Gestern habe ich im Fernsehen viel über die Ampelkoalition in Deutschland gesehen. Ich habe auch angefangen, den Koalitionsvertrag zu lesen.

Schon seit ein paar Tagen beschäftige ich mich damit, eine Gesprächsreihe zu dokumentieren, die wir bei Extinction Rebellion über die COP26 veranstaltet haben. Dabei versuche ich herauszufinden, ob man zu den Ergebnissen mehr sagen kann, als dass sie einen nicht ausreichenden Schritt in die richtige Richtung darstellen, den man dann danach bewerten kann, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist.

Was ich über den Koalitionsvertrag weiß, kommt mir ähnlich vor wie der Glasgow Climate Pact, zu dem die COP26 geführt hat. Auch hier sind eine ganze Reihe richtiger Maßnahmen aufgeführt, und auch hier ist die ausdrückliche Absicht, das 1,5°-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen. Beide Abkommen haben aber einen entscheidenden Fehler: Sie trennen nicht zwischen Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen und Maßnahmen zu einer Transformation der Wirtschaft. Die Maßnahmen zur Transformation der Wirtschaft sind relativ gut beschrieben (wenn sie auch nicht immer sinnvoll sind—z.B. ist ein CO2-freier Flugverkehr eine Illusion, solange nicht genug Strom für viel dringendere Aufgaben zur Verfügung steht). Was aber geschehen soll, um die Emissionen in der Zeit nach unten zu bringen, auf die es ankommt—nämlich bis 2030—bleibt nebulös. Es wird ideologisch mit einer Modernisierung der Wirtschaft verbunden, die aber eigentlich die Folge und nicht die Voraussetzung der Emissionsreduktion sein müsste. Wenn nicht die eindeutige Priorität darin besteht, Jahr für Jahr weniger Treibhausgase in die Atmosphäre zu pumpen, wird die Verhinderung einer noch größeren Klimakatastrophe dem Zufall, genannt Markt, überlassen.

Die hohen Emissionen in Ländern wie Deutschland und Österreich sind ein Ergebnis des Überkonsums, vor allem des Überkonsums der Wohlhabenden. Dieser Überkonsum ist auch für einen erheblichen Teil der Emissionen in Ländern wie China verantwortlich, deren Produkte wir konsumieren, und die Investitionen unserer Wirtschaft (deren Erträge den Konsum hier weiter erhöhen) treiben ihn weltweit weiter an. Eine Politik, die in diesen Konsum nicht eingreift, z.B. durch Reduzierung der Arbeitszeiten, Obergrenzen für Gehälter und Verbot oder Verteuerung von CO2-intensiven Produkten (Flüge, SUVs, zu große Immobilien), wird auch durch grüne Maßnahmen in den nächsten Jahren nicht auf den Paris-Pfad finden. Spätestens dann aber sind das 1,5° und auch das 2°-Fenster geschlossen. (Zu glauben, dass diese Fenster noch offen sind, ist möglicherweise eine weitere tragische Illusion.)

Ich bin selbst Mitglied der österreichischen Grünen, und ich freue mich, dass Menschen wie Eleonore Gewessler oder Robert Habeck Verantwortung für die Transformation der Wirtschaft haben. Ich halte es aber für gefährlich den Eindruck zu erwecken, dass wir durch einen Mix von grünen Investitionen und Wachstumspolitik (400.000 Wohnungen, Aktienrente, zusätzliche Autos, Förderung der Luftfahrt) adäquat auf die Klimakrise reagieren. Wir werden sie bestenfalls nicht mehr so intensiv vorantreiben wie bisher. Die von Wissenschaftlern genau prognostizierte Corona-Welle zeigt uns gerade, dass unsere Politik auf eindeutig erkennbare Krisen vollkommen inadäquat reagieren kann. Ich fürchte, dass wir beim deutschen Fortschrittsbündnis dasselbe erleben werden.

Ein Kommentar zu “Grüne Illusionen—Zum Ampel-Koalitionsvertrag

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