In den diversen Weblogs zum Thema „Fachhochschule“ stolpert man ständig über „Provinz“, „Kaff“, „Hinterstinkenbrunn“ und andere wenig schmeichelhaften Bezeichnungen,

schreibt Franz Pototschnig in der Mürztaler Ausgabe der Kleinen (während Frido Hütter heute im Kulturteil vorschlägt, die Grazer Oper nach Bad Radkersburg zu verlegen.) Mich würde interessieren, welche Weblogs gemeint sind. Suchen nach Hinterstinkenbrunn bei der Google Blog-Suche, bei IceRocket oder bei Technorati führen jedenfalls nicht zu Ergebnissen.

Heute früh habe ich ein privates Mail an Franz Pototschnig von der Kleinen zu seinem Kommentar unfair geschrieben. Erst danach habe ich gelesen, dass jetzt obersteirische SPÖ-Politiker die FH-Studiengangsleiter rüde angreifen, die sich gegen einen Umzug nach Kapfenberg gewehrt haben. Da es in meinem Mail um dieselben Themen geht, gebe ich es hier grötenteils wieder. Einige der Informationen, die ich dabei verwende, habe ich nur aufgrund meiner Berufstätigkeit an der FH Joanneum — aber inzwischen ist die ganze Angelegenheit so öffentlich, dass es sich rechtfertigen lässt sie zu publizieren.

Betr.: „Unfair“

Lieber Franz Pototschnig,

ein paar Anmerkungen zu Ihrem Artikel „unfair“
(http://www.kleine.at/regionen/steiermark/muerztal/565519/index.do):
Bei der Empörung über die Bewertung des Standorts Kapfenberg wird
meist übersehen, dass der Plan, fast alle jetzt in Kapfenberg
angesiedelten FH-Studiengänge nach Graz zu verlegen, die Debatte
ausgelöst hat….

Die Formulierung „Außerdem hätte man den Kapfenbergern nicht über die
Medien ausrichten müssen, was man vom Standort hält“ schiebt den
Kritikern der Entscheidung die Schuld zu. Dass die Debatte über die
Medien ausgetragen wurde, liegt vor allem daran, dass an der FH über
dieses Thema keine Debatte geführt bzw. dass sie unterbunden wurde.
Ich war persönlich bei der Verkündigung der Standortentscheidung durch
die FH-Geschäftsführung dabei; sie wurde mit dem Satz eingeleitet,
dass „hier nicht der Ort für eine Diskussion sei“. Die
Kollegiumsmitglieder der FH hatten nicht einmal die Möglichkeit,
Fragen zu stellen – anders als die Journalisten, denen das Konzept
zwei Stunden später von der Landesrätin präsentiert wurde. Niemand von
den Betroffenen hatte zuvor auch nur eine Ahnung von dem, was kommen
würde. Das PR-Desaster für Kapfenberg und die FH war eigentlich
vorhersehbar. Die Verantwortlichen haben sich aber offenbar nicht
gefragt, welche öffentliche Wirkung ihr Vorgehen haben würde. Das war
genauso unüberlegt wie die Entscheidung, ausgerechnet die Studiengänge
nach Kapfenberg zu verlegen, die am meisten auf ein urbanes Umfeld
angewiesen sind.

Noch ein Letztes: Die meisten, die sich gegen eine Übersiedlung ihrer
Studiengänge nach Kapfenberg engagiert haben, haben sich nicht gegen
das Pendeln gewehrt – auch wenn es die Landesrätin so darstellt. Es
ging ihnen darum, die Qualität und die Reputation ihrer Studiengänge
zu erhalten. Ich war in diesem Jahr an dem Auswahlverfahren für den
Studiengang „Journalismus und Unternehmenskommunikation“ beteiligt.
Aus ca. 180 jungen Leuten, die sich in Graz beworben haben, kann man
einigermaßen sicher 25 bis 28 Studenten herausfiltern, die für einen
Medienberuf geeignet sind. Viel mehr wären es auch dann nicht, wenn
wir mehr Studienplätze hätten. Für eine Studium in Kapfenberg dürften
sich weniger Interessenten bewerben, und vermutlich auch weniger
qualifizierte. Wir hätten dort eine große Zahl von Leuten ausbilden
müssen, die für den angestrebten Beruf bedingt oder nicht geeignet
sind.

Sorry wegen des langen Mails an einem Samstag! Ich halte es für
wichtig, in der öffentlichen Diskussion die Verantwortlichkeiten nicht
zu verwischen.

Beste Grüße

Heinz Wittenbrink

"Ich habe mit Widerstand gerechnet, aber nicht auf so vielen Ebenen", sagte Vollath zur Kleinen Zeitung. Sie nehme zur Kenntnis, "dass man mit sachlichen Argumenten in der momentan so emotional aufgeheizten Situation nicht durchkommt".

Interessant. Nur haben die Betroffenen nie ein Argument gehört. Bei der Verkündigung der (hoffentlich obsoleten) Entscheidung über die zukünftigen Standorte der Studiengänge der FH Joanneum durften nicht einmal Fragen gestellt werden.

Von Vertretern einer Partei, die sich einmal als links bezeichnet hat, würde ich Diskussion und Lust am Widerspruch erwarten. Was uns die SPÖ hier und leider auch sonst nicht selten vorführt, heisst auf Französisch langue de bois (Holzsprache). Schade.

Kapfenbergs Bürgermeisterin Brigitte Schwarz wehrt sich dagegen, dass der Fachhochschulstandort Kapfenberg in Frage gestellt wird:

Die Stadt Kapfenberg hat bisher 18 Millionen Euro aus Eigenmitteln investiert, die Studien wurden in enger Zusammenarbeit mit der hiesigen Industrie entwickelt, es gibt Synergien mit der Montanuniversität Leoben.

Das ist kein Argument dafür, in Kapfenberg Studiengänge anzusiedeln, die keinerlei Bezug zur dortigen Industrie oder zur Montanuniversität Leoben haben. Die Bürgermeisterin übergeht außerdem großzügig, dass die zu ihrer Partei gehörende Bildungslandesrätin gerade fast alle bisher in Kapfenberg untergebrachten Studiengänge von dort abziehen will. Eigentlich ein Eigentor!

(Anmerkung: siehe letzter Absatz des vorangegangenen Postings)

Die Grazer ÖVP bezieht jetzt unmissverständlich Stellung: Die ÖVP wehrt sich entschlossen gegen den Anschlag der SPÖ auf die Grazer Bildungslandschaft! Laut Presse bleibt Landesrätin Vollath unerbittlich: Ein Aufschnüren des Standortkonzepts schließt sie gegenüber der „Presse“ aus: „Das wäre halbherzig.“

Die Umsiedlung von Studiengängen wie „Informationsdesign“ und „Journalismus und Unternehmenskommunikation“ von Graz in eine Kleinstadt ohne Medienszene halte ich für einen Schildbürgerstreich zu Lasten der Studierenden. Jetzt ist sie zum parteipolitischen Thema geworden, und man kann nur hoffen, dass dadurch die Irrationalität der Entscheidungsträger im Land nicht noch größer wird. Frau Vollath und ihre Beamten haben im Vorfeld mit keinem der betroffenen Studiengangsleiter, Lehrenden oder Studenten über die Standortänderungen gesprochen. Jetzt schließt die Landesrätin, die sachlich gar nicht informiert sein kann, Änderungen aus. Das ist nicht nur autoritär, es ist unpolitisch. Frau Vollaths Parteifreunde hätten ihr dringend von der Hauruck-Methode abraten müssen; die Folgen dieser Fehlentscheidung, die sie selbst vor der Presse vertreten hat, müssen sie beschädigen. Niemand könnte der Landesrätin einen Vorwurf machen, hätte sie eine oder mehrere Alternativen zur Diskussion gestellt, das von ihr selbst eingerichtete FH-Kollegium einbezogen und sich dann mit Argumenten für eine Lösung entschieden.

Die beste Lösung für alle Beteiligten wäre es, wenn die Landesrätin einen Fehler zugäbe. Das könnte der FH eine sachliche Entscheidungsfindung ermöglichen und ihr selbst politisch Luft verschaffen. Außerdem wird es dringend Zeit für eine tabulose Diskussion des politisch gewollten Hochschulstandorts Kapfenberg. Wieder einmal ist hier gut gemeint vermutlich das Gegenteil von gut.

(Anmerkung: Ich bin von der geplanten Umsiedlung persönlich betroffen. Hier äußere ich meine persönliche Meinung zu öffentlich zugänglichen Tatsachen. Betroffene, die anderer Ansicht sind, bitte ich um Kritik und gegebenenfalls Korrekturen in den Kommentaren.)

(Ich zitiere aus einem Mail von Vertretern der Grünen.)

Wirtschaftsbund-Graz Obmann Dr. Christian Buchmann hält zur heute bekannt gewordenen Absicht von Landesrätin Dr. Bettina Vollath, die kreativen Studiengänge aus Graz nach Kapfenberg abzuziehen Folgendes fest:

Alle Studien zur Kreativwirtschaft belegen, dass die Stadt Graz seit dem Kulturhauptstadtjahr 2003 bewiesen hat, dass sie über ein besonderes kreatives Potenzial verfügt. Es ist aus meiner Sicht heller Wahnsinn, dieses Potenzial vorsätzlich zu zerstören. Denn nichts anderes bedeutet es, gerade die kreativsten Studiengänge der Fachhochschule nach Kapfenberg abzusiedeln. Kreative benötigen ein urbanes, von den verschiedensten kulturellen Einflüssen geprägtes Umfeld. Landesrätin Bettina Vollath erweist der Stadt Graz einen Bärendienst und konterkariert die Anstrengungen des Kreativnetzwerkes „CIS“, Graz als City of Design zu positionieren!“

Buchmann weiter:

Ich fordere die Landesrätin auf, umgehend den Dialog mit den Studierenden und Professoren zu suchen und ihre unkoordinierten und nicht abgesprochenen Vorschlag zurückzuziehen“,

so der Landesrat eindringlich.

Ernst Sittinger kommentiert in der Kleinen unter dem Titel Brutalität:

Als vor elf Jahren die steirische Fachhochschule ins Leben gerufen wurde, war die Politik ehrgeizig: Im Sinne der Förderung von ländlichen Regionen wurde beschlossen, einen Teil des Studienbetriebs ins obersteirische Kapfenberg zu verlegen. Vielleicht war auch ein bisschen sozialdemokratische Romantik dabei; immerhin war der damalige SPÖ-Chef Peter Schachner der zuständige Referent.

Doch die Vermischung von Bildungs- und Regionalpolitik stellte sich bald als unglücklich heraus. Während sich die Grazer Studiengänge regen Zulaufs erfreuten, kämpfte Kapfenberg stets gegen den Studentenschwund. Denn die Zahl der Jugendlichen, die ausgerechnet im Mürztal die weite Hochschulwelt kennen lernen wollten, ist nun einmal begrenzt.

Landesrätin Vollath und mit ihr die neuen Fachhochschul-Chefs wollen nun das Problem beheben — indem sie bisher starke Studien ins Kapfenberger Exil schicken und die dortigen Problem-Fächer nach Graz holen. Anders gesagt: Anstatt in Kapfenberg ein Ende mit Schrecken zu machen — und für die dortige Region besser geeignete Impuls zu suchen —, hat man sich für Schrecken ohne Ende entschieden. Die Design-Stadt Graz steht nun ohne Design-Studium da. Und die Betroffenen hat man vor vollendete Tatsachen gestellt.

Der kuriose Plan wird wohl nicht durchzuhalten sein. Vollath wird noch merken, dass Kapfenberg seit Qualtinger für Brutalität steht*.

*Notiz für Mit-Piefke: Simmering gegen Kapfenberg, des is‘ Brutalität! — ein Kernsatz von Helmut Qualtingers Travnicek.