Massive Open Online Courses oder MOOCs sind ein Hype-Thema, auch wenn hier gerade der Katzenjammer beginnt. Ich halte MOOCs für sehr lebendig. Aber das Gerede von einer MOOC-Revolution schadet ihnen nur.
Als Schüler hatte ich viel Sympathien für den Marxismus, und zwar in einer eher kommunistischen Version— obwohl ich eigentlich wusste, dass die realen sozialistischen Staaten spießige Diktaturen waren. Ich war so etwas wie ein ganz ganz kleiner fellow traveller, klebte auch mal Plakate für die Deutsche Kommunistische Partei und rechnete mich bei den Jusos, bei denen ich Mitglied war, zur Stamokap-Fraktion. Als ich dann in Münster anfing zu studieren, bemühten sich ein paar Leute aus dem MSB Spartakus um mich. Mir war dieser Verein nicht sympathisch—nicht zuletzt, weil einer dieser Studenten, den ich schätzte, persönlich ein Anhänger des jugoslawischen Modells war, aber sich nicht traute, das auch offen vor den anderen zu sagen. Wie auch immer: Ich versuchte, wenn ich mit meinen Kommilitonen diskutierte, gegen die geschlossene spätkommunistische Weltanschauung anzuargumentieren und hatte dabei nicht viel Erfolg. Bis mir dann plötzlich ein Argument einfiel, dass mir seitdem immer wieder durch den Kopf geht und mich wenigstens selbst überzeugte: Wenn es eine Revolution gibt—wieso soll sich dann alles, was vorher schlecht war, einfach auflösen? Muss nicht zwangsläufig alles, was vorher da war, nachher wiederkommen—und wird deshalb nicht etwas ganz anderes entstehen, als das, was man sich in einer Tabula rasa-Situation vorstellen kann? Ist der Glaube an eine Revolution nicht eigentlich so etwas wie ein religiöser Restbestand, die Vorstellung, dass etwas Außerweltliches in die Geschichte eingreift? Ich habe mich seitdem nie wieder für die Ideologie einer Revolution begeistern können. Ich habe immer den Verdacht, dass die Vorstellung einer Revolution eine Illusion ist, die darüber hinwegtäuscht, dass die vorrevolutionäre Vergangenheit auch die nachrevolutionäre Zukunft ist.
Ich hätte das damals sicher nicht richtig formulieren können. Heute kommt mir dieser Gedanke eher wie ein Bild oder Motiv vor. Es ist übrigens gut möglich, dass ich ihn einem der größten Massenmörder der Geschichte verdanke, nämlich Mao Zedongs Sätzen über das Fortbestehen der Widersprüche nach der Revolution.
Heute geht mir dieser Gedanken wieder durch den Kopf, weil ich einen Artikel mit dem Titel The MOOC revolution did not take place (gefunden dank Ellen Trude) gelesen habe. Im Zusammenhang mit MOOCs oder irgendeiner anderen Innovation von Revolution zu sprechen, ist so irrational wie der Glaube an eine soziale Revolution, die alle Widersprüche und Konflikte auf einmal löst. Nach der MOOC-Revolution—wenn es sie geben könnte—wäre eben vor der MOOC-Revolution: Alles, was vorher die Bildung und die Bildungsinstitutionen bestimmt hat, ist immer noch da und wirkt weiter. Wer an eine MOOC-Revolution glaubt, kann nur enttäuscht werden. Bildungstraditionen, die Ungleichheit der Verteilung von Bildung, die Abhängigkeit von bürokratischen Strukturen—sie alle werden nicht von den MOOCs revolutioniert. MOOCs und andere Formate können sie beeinflussen, aber sicher besser, wenn man von ihnen nicht eine Revolution erhofft, sondern sie als Mittel sieht, bestehende Strukturen zu verändern, zu verschieben und vielleicht auch umzudrehen. Die Metapher der Subversion ist zwar inzwischen auch abgegriffen, aber sie trifft die reale Wirkung von aus dem Web stammenden Erneuerungen viel besser als das Gerede von der Revolution. Die Revolution kommt nie wirklich, und gegenüber der Revolutionsrhetorik behalten dann die recht, die nie etwas ändern wollten.
Schlussbemerkung: Der neue Studiengang, den wir gerade starten, ist kein MOOC, sondern ein ganz normaler FH-Studiengang. Trotzdem merke ich schon in den ersten Tagen, wie die Erfahrungen, die meine Kollegin Jutta und ich bei MOOCs, gemacht haben (ich dank Monikaund Dörte beim #MMC13) unsere Arbeit bestimmen, und wie in Einzelheiten ein ganz neues Format entsteht, fast ohne das wir das beabsichtigen. Allein das Ausgehen vom Web als der eigentlichen Lernumgebung sorgt dafür, dass etwas anderes entsteht als die verschulte Atmosphäre vieler Hochschulangebote. Die Ideen der MOOCs und des Konnektivismus verändern die Bildung auch ohne Revolution. Dazu dann mehr in anderen Posts!
Social media statt moodle – gelingt gerade in #cos14 http://t.co/2E7lAw5Xmj @heinz
Wenn es die Revolution nicht gibt, dann muss sie auch nicht ihre Kinder fressen…@Heinz http://t.co/Yx6Upy11hm
[…] Die Revolution verläuft versteckt im dunklen und im kleinen. Wie Heinz Wittenbrink in seinem Blog korrekt geschrieben hat, sollte man eher eine Subversion erwarten. Die Hörsäle werden nicht von […]