein Wissenskorpus entwickelt, in das inzwischen eine ganze Reihe von (fast durchgängig englischen) Büchern einführen. Sie tauschen sich in einer internationalen Community online und offline aus. Die Confab ist wohl das wichtigste Offline-Event für die Contentstrategie-Community. Confabs finden inzwischen regelmäßig in den USA und mit der Confab London 2013 zum ersten Mal auch in Europa statt. Organisatorischer Motor der Confab und fast auch der Community insgesamt ist die Agentur Brain Traffic mit ihrer Chefin Kristina Halvorson. Brain Traffic hat auch die Confab London organisiert, unterstützt von Jonathan Kahn, der—ich habe es schon im letzten Post erwähnt—in Großbritannien eine aktive Content-Strategie-Community aufgebaut hat.
Die Confab London war ein Motivations-, Weiterbildungs und Marketing-Event für die internationale Content Strategy-Community. Man erlebte bekannte Vertreterinnen der Contentstategie—fast alle sind Frauen—aus der Nähe, erfuhr viel über den aktuellen Stand der Disziplin und man konnte in den exzellenten Präsentationen lernen, wie man für Contentstrategie wirbt und sie vermittelt. Zu Diskussionen kam es dabei nur am Rande der Präsentationen im Londoner Mermaid-Konferenzzentrum—das ist mein einziger Kritikpunkt. Dafür erlebte man eine Präsentationskultur, die es auf dem Kontinent so kaum gibt.
Für mich blieb Empathie auch am zweiten Tag das Schlüsselwort der Confab. Er begann mit einer Präsentation von Ginny Redish, die mit Letting Go of the Words ein legendäres Buch über das Texten für das Web geschrieben hat. Sie ist eine sehr gute, sehr geduldige, sehr genaue und sehr witzige Lehrerin. Mit einfachen Fragen und Beispielen zeigte sie, wie Einfühlung in den Leser einen Text lesbar und attraktiv macht—das Gegenteil des üblichen menschenfeindlichen Wortschwalls unprofessionell geschriebener Online-Texte. In der Abschluss-Keynote schlug Ann Handley eine Brücke zum Content Marketing. Sie zeigte, dass Firmen Marketing-Inhalte im Blindflug entwickeln, wenn sie sich nicht an den unmittelbaren Bedürfnissen und Gefühlen ihrer Nutzer orientieren—und das heisst, wenn sie nicht versuchen, diese Gefühle und Bedürfnisse kennenzulernen und zu ihrer Sache zu machen. Nur durch Empathie funktioniert aber auch die erzählerische Strategie der Quest (Suche), die Matt Thompson bravourös als Muster für die lange Form im Web präsentierte. Erin Kissane—für mich der interessanteste intellektuelle Kopf der Contentstrategie-Community—bestand darauf, dass sich Empathie als redaktionelle Tugend nicht durch Daten ersetzen lässt. Und für April Osmanof unterscheidet das Verständnis für die jungen Benutzer, ihre Lebenswelten und Online-Gewohnheiten erfolgreiche Universitäts-Websites vom bürokratischen Verlautbarungsstil der Alten Garde.
Narrative Strukturen, Storytelling, waren ein weiteres wichtiges Thema des Tags gestern. Den Vortrag über die Quest habe ich schon erwähnt. Matt Thompson beschwor die unterschiedlichen Formen der Quest, von antiken Epen bis zu Harry Potter. Die Pointe seines Vortrags bildete aber die Aussage, dass sich die Quest auch als Muster für partizipative Erzählformen im weitesten Sinn eignet, bis hin zur Organisation einer Kickstarter-Kampagne als Quest. Die Teilnehmer gestalten nicht nur eine Erzählung mit, sie werden selbst zu Personen dieser Erzählung. Auch Rob Hinchcliffe beschäftigte sich am Nachmittag mit kollektiv vorangetriebenen Erzählungen, vor allem mit crossmedialen Projekten. Nur ein Signal für neue Erzählformate, die hier entstehen: Online-Spiele, bei denen man nicht für das Spiel bezahlt, sondern dafür, dass man seine Entwicklung mitbeeinflusst.
Einen dritten Schwerpunkt des zweiten Tages bildete Contentstrategie als Teil einer Unternehmensstrategie. Mathew Varghese beschrieb, wie man Manager und Controller davon überzeugen kann, Content und Contentstrategen nicht als Ressource, sondern als strategische Innovation zu betrachten: Unter anderem dadurch, nicht von Content, sondern von Konversion zu sprechen. Beeindruckt hat mich und viele im Publikum der Vortrag von Gerhard Arnhofer. Als einer der ersten großen Kunden von Brain Traffic beschrieb er anschaulich, witzig und konkret, wie Merck dazu überging, eine Content-Plattform als eigenes globales Produkt zu verstehen, und welchen Erfolg diese Plattform hatte. Ich vermute, diese einfache Sicht des Inhalts als eines Produkts oder Service mit relativ leicht zu überprüfenden Kosten (bei der Merck-Plattform soll ein Klick eines Users nicht mehr als einen Dollar kosten) verspricht für die Argumentation in vielen Unternehmen am ehesten Erfolg.
Mit welchen Gedanken fliege ich jetzt aus London zurück? Einerseits ist mir klar, dass ich mich an der FH mehr als bisher auf Contentstrategie fokussieren werde, also meine Lehre um sie herum organisieren werde. Für die Ausbildung der Studenten am Studiengang und für die lokale Wirtschaft sehe ich hier das wichtigste Thema in meinem Bereich, und Contentstrategie ist ein so weites Feld, dass man sich auf sie konzentrieren muss, um wirklich produktiv zu sein. Andererseits wird mir noch klarer, wie groß der Abstand zwischen Contentstrategie als einer relativ weit entwickelten professionellen Disziplin im angelsächsischen Raum und den ersten Ansätzen in Österreich und Deutschland ist. Um diesen Abstand zu verringern ist es wichtig, auch bei uns eine Contentstrategie-Community aufzubauen und an eigenen Best Practice-Beispielen zu arbeiten. Ich hoffe, dass wir dazu an unserer Hochschule einen Beitrag leisten können.