Seit über anderthalb Jahren meditiere ich regelmäßig. Ich verwende Headspace. Ich setze mich morgens für 20 Minuten auf einen Stuhl, folge der Einleitung der Meditation in der App und achte dann meist nur auf meinen eigenen Atem. Ich verzichte fast nie auf die Begleitung durch die App. Ich hab mich an die Stimme und auch viele der Formulierungen Andy Puddicombes. gewöhnt. Seit ein paar Tagen meditiere ich gemeinsam mit Ana.
Bei den meisten Dingen die ich tue, interessiert mich vor allem die Theorie, oft mehr als die Praxis. Beim Meditieren ist es anders. Ich habe außer Texten, die ich zufällig gefunden habe, fast noch nichts darüber gelesen, und ich verspreche mir auch nicht sehr viel davon, mich mit diesem Thema theoretisch zu beschäftigen. Aus einem Text von Sam Harris habe ich die schöne Formulierung im Gedächnis behalten, dass meditieren zu lernen genau so einfach ist wie zu lernen, auf einem gespannten Seil zu gehen: Man muss nur einen Fuß vor den anderen setzen.
Am schwersten fällt mir bei der Meditation, mich nicht anzustrengen. Ich versuche mir Mühe zu geben. Beim body scan, mit dem die Übungen beginnen, konzentriere ich mich auf meinen Körper und bemühe mich etwas festzustellen, dass ich vorher nicht bemerkt habe. Bei der eigentlichen Atemmeditation versuche ich immer wieder, Gedanken zu unterdrücken und einen Zustand zu erreichen, zu dem ich sonst keinen Zugang habe. Je mehr ich mich bemühe, umso weniger komme ich zum Ziel. Ich suche nach dem Besonderen, Nichtalltäglichen, und das führt zur Verkrampfung.
Schon der Ausdruck Meditation ist eigentlich zu hoch gestochen. Andere Ausdrücke, die in meiner App verwendet werden, wie Übung oder sitting in silence sind sympathischer und auch adäquater. Die Übung, die laufende Wiederholung, ermöglicht Beiläufigkeit, Selbstverständlichkeit und Entspanntheit. Davon bin ich noch weit entfernt.
Dass ich jetzt einen Text über Meditation in mein iPad diktiere, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich diese Selbstverständlichkeit auch beim Schreiben erreichen möchte. Beim Meditieren, um es doch so zu nennen, geschieht nichts anderes als im Alltag. Und die Schwierigkeiten, die ich beim Meditieren bemerke, sind dieselben Schwierigkeiten, die ich auch bei anderen Dingen habe. Die Suche nach dem Besonderen und der Zwang sich anzustrengen verhindern oder versperren den Weg zum Ziel. Oder: Die Vorstellung dass dass es einen solchen Weg geben muss und dass er steil und schwierig ist, verhindert zu sehen, wo man schon angekommen ist.
Zu den merkwürdigen oder paradoxen Erfahrungen beim Meditieren gehört, dass es keine einsame Angelegenheit ist. Als ich in einer Übung zum ersten Mal den Ratschlag gehört habe: Überlege dir, für welche Personen in deiner Nähe es besonders wichtig ist, dass du meditierst, war ich überrascht. Ich hatte Meditieren immer als etwas Isoliertes, Persönliches, vielleicht sogar Intimes und Geheimnisvolles verstanden. Aber Meditieren ist keine Angelegenheit des Ich, sondern etwas, bei dem man das Ich zurücktreten lässt oder vom Ich Abstand gewinnt. Damit geht es wie von selbst nicht mehr nur um eine individuelle Erfahrung. In den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass es leichter ist, zu zweit zu meditieren – jedenfalls wenn man es mit einem Menschen tut, dem man nichts vorspielen muss.
Beim Content Strategy Camp in Darmstadt fand eine Sitzung über Achtsamen Content statt. Ich konnte daran leider nicht teilnehmen, aber ich habe mit Swaran Sandhu, der die Session vorgeschlagen hat, kurz unterhalten. Ihn interessiert, wie man mit den Mengen von Inhalten, mit denen man alltäglich konfrontiert ist, und auch mit dem Tempo, dass zu diesen Inhalten gehört, zurecht kommt: Achtsamkeit als Überlebensstrategie in einer von Inhalten überfüllten Alltagswelt. Das passt zu den Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe. Meditieren ist für mich kein Weg weg von einer Realität, die ich ansonsten nicht vertrage. Durch das Meditieren kann ich mich entspannter in einer Wirklichkeit bewegen, die keine Fixpunkte zum Ausruhen anbietet. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Meditation insgesamt und speziell Headspace, das ich benutze, aus diesem Grund in der amerikanischen Tech-Szene sehr beliebt sind. Ich bin froh, dass ich mich auf diese Erfahrung eingelassen habe.