Ich habe in den letzten Tagen einige Artikel zu dem Plan Facebooks gelesen, den Newsfeed radikal zu verändern und ganz auf die Interaktion mit Freunden und Verwandten auszurichten. Bei den deutschsprachigen Posts habe ich den Eindruck, dass die meisten eine Business-as-usual-Haltung einnehmen und davon ausgehen, dass Facebook den Newsfeed weiter in einer Richtung entwickeln wird, die sich schon bei den letzten Veränderungen des Newsfeed-Algorithmus angekündigt hat: Weg von den Inhalten von Firmen und Organisationen, hin zu Beiträgen aus dem persönlichen Umfeld. In Social Media-Experten-Manier gibt man dann Hinweise dazu, wie Firmen mit diesen Veränderungen am besten umgehen.
Ich habe den Eindruck, dass die Veränderungen in den USA anders wahrgenommen werden. Einige Beiträge von dort und auch die Ankündigung Zuckerbergs selbst sprechen von einer tiefen Krise der Plattform Facebook oder der sozialen Medien insgesamt. Die Wahl Trumps, das Überschwemmen der Öffentlichkeit mit manipulierten Nachrichten, das ihr vorausging, und die Diskussionen über die möglichen oder wirklichen Folgen der sozialen Medien für die politische Öffentlichkeit nach der Wahl haben dazu geführt, dass viele die Richtung des Social Media-Mainstreams in den letzten Jahren als insgesamt falsch ansehen. Die Social Media-Firmen und vor allem Facebook werden dafür verantwortlich gemacht, ihre User nicht genügend zu schützen. So spricht Anil Dash in einem Bloomberg-Podcast über die sozial katastrophalen Folgen von Policies, die im Namen der Meinungsfreiheit dafür sorgen, dass Schwächere auf öffentlichen Plattformen beleidigt und eingeschüchtert und eindeutige Manipulatoren nicht ausgegrenzt werden. Diese Debatte ist nicht zu Ende, sie wird sich wahrscheinlich noch verschärfen.
Auch Facebook und Mark Zuckerberg beanspruchen nicht, dass sie die Probleme lösen können, die zu einem großen Teil durch den weltweiten Triumph der eigenen monopolistischen Plattform entstanden sind. Ich verstehe die jetzt angekündigten Änderungen des Newsfeeds eher als Versuch, das Unternehmen dadurch zu schützen, dass es sich aus Konfliktzonen entfernt. Mich erinnert das an Disney. Facebook konzentriert sich auf die heile, glücklich machende Welt der Familie und der persönlichen Beziehungen. Darauf beruht sein Kerngeschäft, das Facebook nicht durch Konflikte gefährden will, die es nicht kontrollieren kann. Ein solches Vorgehen würde es Facebook übrigens auch erleichtern, auf Märkten in den diktatorisch regierten Ländern zu agieren, in denen es noch verboten ist.
Ich vermute, dass Facebook den meisten Usern eine Experience bieten wird, wie es sie jetzt schon auf Instagram gibt: Man erhält die Fotos seiner persönlichen Bekannten, und unter diesen vor allem solche mit human touch. Wer auch einer Reihe von Accounts folgt, die ihn nur fotografisch oder inhaltlich interessieren, muss sich sehr viel Mühe geben, die Bilder überhaupt noch zu entdecken. Für mich ist Instagram damit übrigens fast wertlos geworden.
Wir verstehen unter Social Media Plattformen, die persönliche und andere, z.B. politische, Nachrichten gleich behandeln. Facebook und Twitter bieten dieselben Umgebung und dieselben Tools und Interaktionsmöglichkeiten für die Fotos von Neugeborenen, für Berichte über Naturkatastrophen und für politische Diskussionen. Wenn sie algorithmisch filtern, dann bisher nach ähnlichen Kriterien für alle Arten von Inhalten. Die Veränderungen im Newsfeed interpretiere ich als einen Einschnitt, mit dem diese Phase zu Ende ist. Öffentliche Inhalte und der Austausch mit friends and relations werden sich wohl deutlicher voneinander trennen. Auch auf den Messenger-Plattformen wird man immer weniger in derselben Form mit seinem persönlichen Umfeld und mit anderen Akteuren kommunizieren.
Für Firmen und für die Anbieter anderer öffentlicher Inhalte könnte diese Ausdifferenzierung der persönlichen Kommunikation einschneidende Folgen haben. Wer die Lösung darin sieht, als Firma die Formen der persönlichen Kommunikation zu übernehmen und sich als Freund seiner Kunden zu verhalten, nimmt nicht ernst genug, warum es zu dieser Ausdifferenzierung kommt.