In einer Kolumne im Guardian führt Rebecca Solnit eine Debatte weiter, die schon vor Jahren begonnen hat – die Diskussion zwischen denen, die das 1,5°-Ziel und damit eine Beherrschung der globalen Erhitzung auf einem Niveau vor der globalen Katastrophe für verpasst halten, und denen, die dazu aufrufen, alles zu tun, um es noch zu erreichen, und, wenn das nicht gelingt, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen.
Diese Diskussion ist wie viele ideologische Diskussionen müßig. Sie beruht darauf, einige Tatsachen, die man nicht vernünftig bezweifeln kann, als Argumente für eine Behauptung zu verwenden, die weit über sie hinausgeht und sie in ein Weltbild integriert. Dass rein physikalisch gesehen das 1,5°-Ziel noch zu erreichen ist, ist eine Tatsache, und auch, dass ein Verfehlen dieses Zieles zu Katastrophen führen wird, die alles in den Schatten stellen, was aus der Geschichte bekannt ist. Es ist aber auch eine Tatsache, dass es keine Anzeichen für eine Minderung der Emissionen gibt, die das 1,5°-Ziel erreichbar machen würde. Statt zu sinken, steigen die Emissionen und mit ihnen die Temperaturen weiter.
Antonio Gramsci spricht von dem Gegensatz zwischen Optimismus des Willens und Pessimus der Vernunft. Rebecca Solnit zitiert ihn.
Ich verfolge schon lange täglich die Nachrichten zur Klimapolitik in den westlichen Industrieländern und zur Entwicklung des Klimas – vor allem, um Faktenmaterial für Veranstaltungen und Veröffentlichungen von Extinction Rebellion Österreich zu sammeln. Ich versuche, das unvoreingenommen zu tun, also Meldungen nicht zu unterschlagen, die über Erfolge bei der Reduzierung der Emissionen oder wenigstens der Schaffung der rechtlichen und politischen Voraussetzungen dafür berichten. Trotzdem ergibt sich bei jeder Zusammenstellung von Nachrichten dasselbe Bild: Es gibt fast täglich Berichte über Rekordtemperaturen und dramatische Folgen der globalen Erhitzung – Waldbrände, Überschwemmungen, tropische Stürme, Dürrekatastrophen und Hitzewellen mit vielen Toten auf der Ebene der Tagesereignisse und die fortschreitende Zerstörung von ökologischen Systemen und Kulturlandschaften, die unseren Planeten zu dem machen was er ist, auf der Ebene der langfristigen Trends. Fast täglich gibt es auch neue Meldungen über weitere fossile Entwicklungsprojekte und den Machtzuwachs der Firmen und Regierungen, die diese Projekte vorantreiben und von ihnen profitieren. Und in einer dritten Gruppe von Nachrichten lassen sich Meldungen über Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen zusammenfassen, die in ihrem Missverhältnis zu den Dimensionen der Klimakrise oft fast lächerlich sind, fast immer mit Kompromissen verbunden sind, von denen auch die Fossil-, Agro- und Bauindustrie profitiert, und bei denen es in der Regel um zusätzliche Energien und zusätzliche Investitionen geht, aber nicht um Einschnitte bei den Fossilenergien und den hinter ihnen stehenden Agierenden.
Zu glauben, dass sich diese Tendenzen in wenigen Jahren umkehren lassen, ist unrealistisch. Zu glauben, dass sie sich so umkehren lassen, dass die Kurven zu den Emissionen schneller nach unten gehen als bisher nach oben, ist blind. Und zu glauben, dass sie so schnell nach unten gehen können, wie es nötig wäre, um die Treibhausgasmenge so zu beschränken, dass das 1,5° Ziel noch eingehalten werden kann, wäre tatsächlich, um mit Nicholas Georgescu-Roegen zu sprechen, foolish. Diese Illusion aufrechtzuerhalten hilft nur denen, deren Machtpositionen von dem Glauben abhängen, dass wir uns in der Klimapolitik auf dem richtigen Weg befinden, dass wir uns vielleicht mehr Mühe geben müssen, aber dass die Richtung stimmt.
Der Optimismus des Willens darf nicht dazu führen, diese Tatsachen zu verleugnen. Nicht nur, weil man dann sein Handeln von Illusionen abhängig macht, sondern vor allem, weil man damit zu dem Zu wenig, zu spät beiträgt, das die Katastrophe noch verschlimmert.
Es wäre aber auch ideologisch, die eigene Praxis auf einer Weltsicht aufzubauen, die soziale und gesellschaftliche Entwicklungen für ein unabwendbares Schicksal hält. Wir haben es in der Politik und der Geschichte nicht mit Systemen zu tun, deren Entwicklung sich vorhersagen lässt, sondern mit Strukturen, die so komplex sind, dass auch völlig unerwartete Entwicklungen geben kann (die Corona-Krise war ein Beispiel dafür).
Deshalb glaube ich, dass man politisch auf den Aufbau von kompromisslosen Gegeninstanzen setzen muss, die aktiv werden können, wenn die jetzt Agierenden tatsächlich mit für sie bedrohlichen Krisen konfrontiert sind, und die in Teilbereichen so stark sind, dass sie zu solchen Krisen beitragen können. Wichtig ist, dass diese Gegeninstanzen miteinander vernetzt sind und dass sie sich keine Illusionen darüber machen, mit graduellen Veränderungen die nötige Entmachtung der fossilen Agierenden erreichen zu können. Zu den Teilbereichen, in denen eine aktive Politik möglich ist, können Wissenschaft und Kultur gehören, aber auch Städte und Regionen. Und es kann sein, dass diese Gegeninstanzen einen black-ops wing brauchen, wie ihn Kim Stanley Robinson in seinem Roman beschreibt.
Bei vielen ökologisch Aktiven, auch innerhalb von Extinction Rebellion, gibt es eine Tendenz, sich auf den Zusammenbruch des toxischen Systems vorzubereiten und zu hoffen, dass man danach in kleinen Gruppen alternative Lebensvorstellungen verwirklichen kann. Diese Tendenz hat Ähnlichkeiten mit apokalyptischen religiösen Bewegungen. Sie übersieht, dass sich zwar katastrophale Entwicklungen prognostizieren lassen, dass sich aber fast nie historische Ereignisse vorhersagen lassen, und dass sich niemand aus solchen katastrophalen Entwicklungen ausnehmen kann. Sie unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Illusion einiger Milliardäre, die Klimakatastrophe in Refugien oder vielleicht sogar auf einem anderen Planeten überstehen zu können, und sie ist, wie diese Illusion, unsolidarisch mit denen, die von der Katastrophe am stärksten betroffen sind. Es gibt eine dritte Alternative außer Reformismus und apokalyptischer Starre: Den aktiven und kompromisslosen Widerstand in der – nicht zu beweisenden, aber auch nicht zu widerlegenden – Hoffnung, dass es zu nichtlinearen Entwicklungen in der Politik kommt, dass neue Bündnisse möglich werden und das irgendwann genug Betroffene ihr eigenes Leben gegen die Profiteure eines globalen Desasters verteidigen wollen.