Gestern abend gab es hier in Graz das erste Starkregenereignis in diesem Sommer. Dreimal hintereinander habe ich beobachtet, wie Hagel und dann Wasser auf unsere Terrasse stürzten, dazwischen bauten sich die Wolken über den Hügeln im Grazer Westen auf. Heute habe ich in der Kleinen Zeitung gelesen, dass es einen so starken Regen in Graz noch nie gegeben hat. Die Klimakrise erwähnt die Kleine Zeitung mit keinem Wort, obwohl seit Wochen jeder Tag neue Katastrophenmeldungen bringt—so gestern Berichte über die Waldbrände in der Türkei und über Rekordtemperaturen in Italien. Anas Mutter in Dubrovnik kann sich an eine solche Hitze wie in den letzten Tagen nicht erinnern.

Mich hat der Regen an einen Sturm erinnert, den wir vor zwei Jahren im November auf Korčula erlebt haben. Ich habe damals diesen Sturm mit der Klimakrise in Verbindung gebracht und mich gewundert, wie unbeeindruckt deutsche Politiker im Fernsehen gleichzeitig die Landtagswahlen in Hessen kommentierten, so als hätten die Stürme im Mittelmeer und die deutsche Politik nichts miteinander zu tun. Aber noch vor zwei Jahren hat ein solcher Sturm den Alltag unterbrochen. Inzwischen ist Extremwetter alltäglich.

Während des Unwetters gestern ging mir durch den Kopf, dass gerade mein letzter regulärer Arbeitstag endete. Am 1. September werde ich pensioniert. Bis dahin habe ich Urlaub. Ich werde zwar noch einiges abschließen, und ich habe auch in den letzten Jahren meist online gearbeitet, aber ich kann jetzt freier als je entscheiden, was ich tue und was ich nicht tue. Eine privilegierte Situation, die mir erst langsam zu Bewusstsein kommt.

Ich habe mir immer vorgestellt, in der Zeit nach meiner Pensionierung viel zu lesen, am liebsten in Dubrovnik auf der Terrasse. Ich wollte nicht nur lesen, um zu lesen, sondern um zu schreiben und dabei einiges genauer zu verstehen und zu formulieren, als ich das neben meiner Arbeit geschafft habe. Ich habe dabei an philosophische Texte gedacht, aber auch an antike Literatur.

Starkregen, Hitze und Stürme habe ich mir bei den Phantasien vom Lesen griechischer Literatur in Dubrovnik nicht ausgemalt. In der Zeit, die ich vor mir habe, werden sie sich jedes Jahr verschlimmern. Das Erdsystem verhält sich anders als in der gesamten bekannten Geschichte. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen nicht genau, was auf uns zukommt—aber was sie sicher wissen, ist beängstigend genug.

Ich weiss nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen werde. Ich möchte nicht ein Rentner werden, der sich für unabkömmlich hält und sich in seinem Ruhestand wichtiger nimmt als vorher. Ich möchte tatsächlich viel lesen und auch etwas schreiben, und wenn ich mich engagiere, möchte ich mich vor allem durch die Beschäftigung mit Texten engagieren, durch Theorie. Aber ich glaube nicht, dass meine alltägliche Umwelt so stabil ist, wie ich sie mir ausgemalt habe. Auch die Konzepte oder Theorien, an denen ich mich orientiere, sind viel brüchiger, als ich es bisher wahrgenommen habe—sie haben, provisorich formuliert, ökologische Voraussetzungen, die erst erkennbar werden, wenn sie verloren gehen.

Dipesh Chakrabarty hat über das Climate of History geschrieben: Die Geschichte als ganze hat klimatische Voraussetzungen, die auf einmal nicht mehr selbstverständlich sind. Braudel (der in Dubrovnik geforscht hat) hat sich schon vor Jahrzehnten mit der Rolle des Klimas in der Geschichte beschäftigt, die von der Ereignisgeschichte nicht gesehen wurde. Diese Zusammenhänge von Geschichte—auch politischer Aktion—und Klima—natürlichen oder ökologischen Faktoren, die auf einmal als Akteure erkennbar werden— interessieren mich. Dabei denke ich nicht vor allem an welthistorische Zusammenhänge, sondern an die Alltagsgeschichte, mit der sich der Journalismus beschäftigt. Um auf die Artikel in der Kleinen Zeitung zurückzukommen: Journalist:innen müssen erkennen, dass man in der Berichterstattung über Extremwetter mitten in der Politik steckt, ob man es will oder nicht. Aber auch z.B. in der Contenstrategie müssen wir verstehen, dass wir es mit ökologischen Fragen zu tun haben, wenn wir uns mit den Inhalten einer Organisation beschäftigen—gerade dann, wenn die Organisation selbst diesen Zusammenhang leugnet.

Ereignisse wie das Unwetter gestern machen gerade jeden Tag etwas poröser, was bisher selbstverständlich war. Mich überraschen sie, obwohl ich in den letzten Jahren viel über das Klima und Forschungen zum Erdsystem gelesen habe. Ich stelle mich auf Umbrüche ein, die größer sind als die, die ich bisher erlebt habe. Ich hoffe trotzdem, dass ich genug Ruhe habe, sie zu beobachten und zu analysieren.

2 Kommentare zu “Starkregen

  1. Danke, und danke für den Hinweis auf @markusstachl! Ich wollte nicht Journalisten bashen sondern sagen, wie schwierig es ist, ökologische Krisen als historische darzustellen. Ich halte Journalismus für Geschichtsschreibung, und die muss über das Berichten von Events hinausgehen.

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