Vorgestern Abend habe ich zum ersten Mal einen Vortrag im MUMUTH besucht. Miller Puckette sprach über in Echtzeit mit dem Computer produzierte Musik. Ich kannte Puckette nicht, und Pure Data, eine der beiden Musikentwicklungsumgebungen, die auf ihn zurückgehen, nur dem Namen nach. So habe ich etwas mir völlig Neues kennengelernt. Es gab genug Bezüge zur klassischen Avantgarde-Musik, für die ich mich immer wieder interessiert habe, obwohl ich wenig von ihr verstehe. Nach dem Vortrag habe ich mir Stockhausens Mantra angehört (▶ Mantra, Work No. 32: bars 1-2 – Spotify)—ein Stück, das Puckette mehrfach erwähnte.
Puckette hat sehr nüchtern und bescheiden eine Geschichte erzählt, die er in großen Teilen selbst geschrieben hat: Computer produzieren Musik, die in dem Augenblick gehört werden kann, in dem sie errechnet wird. Er ging erst auf die Vorgeschichte, z.B. Synthesizer ein, und erzählte dann im Detail von den ersten Versuchen mit gigantischen Geräten am IRCAM und der Entwicklung von Pure Data. Er hat weniger seinen eigenen Ansatz erklärt als zwei Voraussetzungen:
- die exponentielle Steigerung der Leistungsfähigkeit der Hardware
- die Entwicklung einer Software, die so unabhängig von Geräten ist wie möglich und mit der man deshalb auch dann noch Musik erzeugen kann, wenn die Geräte, für die sie ursprünglich geschrieben wurde, nicht mehr existieren.
Überhaupt ist die Sicherung der musikalischen Produkte vor dem Verfall wohl ein Hauptmotiv Puckettes. Er hat viel darüber gesprochen, dass nur Open Source Software gewährleisten kann, dass die mit ihr produzierte Musik nicht der Willkür von Rechteinhabern zum Opfer fällt. Allerdings hat er auch betont, dass es letztlich keinen Schutz gegen das Altern der Technik gibt, von der mit dem Computer produzierte Musik abhängt. Computer sind nicht zeitlos, und nichts garantiert, dass eine Software noch in ferner Zukunft läuft. Übrigens hat Puckette eines der ganz wenigen noch existierenden Geräte gezeigt, auf denen Pure Data-Software zuerst lief: Es handelt sich um einen mit mehreren Sound-Boards erweiterten Next-Cube—also einen Rechner des Typs, auf denen Tim Berners-Lee den ersten Web-Browser entwickelte.
Puckettes Vortrag hat sehr eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sich die digitale Technik entwickelt hat, die für uns selbstverständlich ist. Vor 30 Jahren waren 15000 Multiplikationen in der Sekunde durch einen Prozessor eine technische Höchstleistung (wenn ich ihn richtig verstanden habe). Wenn einer der Musik-Computer des IRCAM zu einem Konzert nach Arles gebracht wurde, hätte man für weniger Geld das gesamte Publikum zum nach Paris und zurück fliegen können. Wenn technische Geräte besonders glänzend und modern wirken, altern sie vielleicht nur um so schneller.
Graz spielt in der Geschichte der elektronischen Musik keine ganz unwichtige Rolle. Puckette war Gast des Institut für Elektronische Musik und Akustik. Bei uns an der FH startet Seppo Gründler gerade eine Vertiefungsrichtung Sound Design, die in dieses Netzwerk gehört. Ich kann mich gut erinnern, dass ich als Student ein paar Mal Karl Heinz Stockhausen bei Konzerten erlebt habe. Auf einmal wird das alles für mich wieder lebendig.