Am Freitag und Samstag habe ich in Dieburg am WissenschaftsBarCamp am Mediencampus der h_da teilgenommen, das Kolleginnen und Kollegen um Thomas Pleil organisiert haben. Es war im letzten Jahr die dritte "kleine" Unkonferenz, die ich besucht habe, nach dem Almcamp und der Smart Stuff that Matters Unconference bei Elmine und Ton. Am ersten Tag waren vielleicht 40 bis 50 Leute dabei, am zweiten Tag etwa 30.

So unterschiedlich die drei kleineren Events in ihren Themen und im Umgang miteinander waren, so viel hatten sie gemeinsam: persönliches Engagement, Interdisziplinarität und Mehrspurigkeit und den Maker-Charakter, die Orientierung an der direkten Fortsetzung in der praktischen Arbeit.

Thematisch ging es in Dieburg im weitesten Sinn um anwendungsorientierte Forschung zu digitaler Kommunikation. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen von Hochschulen. In diesem Bereich lässt sich keine deutliche Trennungsline zwischen akademischem und praktischem Wissen ziehen. Es hat deshalb nicht nur gepasst, sondern es war sehr fruchtbar, dass auch Leute aus Firmen und Agenturen nach Dieburg gefunden haben. Unterschiedlich, aber nicht zu unterschiedlich, waren die Teilnehmer auch, was ihre Disziplinen anging: Profitiert haben die Diskussionen vor allem davon, dass auch Kollegen aus der Informatik und Betriebswirtschaft mitgemacht haben. (Besonderer Dank für Anregungen an Menschen, die ich nicht persönlich kannte und hoffentlich bald lesen werde: Henriette Heidbrink, Peter Winkler und Werner Stork!)

Robert und ich haben versucht, Content-Strategie vorzustellen und einzubringen, so wie wir sie inzwischen in Graz unterrichten. Wir haben viele inhaltliche Anregungen bekommen, vor allem auch dazu, wie wir die Disziplin akademisch weiter etablieren können. Wir haben unser Netzwerk ausgebaut und intensiviert. Einige der Kolleginnen und Kollegen, die uns Tipps gegeben haben, wollen uns auch bei Veranstaltungen und Publikationen unterstützen. Das werden wir brauchen.

Im Verhältnis zum Mediencampus in Dieburg und seinem Umfeld sind wir in Graz kleiner, und wir sind auch etwas exzentrischer, was die Lage betrifft. Gerade deshalb ist es wichtig, die Verbindung in das Rhein-Main-Gebiet zu haben und mitzubekommen, wie wissenschaftliche Perspektiven auf Medienwirtschaft und Kommunikation in einem der am dichtesten vernetzten und dynamischsten Gebiete in Deutschland aussehen. Wir haben Glück, dass die Gruppe um Thomas Pleil sich so intensiv um dieses Geschehen kümmert, sich als einen produktiven Teil der digitalen Transformation begreift und dass sie dabei so offen, gastfreundlich und großzügig ist und es leicht und vor allem auch angenehm macht, an die Diskurse anzuschließen.

Ich bin die Dokumentation—zu finden unter http://bit.ly/wissbar—und meine eigenen Notizen noch nicht gründlich durchgegangen und will deshalb nicht gleich über einzelne Sessions schreiben. Ein Schwerpunkt war die digitale Mittelstandskommunikation, zu der Thomas Pleil und Pia Sue Helferich intensive Werkstatt-Sessions vorbereitet hatten. An was denke ich kurz nach dem Wochenende am meisten? Wohl an zwei Diskussionen, in denen wir über Unsicherheit und Ungewissheit gesprochen haben. In einer Session mit dem neutralen Titel Businessprobleme vs. Kommunikationsprobleme (Doku hier) haben wir sehr intensiv und mit viel unterschiedlichem Input darüber diskutiert, wie Firmen sich innerhalb von internen und externen Wandlungsprozessen verstehen und neu definieren und wie wenig dazu unsere gewohnten Strategie-Vorstellungen passen. Am besten erinnere ich mich an Sätze dazu, wie in Organisationen laufend neu festgelegt wird, was man tut, wie man es tut und wer man ist, dass es sich dabei also nicht um etwas normativ oder faktisch Vorgegebenes handelt, sondern um Dinge, die zur Performanz gehören, die nur in der laufenden Interpretation vorhanden sind. Peter Winkler hat das in Dieburg ungefähr so formuliert:

“Unternehmen erzählen permanent variable Geschichten zu den Zielvariablen und handeln dann nach Auslegung.”

In der Session Klima und Wissenschaft (Dokumentation hier) haben wir Veränderungen der Ziel- und Organisationsvariablen der Wissenschaft durchgespielt. Die ökologische Krise konfrontiert Lehrende und Forschende, die Antworten auf die Fragen der Digitalisierung suchen, mit Disruptionen, die eine weit größere Wucht haben als die Veränderungen, die sich im weitesten Sinn aus Moore’s Law ergeben. Wir haben uns mit sehr konkreten Projekten beschäftigt wie der Initiative für nachhaltige Entwicklung an der Hochschule Darmstadt. Aber adäquate Formen dafür, an unseren Hochschulen mit der Unsicherheit umzugehen, die sich aus der Klimakrise ergibt, haben wir noch kaum gefunden.

Update, 9.4.: Thomas Pleil hat das Wissenschaftsbarcamp in einem Blogpost resümiert..

Ein Kommentar zu “#wissbar19

  1. Erstmals hat das Forschungszentrum dkmi mit dem #wissbar19 ein zweitägiges Barcamp für angewandte Forschung organisiert. Fazit: Es hat funktioniert. 35 TeilgeberInnen haben in 20 Sessions offen über Forschungsfragen diskutiert.

    Es war ein großes Ziel: Diskussionen, Brainstormings und Sparrings anstelle der auf wissenschaftlichen Konferenzen oft üblichen Powerpoint-Ergebnispräsentationen. Einige hielten das für kaum erreichbar – sie fürchteten, dass WissenschaftlerInnen sich nicht in die Karten schauen lassen aus Angst vor Konkurrenz. Elfenbeinturm für immer?

    Schnell hat sich gezeigt, dass die Befürchtungen überflüssig waren – zumindest unter den Anwesenden. Spricht: Vermutlich lockt das offene Format Barcamp ohnehin nur Menschen an, die auch inhaltliche Offenheit leben. Unter den Teilnehmenden gab es eine angenehme Mischung aus Gästen aus Österreich und Deutschland – ProfessorInnen, wissenschaftliche MitarbeiterInnen und Promovenden – sowie einigen Forschungsinteressierten aus Unternehmen.

    Die Palette der diskutierten Themen war breit. So gab es beispielsweise Sessions zu Methoden und Theorien – etwa zu empirischer Sozialforschung, Grounded Theory oder Theorien der Digitalisierung – oder es wurden erste Entwürfe von Modellen diskutiert, so zu Reifegraden der digitalen Kommunikation oder zu Design Sprints für die Kommunikationsstrategie. Auch Forschungsideen und die Entwicklung entsprechender Strategien hatten ihren Raum, beispielsweise, wenn es um Künstliche Intelligenz und betriebliche Weiterbildung, um Forschung zu Content Strategie, Mittelstandskommunikation oder digitales Themenmanagement ging.

    Entsprechend dienten einige Sessions ganz im Sinne des Design Thinkings einem Testen und Verbessern von Konzepten noch vor ihrer Veröffentlichung. In anderen sind konkrete Ideen bzw. Teams für die Forschung, aber auch für Open Educational Ressources (OER) im Bereich Kommunikation und Medien entstanden. Immer, und das ist am Wichtigsten, ging es jedoch um ein besseres Verständnis und den Austausch auch über die Grenzen von Disziplinen hinweg. Die Sessions wurden von den Teilnehmenden weitgehend dokumentiert.

    Heinz Wittenbrink hat nebenan schon zum #wissbar19 gebloggt.
    #wissbar19: Erfolgreiche Premiere des Wissenschaftsbarcamps

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