Alan Murray schreibt im Wall Street Journal über The End of Management. Auch wenn Murrays Thema nicht das Web ist—man kann durch seinen Artikel besser verstehen, was im Web anders ist als bei den Massenmedien des Industriezeitalters. Dazu muss man sich nicht in die Managementlehre und Betriebswirtschaft wagen, sondern nur zeigen, dass Murrays Thesen sich als Beschreibung wichtiger Eigenschaften des Webs lesen lassen.
Der Titel von Alan Murrays Artikel dürfte auf viele Leser des Wall Street Journals ähnlich wirken wie ein Pistolenschuss. Dabei handelt es sich nicht um eine journalistische Meinungsäußerung unter vielen, sondern um einen Auszug aus dem Wall Street Journal Essential Guide to Management, also um eine Publikation mit der ganzen Autorität dieses Blatts. Murray beschreibt, dass nicht nur bestimmte Managementtheorien an ihr Ende gekommen sind, sondern dass das Konzept des zentralisierten Managements großer Organisationen als solches immer weniger funktioniert.
Die Sargträger der Firmenbürkratie: Wachsendes Innovationstempo und sinkende Transaktionskosten
Zwei Entwicklungen sind nach Murray dafür verantwortlich, dass die effiziente, hierarchische Organisation einer großen Firma vom Wettbewerbsvorteil zum Blockadefaktor wird: Die wachsende Bedeutung von Innovationen, die meist außerhalb der großen Organisationen entstehen, und das Sinken der Transaktionskosten durch die globale Vernetzung. Murray beruft sich auf Clayton M. Christensens The innovator’s dilemma, in dem Christensen sich mit den Folgen disruptiver Technologien beschäftigt. Und er verweist mit Argumenten, die an Yochai Benklers Aufsatz Coase’s Penguin, or Linux and the Nature of the Firm erinnern, darauf, dass die Transaktionskosten für komplexe Organisationen durch internetbasierte Kooperationen drastisch sinken. Das zentralisierte Management, die Firmenbürokratie, wird also zum einen überholt, weil sie zu langsam für den Markt ist, und zum anderen überflüssig, weil sich flexible ad-hoc-Organisationen leicht ohne zentrale Steuerung formieren können.
Das Web als Umgebung für technische Innovation und kostenlose Vernetzung
Murray schreibt in seinem Artikeln nicht über das Web, aber in einigen Passagen über das Internet als ganzes. Doch gerade das Web, der hypermediale Teils des Internet—wenn man so will: die mediale Seite des Netzes—ist Teil der Entwicklung, die Murray darstellt. Das Web ist eine andere Umgebung für Medien als die traditionellen, territorial organisierten Märkte, auf die Verlagshäuser und Sendeanstalten eingestellt sind. Diese Umgebung ist einerseits von permanenten technischen Innovationen bestimmt, sie provoziert diese Innovationen. Und andererseits sinken die Transaktionskosten im Web speziell für die Produktion von medialen Inhalten. Diese beiden Faktoren: schneller, disruptiver Fortschritt hier, kollektive, offene Produktion von Inhalten dort, sind die Ursache dafür, dass Medienunternehmen im Web mit wenigen Ausnahmen nur Erfolg haben, wo sie sich dessen Logik beugen und ihre Inhalte gratis distribuieren, also genau das tun, wozu man im Web kein Unternehmen, keine Großorganisation, keinen Verlag mehr braucht.
Das Web beseitigt Innovationshürden
Das Web ist auf Innovation angelegt, weil es, etwas vereinfacht gesagt, nur miteinander kommunizierende Köpfe braucht, um sich zu verändern. Innovation im Web ist zu einem großen Teil Softwareentwicklung. Das Web stellt die Infrastruktur für neue Produkte weltweit jedem zur Verfügung, und zwar sowohl für die Produktion wie für den Betrieb und die Kommunikation.
Die technische Innovation betrifft die Formate, in denen Inhalte produziert werden—von der Datenbank mit Politikereinkünften bis zum High Quality-Video, das mit einer digitalen Spiegelreflexkamera hergestellt wird. Sie betrifft die Distribution dieser Inhalte—speziell die verschiedenen Technologien für Newsfeeds und Suche, durch die digitale Inhalte die Benutzer erreichen. Und sie betrifft die soziale Organisation dieser Inhalte, die immer mehr Sache webgestützter Kooperation—man könnte auch sagen: Sache von sozialen Netzwerken—ist. Wirtschaftlich erfolgreich sind Unternehmen, die Technologie auf diesen Gebieten zur Verfügung stellen, von Adobe (Medienproduktion) über Google oder Twitter (Suche, Nachrichtenfeeds) bis zu Facebook (Soziale Netze).
Das Web als Mittel zur wirksamen Nutzung von Ressourcen
Parallel dazu werden die Inhalte billig, sie kosten tendenziell nichts mehr außer der Aufmerksamkeit der Benutzer, denen man allenfalls noch Werbung unterschieben kann. Dass sie nichts kosten, ist nicht, wie es der Kai Diekmann gesagt hat, der Geburtsfehler des Internet, eher schon seine raison d’être.
Yochai Benkler hat dargestellt, dass im Web die Allokation von Ressourcen vielfach einfach dadurch erfolgt, dass jemand aus intrinsischer Motivation genau das tut, was er am besten kann. Das kann speziell dann, wenn Wissen und kulturelle Güter produziert werden, effektiver sein, als wenn es zentralisierten Organisationen oder dem Markt überlassen bleibt zu bestimmen, wofür wieviel Zeit und Energie aufgewendet wird.
Nicht nur Startups sind das innovative Gegenstück zum bürokratischen Unternehmen. Wenn es um Inhalte und Wissen geht, ist die Commons based peer production oft sowohl der Firma wie dem Markt überlegen—was nicht heisst, dass sie alleine existieren kann. Im Bereich der Medien dürfte dies vor allem die Inhalte betreffen, von der enzyklopädischen Information (Wikipedia) bis zu aktuellen Nachrichten.
Gegenargumente wie „Blogger und Twitterer zitieren vor allem klassische Medien“ liegen auf der Hand. Sie sind aber kurzsichtig, weil diese Entwicklung noch am Anfang steht. Die Zahl der Personen und Organisationen, die aus den unterschiedlichsten Gründen im Web publizieren, wird steigen, und parallel wird die Bedeutung von Firmen, die Inhalte vermarkten, sinken.
Das Ende der Medienunternehmen
Murray schreibt vom Ende des Managements. Übertragen auf Medien und das Web könnte man vom Ende der Medienunternehmen sprechen. Im Web braucht man nicht Medienunternehmen, sondern offene Organisationen von Leuten, die Inhalte produzieren, so wie es die Wikipedia vormacht. Sie müssen die Technologien zur Medienproduktion, -distribution und zur Organisation ihrer Arbeit beherrschen, aber sie benötigen nicht mehr einen Apparat, der für sie die Distribution und Organisation übernimmt.
Als weitere Metapher für „Das Ende des Managememts“ im Web fällt mir als Beispiel ddie Existenz eines 404ers ein – bei der Deep Search Tagung neulich in Wien hat mc shreefel darauf hingeweisen, dass man TimBL gerade deswegen zunächst ausgelacht hat; bisherige Hypertextsysteme seien gedacht gewesen als ein in sich logisch geschlossenes System, in dem es natürlich keine Dead Ends geben darf. mc meinte, dass aber genau der 404er, die Delegation des Managements an die Beteiligung von UserInnen (vgl. dein Hinweis auf Benkler) den entscheidenden Unterschied ausmachte.
Wann machen wir das Web Studies Kolloquium:)?