Ich habe gestern etwas über die Spaltung in den westlichen Gesellschaften notiert: Auf der einen Seite die, die schon mehr oder weniger in der postindustriellen Gesellschaft leben, und auf der anderen Seite die, die in den geschlossenen Nationalstaaten des 20. Jahrhunderts leben wollen. Wenn die Situation heute Ähnlichkeit mit dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hat, dann vielleicht am ehesten deshalb: Auch damals sind große Teile der Bevölkerung nicht mitgekommen oder nicht mitgenommen worden und haben auf rückwärtsgewandte und scheinbar starke Führungsfiguren mit grotesken Ideologien vertraut. Ich will damit nicht sagen, dass ich die Veränderungen in der Gegenwart als linearen Fortschritt interpretiere. Ich benutze auch den Ausdruck Gesellschaft nur näherungsweise.
Wenn diese Spaltungs-Annahme stimmt, dann hat sie Folgen dafür, wie man den Anteil der sozialen Medien am Aufstieg von Trump, Strache, Salvini und Co. interpretiert. Es liegt nahe, soziale Medien für eine Ursache dieser Entwicklungen zu halten und von einer spezifischen Toxizität dieser Medien auszugehen. Es ist auch keine Frage, dass alle rechten Bewegungen massiv auf soziale Medien zurückgreifen, viel erfolgreicher und geschickter als die meisten liberalen oder linken Strömungen. Soziale Medien und besonders die schnelle Verstärkung durch die algorithmische Distribution machen es sehr leicht, toxische Botschaften zu verbreiten.
Ich glaube trotzdem, dass es mechanistisch und verkürzt ist, die sozialen Medien zu Hauptschuldigen an den populistischen Bewegungen zu erklären. Die toxische Wirkung haben sie eben nur in einem Teil der Gesellschaft, und das oft gesteuert von Leuten, die nicht zu diesem Teil gehören. Man übersieht gerne, dass Medien nicht einfach nach einem Reiz-Reaktionsschema funktionieren, sondern sozial interpretiert werden. Sie erreichen nicht Individuen, die sie in eine bestimmte Richtung stoßen wie feste Körper in einen Physikexperiment, sondern Menschen, die in sozialen Netzwerken leben und in diesen Netzwerken ihre Situation interpretieren. Diese Interpretation wird durch die Medien verstärkt, aber ohne diese Interpretation wird kein medialer Inhalt verstanden.
In diesem Zusammenhang ist mir wieder der empirisch gut belegte Artikel Stop blaming Facebook for Trump’s election win von 2016 eingefallen. Darin schreiben Keith N Hampton und Eszter Hargittai:
What is to be done? Sure, let’s improve the algorithms behind social media and search engines. But lest we forget, the roots of intolerance are tied to inequality, and it was inequality and intolerance that decided this election. The narrow majority of those who elected Donald Trump into office are led by those who are the most disconnected, on and offline.
Die toxischen Botschaften verbreiten sich genau da, wo es bereits toxische Interpretationen gibt. Wenn man jetzt auf die sozialen Medien einschlägt, blendet man diese Interpretationen weg. Rechtspopulistische und autoritäre Bewegungen können sehr gut auch ohne soziale Medien funktionieren. Bekämpfen muss man, meine ich, nicht die sozialen Medien, sondern die, die sie gezielt zur Verbreitung von Lügen und Hass nutzen, hier in Österreich also vor allem die FPÖ. Hauptsächlich den Hass in sozialen Medien zu thematisieren, lenkt davon ab. Erfolg wird der Kampf gegen die Verantwortlichen für toxische Inhalte aber nur sein, wenn sie nicht mehr auf einen fruchtbaren Boden fallen—wenn die Teile der Gesellschaft gegen sie resistenter werden, die nicht von den im weitesten Sinne liberalen Medien und Botschaften, von den Mainstream–Medien erreicht werden. Dafür Konzepte zu entwickeln ist viel schwieriger, als Social Media zu Hauptschuldigen am Rechtspopulismus zu erklären.
Ich sehe das sehr ähnlich, würde aber weitaus schärfer formulieren:
Man darf auf gar keinen Fall die Medien(technologie) selbst bekämpfen, sondern immer nur diejenigen rechtlich, die sie rechtswidrig einsetzen, und diejenigen mit Bildung, die sie (auch 2018 immer noch nicht) richtig einordnen und selbst einsetzen können.
Danke, Gerrit! Ich habe heute noch einmal etwas dazu ergänzt. Trotzdem haben Online-Medien soziale Konsequenzen, nur darf man sie nicht so versimpelt sehen. Jedenfalls zeigt in diesem Fall die Demographie, dass Facebook höchstens eine sehr beschränkte Rolle für die Erfolge der Rechten spielen kann.