Wie funktioniert Inhalt im Web? Ich möchte von zwei Tweets ausgehen, die das Thema beleuchten: Die Schwierigkeiten des Daily und der iPad App der Huffington Post belegen einmal mehr, dass das überkommene Verlagsmodell nicht ins Web passt. Twitter erweitert seine Plattform und baut sie dazu radikal um. Dabei orientiert sich der Service an den Gewohnheiten der User des sozialen und mobilen Webs—denselben Gewohnheiten und Vorlieben, an denen konventionelle Verlagsprodukte wie Zeitungs- und Magazin-Apps scheitern.

Der erste Tweet bezieht sich auf die kostenpflichtige iPad App des Daily und die ebenfalls kostenpflichtige iPad-Version der Huffington Post: Beide sind in der Krise. Murdochs Daily entlässt ein Drittel des Personals; die Huffington Post (inzwischen ein Teil von AOL) wird in Zukunft auch auf dem iPad gratis sein. Mathew Ingram analysiert diese Entwicklung und kommt zu dem Schluss:

Whether media companies like it or not (and they mostly don’t), much of the news and other content we consume now comes via links shared through Twitter and Facebook and other networks, or through old-fashioned aggregators — such as Yahoo News or Google News — and newer ones like Flipboard and Zite and Prismatic that are tailored to mobile devices and a socially-driven news experience. Compared to that kind of model, a dedicated app from a magazine or a newspaper looks much less interesting, since by design it contains content from only a single outlet, and it usually doesn’t contain helpful things like links [HuffPo, The Daily and the flawed iPad content model — Tech News and Analysis].

In dem zweiten Tweet geht es um eine ganz andere Form des Publishing. Wer Inhalte im Web veröffentlicht, kann sie in Zukunft in den Twitter-Stream ganz oder teilweise einbetten. Dadurch wird Twitter attraktiver für Benutzer und Anzeigenkunden, aber es wird auch leichter, Traffic von Twitter auf die eigenen Angebote zu leiten. Twitter wird zum Schaufenster für Anbieter von Medien.

Michael Sippey, der bei Twitter für die Produktentwicklung verantwortlich ist, formuliert das so:

We’re building tools for publishers and investing more and more in our own apps to ensure that you have a great experience everywhere you experience Twitter, no matter what device you’re using … [Delivering a consistent Twitter experience | Twitter Developers].

Mike Isaac weist in The Future of Twitter’s Platform Is All in the Cards darauf hin, dass diese neue User Experience der Kern der veränderten API-Politik von Twitter ist, die sonst vor allem als Versuch Twitters wahrgenommen wird, das Geschäft von Drittanbietern, die auf Twitters Daten zurückgreifen, auf die eigenen Mühlen zurückzuleiten. (Mehr Informationen zu Expanded Tweets und Twitter Cards gibt es im Twitter Blog—Experience more with expanded Tweets— und der Entwickler-Dokumentation).

Hier stehen sich zwei Modelle des Publishing idealtypisch gegenüber:

  • das Modell des Verlags, der Inhalte in einem Paket (Zeitung, Magazin) anbietet, sie von anderen Inhalten abschottet, ihnen eine publikationswürdige Form gibt und sie als Paket vertreibt;
  • das Social Media- oder Social Publishing-Modell, bei dem die Inhalte verlinkt und verlinkbar (kuratiert und kuratierbar) sind, in Streams oder Feeds publiziert werden und bei dem die User durch Abonnieren, Voten/Retweeten oder Verlinken für sich und andere individuell entscheiden, wie Medienangebote aussehen.

Beide Modelle haben nicht unbedingt damit zu tun, ob die Inhalte frei oder kostenpflichtig sind, ob sie durch Werbung finanziert werden oder nicht. Für das Twitter-Modell ist nur wichtig, dass die Inhalte nicht voneinander abgeschottet werden, dass Leser und andere Publizisten (beide sind im Netz tendenziell dasselbe) die Inhalte weiterverwenden können.

Twitter versucht gerade, genau da eine auch kommerziell erfolgreiche Plattform zu entwickeln, wo die herkömmliche Verlagspolitik immer wieder scheitert. Dabei bricht Twitter mit Prinzipien, die für seinen Erfolg entscheidend waren, vor allem mit dem sehr freien Zugang für Drittanbieter zum Twitter-API. Viele Twitter-Nutzer werden das verurteilen—was allerdings geschenkt ist und nicht weiterführt, wenn man nicht zugleich ein anderes Geschäftsmodell vorschlagen kann. Interessant an den expanded Tweets ist, dass sie Publishern eine Alternative zu den geschlossenen Apps versprechen. Es wird Verlagen nicht ermöglichen, ihr Geschäftsmodell aus der Vorwebzeit zu retten. Aber es bietet eine Chance redaktionelle Inhalte in einer Form zu präsentieren, die in das Ökosystem des sozialen und mobilen Webs passt. Niemand weiss, ob Twitter damit Erfolg haben wird. Aber der Versuch ist interessanter als alle die Magazin- und Zeitungsapps, die jetzt schon so alt aussehen wie die CD-ROMs aus den 90er Jahren.

2 Kommentare zu “Twitter statt mobiler Apps: Expanded Tweets als Schaufenster für Webinhalte

  1. Auch der Netzwertig-Blog hatte vor einige Tagen einen Artikel über Twitter veröffentlicht. Darin wird diskutiert, dass Twitter dank neuer API-Strategie und Fokus auf Mobile mehr Chancen am Werbemarkt haben wird, als Facebook.
    http://netzwertig.com/2012/08/01/drohende-machtverschiebung-twitters-entwicklung-muss-facebook-kopfschmerzen-bereiten/
    Dass Twitter als Traffic-Lieferant auf eigene Inhalte gut funktioniert, weiß ich aus eigenen Erfahrungen. 30-40% des Traffics auf meinen Blog kommt dzt. von Twitter.
    Umso mehr wundert es micht, dass die klassischen Online-Medien diesen Kanal (noch) nicht gezielt nutzen. Mir sind sehr wenige Redakteure bekannt, die gezielt via Twitter auf eigene Beiträge verweisen. Hier fehlt entweder der Incentive, oder der Mechanismus ist ihnen völlig unbekannt. Heinz, wie siehst Du das?
    LG,
    Alex

  2. Lieber Alex, danke für den Hinweis auf das Netzwertig-Blog! 
    Ich glaube, dass viele Medien speziell hier bei uns Twitter noch nicht begriffen haben. Das Problem liegt nicht bei der Technik sondern darin, dass sie die Besonderheiten der Distribution im Netz nicht verstehen, wie sich ja auch bei dem unseligen Angehen gegen Google zeigt.
    Auch bei mir ist Twitter einer der wichtigsten Traffic-Lieferanten. Ich selbst nutze es ähnlich, wie ich früher RSS benutzt habe. Dabei sind für mich die "Chronik Links" bei Flipboard besonders wichtig – und so ähnlich funktionieren ja wohl die Expanded Tweets. 
    Ich schreibe noch einen längeren Artikel über die Expanded Tweets, vielleicht kann ich da noch ausführlicher auf die Frage eingehen!

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