Wenn die Wiener Linien eine umfassende Content-Strategie entwickeln, dann haben sie am Freitag einen großen Schritt nach vorn gemacht. Mit großem öffentlichen Echo haben sie angekündigt, dass sie ihre Echtzeit-Fahrplan-Daten als Open Data zur Verfügung stellen werden. Alle interessierten Entwickler können dann auf der Basis dieser Daten Anwendungen entwickeln. Die Entscheidung ist ein Sieg für Robert Harm und viele Mitstreiter, die seit Jahren dafür eintreten, dass öffentliche Daten frei von der Öffentlichkeit genutzt werden können. Die Ankündigung zeigt aber auch, dass die Wiener Linien begriffen haben, dass Inhalte—in diesem Fall Daten—heute zu den Produkten und Dienstleistungen eines Unternehmens und damit in seine Markenstrategie gehören.

Anfang der Woche war ich bei der Contentstragtegie-Konferenz Confab in London. Die Vorträge wirken bei mir noch nach. Mich interessiert an der Entscheidung der Wiener Linien vor allem der Stoff zum Nachdenken, den sie für Contentstrategen bietet, zum Beispiel:

  • Offene Daten als Beispiel für relevante Inhalte von Organisationen,
  • Offene Daten als Beispiel für die Trennung von Inhalt und Präsentation,
  • Offene Daten als Beispiel für die redaktionelle Aufbereitung von Inhalten für die Nutzer.

Offene Daten: ein Beispiel für relevanten Content

Bei den Wiener Linien fallen Open Data-Strategie und ein wichtiger Teil der Contentstrategie zusammen. Man kann das als Ausgangspunkt benutzen, um über die Inhalte nachzudenken, die Unternehmen und vor allem öffentliche Unternehmen publizieren sollten, weil sie von den Benutzen gebraucht werden. Jede Organisation muss sich heute fragen lassen, auf welche der Inhalte, die bei ihren Kernprozessen entstehen, die Öffentlichkeit einen Anspruch hat und welche Inhalte von der Öffentlichkeit am meisten gebraucht werden. Die Veröffentlichung dieser Inhalte ist in vielen Fallen weit mehr als eine gut gemeinte Aktion der Unternehmensleitung. Sie trägt dazu bei, dem Unternehmen die licence to operate zu sichern, von der Thomas Pleil spricht. Durch Transparenz und durch den Nutzen, den sie stiften, legitimieren die öffentlichen Inhalte die Tätigkeit des Unternehmens. Übertragen auf Bildungseinrichtungen konnte das zum Beispiel bedeuten, dass eine Hochschule, die ihre Lernmaterialien frei publiziert, mit größerer Legitimität operiert als eine Einrichtung, die intransparent arbeitet und die Interessen von Gruppen ignoriert, die nicht ihre unmittelbaren Kunden sind.

Offene Daten als Beispiel für die Trennung von Inhalt und Präsentation

Aus der Sicht der Contentstrategie ist auch ein anderer Aspekt der Entscheidung der Wiener Linien und der Open Data-Bewegung interessant. Open Data werden so publiziert, dass Programmierer mit ihnen Applikationen entwickeln können. Eine Institution oder Organisation, die Open Data publiziert, gibt einen Teil der Kontrolle über ihre Daten ab. Sie konzentriert sich auf die Inhalte statt auf die Präsentation. Ein Grund dafür ist, dass die Eigentümer von Daten nicht unbedingt am besten erkennen, was mit diesen Daten gemacht werden kann. Ein damit verwandter, dass Communities und Märkte oft kreativere und besser am Nutzer orientierte Lösungen entwickeln als die Bürokratien von Firmen und Organisationen. Dieses Prinzip lässt sich auf viele andere Inhalte erweitern. Wenn Inhalte relevant sind, werden oft Außenstehende am besten erkennen, was mit ihnen gemacht werden kann. Wer Inhalte publiziert, sollte sich immer fragen, ob er nicht am besten ein Content API anbietet, wie es der Guardian bei Zeitungen vorgemacht hat. Außerdem sollte er durch Lizenzen (wie Creative Commons) sicherstellen, dass die Inhalte verändert und rekombiniert werden können.

Offene Daten als Beispiel für redaktionelle Aufbereitung von Inhalten

Inhalte im Web sind am besten nutzbar, wenn sie strukturiert und gut beschrieben sind—nur dann lassen sie sich von der Präsentation trennen. Die Aufbereitung und Publikation von Inhalten als Daten hat Folgen für die Inhalte. Die redaktionellen Prozesse sind anders als bei direkt für ein Publikationsformat (z.B. eine Magazingeschichte oder eine Meldung) entwickelten Inhalten. Hier unterscheidet sich die Arbeit von Contentstrategen von der traditioneller Redakteure, die formatorientiert arbeiten. Offenbar beschäftigt sich z.B. Erin Kissane gerade intensiv mit den Aufgaben von Contentstrategen bei der Publikation von Daten. Ich vermute, dass die nutzergerechte Publikation von Daten und strukturierten Inhalten eines der wichtigsten Themen für die Entwicklung der Contentstrategie in den kommenden Jahren sein wird.

Unternehmens-Inhalte wie Open Data publizieren

Zwischen den Themen Contentstrategie und Offene Daten gibt es einige Brücken. Contentstrategie und Open Data-Bewegung können viel voneinander lernen. Wichtige Aspekte für Contentstrategen:

  • Firmen und Organisation sollten sich bei ihrer Contentstrategie auf die Inhalte konzentrieren, die bei ihren Kernprozessen anfallen und für andere relevant sind.
  • Sie sollten die Nutzbarkeit der Inhalte nicht durch Publikationsformate verringern, sondern Wiedernutzungsmöglichkeiten erleichtern. Und:
  • Sie sollten sich redaktionell auf die Struktur und nutzergerechte Aufbereitung der Inhalte konzentrieren.

Ein Kommentar zu “Open Data und Contentstrategie—zur Entscheidung der Wiener Linien

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