Mich beschäftigen drei Ereignisse, von denen ich gestern gelesen habe:
- James Lovelock ist an seinem 103. Geburtstag gestorben (Horton, 2022, der Guardian stellt fest, dass die Klimakrise, auf die er die Öffentlichkeit aufmerksam machen wollte, ein Grund dafür war, dass Lovelock so lange aktiv bieb.)
- Die Leopoldina hat ein langes Papier veröffentlicht, das eine Neuorganisation der Erdwissenschaften in Deutschland fordert und in die Erdsystemwissenschaft als eine wissenschaftliche Leitdisziplin einleitet (tagesschau.de, 2022).
- Im Guardian ist ein Artikel über eine Bewegung erschienen, die Besetzungen von Hochschulen und Schulen in vielen Ländern ab dem nächsten Schulstreik im November vorbereitet (End Fossil, 2022).
Lovelock war ein Pionier der Erdsystemwissenschaften und der Begründer eines neuen wissenschaftlichen Paradigmas, das ich vor allem durch Bruno Latour kennengelernt habe. In dem Papier der Leopoldina ist davon die Rede, dass die Erdsystemwissenschaft die Voraussetzungen für die Gestaltung eines Planeten im Wandel schafft (noch vor kurzem hätte man von Gesellschaft im Wandel gesprochen). Die Besetzung von Hochschulen ist für mich eine Konsequenz aus derselben Entwicklung.
Timothy Mitchell schreibt in seinem Buch über fossile Demokratie über die Bergarbeiter, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgreich demokratische Reformen durchsetzen konnten (2011). Die Bergwerke spielten eine entscheidende Rolle für die Wirtschaft und konnten von den Arbeitern tatsächlich blockiert werden. Wenn die Bergarbeiter streikten, stand die Wirtschaft still – deshalb musste auf ihre Forderungen eingegangen werden. Das sei, so Mitchell, entscheidend für ihren Erfolg gewesen, nicht das Bewusstsein von der Notwendigkeit demokratischer Reformen. Das Problem der Klima- und Ökologiebewegung besteht darin, solche Engstellen zu finden: Man kann das Business as Usual nicht ohne solche Engstellen stoppen – offenbar nicht einmal durch zivilen Ungehorsam in Hauptstädten, wie es Extinction Rebellion versucht hat.
Vielleicht sind Hochschulen und die Wissenschaft heute so etwas wie die Bergwerke am Beginn des 20. Jahrhunderts. Ohne sie funktioniert der moderne fossile Kapitalismus nicht (auch nicht ohne Medien und ohne Finanzsystem). Wenn es wirklich gelingen würde, Hochschulen über längere Zeit zu besetzen, und wenn sich die Forschenden und Lehrenden mit den Besetzern solidarisieren würden, könnte das einen großen Schub für die Klimagerechtigkeitsbewegung bedeuten. Hochschulen und Schulen mit der Polizei gegen Studierende, Jugendliche und Forschende und Lehrende zu sichern ist wenigstens in Europa nicht gut vorstellbar. Hochschulen und Schulen zu besetzen wird allein nicht für die notwendige revolutionäre Wende ausreichen, aber es könnte einen wichtigen Schritt zu ihr hin bedeuten.