Die Diskussionen über das Rezo-Video zur Klimakatastrophe und die Doublecheck-Folge über Klimajournalismus haben immer wieder das Thema Journalismus und Aktivismus berührt. Vor allem eher traditionelle Politik-Journalisten werfen Wissenschaftsjournalist:innen, die sich mit Ökologie- und Klimathemen beschäftigen und zugleich auch persönlich für die oder im Umkreis der Klimabewegung engagieren, vor, die Grenzen zwischen Politik und Aktivismus zu überschreiten.
Für mich ist Journalismus eine Form der Geschichtsschreibung—ich habe diesen Gedanken von Mercedes Bunz. Thema ist die Gegenwartsgeschichte, adressiert sind Menschen, die von dieser Geschichte in einem sehr weiten Sinn betroffen sind oder betroffen sein könnten. Geschichte ist nicht zu trennen von Macht, Auseinandersetzungen um Macht und den Konflikten darum, welche Akteure Handlungsmacht haben oder bekommen. Das—jedenfalls für viele—Neue am Klima- oder Ökologiejournalismus ist, dass politische und wirtschaftliche Macht und das, was man bisher als Natur angesehen hat, nicht voneinander getrennt werden können. Natur und Geschichte, Natur und Macht sind miteinander verschränkt. Es gäbe keine politische und wirtschaftliche Macht ohne material flows, und diese material flows verändern sich global durch das politische und wirtschaftliche Handeln. Wer journalistisch arbeitet, wer Gegenwartsgeschichte schreibt, muss sich mit den Interaktionen von Macht und Natur beschäftigen und er muss etwas vom Erdsystem verstehen, zu dem sie gehören.
Wer über Macht schreibt, muss auch über die Mechanismen und Ideologien schreiben, von denen sie abhängt—dazu gehört Kritik der Lügen der Mächtigen und Agierenden. Propaganda und interessengeleitete Darstellungen zu durchschauen und durchschaubar zu machen, ist eine Basis-Aufgabe des Journalismus und jeder kritischen Geschichtsschreibung. Tacitus, der die Formulierung sine ira et studio geprägt hat, hat die Diktatur Neros entlarvt.
Kritische Gegenwartsgeschichtsschreibung im Anthropozän ist auf eine enge Kommunikation mit Wissenschaft (im Sinne von science) angewiesen, um die Agierenden und die Faktoren zu verstehen, die für Macht relevant sind, und um nicht Ideologien und Propaganda zum Opfer zu fallen. Journalismus im Zeitalter ökologischer Zusammenbrüche wie der Klima- und der Biodiversitätskrise ist ohne wissenschaftlich begründete Kritik an den Ideologien der gegenwärtig Mächtigen, also den Ideologien, die zu den Ursachen der gegenwärtigen Krisen gehören, nicht möglich.
Journalistinnen und Journalisten schreiben für ein Publikum, das von den Tatsachen, über die sie berichten, betroffen ist und das selbst agieren kann. Bei Tacitus war das die römische Aristokratie, heute ist es die demokratische Öffentlichkeit. Wenn sie für dieses Publikum die Verschränkungen von Natur, Politik und Wirtschaft analysieren, Agierende namhaft und Propaganda durchschaubar machen, ist das nicht Aktivismus, sondern ihre journalistische Aufgabe. Sie müssen dazu nicht ihre eigene Distanz zu den Ereignissen aufgeben. Aber sie dürfen nicht Tatsachen und Lügen über diese Tatsachen, nur weil sie unbequem sind, verschweigen.