Ich habe jetzt schon mehrere Diskussionen darüber mitbekommen, ob man individuell darauf verzichten soll zu fliegen. An manchen solcher Diskussionen habe ich auch teilgenommen, jetzt gerade auf Facebook an dieser im Anschluss an den Artikel Flugreisen: Verzicht rettet die Welt nicht. Das Thema ist für viele emotional besetzt—offenbar besonders für Leute, die Klimaschützer immer wieder zur Rationalität aufrufen.
Ich selbst verzichte seit einiger Zeit auf private Flüge und vermeide möglichst berufliche Flüge. Ich glaube also daran, dass es richtig ist, angesichts der globalen Erwärmung nicht zu fliegen. Was sind die Gegenargumente?
Es gibt sehr konkrete, wie das, dass der europäische Emissionshandel solche persönlichen Maßnahmen ins Leere laufen lässt: Wenn ich nicht fliege, dürfen dafür andere fliegen, weil die Fluggesellschaften Rechte auf bestimmte Emissionsmengen erhalten haben oder erwerben müssen. Schlimmstenfalls trage ich dazu bei, dass sie weniger emittieren als erlaubt wäre und die nicht gebrauchten Emissionsrechte an andere Verschmutzer verkaufen können.
Ich gebe zu, dass ich diese Argumentation nicht ganz unplausibel finde. Wenn bereits feststeht, wieviel die europäische Luftfahrt und auch eine einzelne Fluggesellschaft in die Atmosphäre jagen kann, und ich dazu beitrage, dass sie diese Grenze unterschreiten, dann helfe ich ihnen nur dabei, Emissionsrechte weiterzuverkaufen. Allerdings definiert der aktuelle Verbrauch mit, welche Rechte die Gesellschaft in Zukunft erhalten wird, und so kann sich, wenn ich es richtig verstehe, mein Verhalten in Zukunft sehr wohl auswirken. Außerdem sind nur ein Teil der Flüge von diesem Handel überhaupt betroffen, nämlich nur diejenigen mit Start und Ziel im europäischen Wirtschaftsraum. Und drittens reduziere ich Umsatz und Gewinn der Fluggesellschaft auf jeden Fall und trage damit, wenn auch nur in einem winzigen Maße, dazu bei, dass dieser extrem umweltschädliche Wirtschaftssektor nicht weiter wächst. Trotz der Problematik des Emissionshandels hat mein Handeln—oder hat das Handeln vieler Gleichgesinnter—also für das Klima positive Folgen.
Die meisten Argumente gegen die Aufforderung, nicht zu fliegen, sind aber allgemeiner. Es wird argumentiert, dass sich der Klimawandel nur durch politische Maßnahmen, und auch nur durch solche Maßnahme auf internationaler Ebene, stoppen ließe. Das eigene Verhalten wird also als wirkungslos eingeschätzt, und aus dieser Einschätzung abgeleitet, man dürfe auch etwas an sich Verwerfliches weiter tun. Diese Argumentation halte ich aus verschiedenen Grüden für falsch:
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Ich kann mein Verhalten nicht nur danach beurteilen, welche kausalen Folgen es hat. Ich weiss in einer komplexen Situation—und hier handelt es sich um eine komplexe Situation—schlicht nicht genau, welche Folgen mein Handeln haben wird. Ich kann nur einschätzen, wie ich am ehesten zum gewünschten Zustand beitrage. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich durch Nichtfliegen zum Schutz des Klimas beitrage, ist wesentlich größer als die, dass ich durch weiteres Fliegen ein für das Klima positives Ergebnis erziele. Da die globale Erwärmung für die ganze Biosphäre unmittelbar bedrohlich ist und sich nur durch Handeln in den nächsten Jahren rechtzeitig beschränken lässt, wäre es sehr unverantwortlich nicht so zu handeln, dass ein positives Ergebnis wahrscheinlicher wird.
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Im Augenblick ist vor allem eine Bewusstseinsveränderung nötig, sie wird durch demonstratives Handeln gefördert. Auch wenn es sich nicht direkt auf den Treibhausgas-Ausstoß auswirkt, ob ich fliege oder nicht, hat es Konsequenzen, wenn viele Menschen im Sinne des Klimaschutzes aktiv werden. Durch Handlungen, die unangenehme Konsequenzen haben, macht man auf die Ernsthaftigkeit der Situation aufmerksam und erschwert es, Veränderungen immer weiter aufzuschieben.
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Hinter dem Argument, das lokale Handeln bringe nicht viel, steckt eine globalist fallacy. Das wir gerade dabei sind, die planetary boundaries zu überschreiten, ist eine Folge von Globalisierungsprozessen wie dem internationalen Handel. Dass eine ökologische Wende (der Ausdruck ist nicht ganz angemessen) so schwer ist, hängt mit der Komplexität und den wechelseitigen Abhängigkeiten der globalisierten Wirtschaft zusammen. Umgekehrt ist weniger Verbrauch von Ressourcen nur möglich, wenn man auf lokale wirtschaftliche Netzwerke, auf Produktion und Konsum in der Nähe mit überschaubaren Konsequenzen setzt (was nicht Autarkie bedeutet, sondern Selbstbeschränkung). Wir müssen also versuchen, so weit wie möglich so zu leben, dass wir nicht auf weit entfernte und endliche Ressourcen angewiesen sind—Bruno Latour meint das mit dem Ausdruck terrestrisch. Es geht also nicht nur darum, durch lokales Handeln zu einem globalen Ergebnis beizutragen, sondern auch darum, das Lokale vom Globalen unabhängiger zu machen. Wenn ich nicht fliege, schade ich vielleicht nicht der globalen Luftfahrt, aber wenigstens dem Flughafen Graz, und ich trage vielleicht dazu bei, dass sich die Lebensqualität in einem beschränkten Raum, etwa der Stadt Graz und ihrer Umgebung, verbessert.
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Zur Bekämpfung des Klimawandels und des nicht weniger schlimmen globale Artensterbens nur auf politische Aktionen in großem Maßstab zu setzen, übersieht, dass die ökologischen Katastrophen der Gegenwart Folgen unserer imperialen Lebensweise (Ulrich Brand) sind, nicht nur des Handelns unserer Politiker. Dass die Aufforderung, auf das Fliegen zu verzichten oder es radikal zu reduzieren, viele so provoziert, hängt damit zusammen, dass das Fliegen ein wichtiger Bestandteil und auch ein Symbol dieser Lebensweise ist. Wir brauchen andere Haltungen als die, in der der Mensch eine ihm gegenüber stehende Natur beherrscht—Haltungen, die von den erbosten Vertretern der Rationalität gelegentlich als religiös abqualifiziert werden. Auf für die Biosphäre schädlichen Konsum—wie Flugreisen—zu verzichten ermöglicht es, solche Haltungen zu entwickeln.
Aus diesen Argumenten ergibt sich nicht, dass politisches Handeln überflüssig ist. Es wird aber nicht erfolgreich sein, wenn wir nicht gleichzeitig da nach Alternativen suchen, wo wir selbst direkt handeln können—indem wir zum Beispiel nicht Fluggesellschaften, Flughäfen und die Ölindustrie durch unseren Konsum unterstützen.
Update, 18:30: Vor mir liegt die Printausgabe des Falter mit dem Artikel Darf ich noch fliegen? von Sibylle Hamann. Er geht auf dieselben Fragen mit viel mehr Sachargumenten ein.