Ich habe in den letzten Jahren viel über die Klimakrise gelesen und gehört. Den Vortrag, den Will Steffen 2018 in Australien gehalten hat, habe ich erst jetzt gesehen (danke Michael Flammer!). Er ist eine der besten knappen Darstellungen des Klimawandels. Steffens Vortrag ist zugleich das verstörendste Dokument zu dieser Situation, das ich kenne. Er wird hoffentlich bald ins Deutsche übersetzt.
https://youtu.be/esF6bl2H5x0
Steffen ist einer der namhaftesten Vertreter der Klimaforschung und der Erdsystemwissenschaft. Er ist der Haupt- oder Mitautor einiger ihrer wichtigsten Arbeiten.
Update, 30.11.2020: Das eingebettete YouTube-Video oben habe ich durch die inzwischen fertige deutsche Fassung ersetzt. Originalversion: The Big U-Turn Ahead: Calling Australia to Action on Climate Change – YouTube.
Verstörend ist der Vortrag, weil er ruhig, aber ohne von seiner Linie abzuweichen, auf eine Aussage hinausläuft: 2020 muss ein U-Turn gelingen. Die CO2-Emissionen müssen sinken, statt weiter zu steigen. Scheitert die Klimabewegung dabei, dann drohen auf der Erde Verhältnisse, die sich von den jetzigen deutlicher unterscheiden als diese von denen in der letzten Eiszeit.
Steffen begründet nüchtern, aber zwingend, warum wir nur noch sehr, sehr wenig Zeit haben, um die globale Erhitzung auf 2° Celsius zu begrenzen und damit eine Chance zu wahren, Holozän-artige Bedingungen zu stabilisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen bis 2040 die Netto-Emissionen weltweit auf Null reduziert werden. Und um das zu schaffen, müssen wir—das sagte Steffen 2018—spätestens 2020 den U-Turn schaffen. Wenn wir diesen Termin verpassen, wird selbst das Zwei-Grad-Ziel fast unerreichbar. Wenn die Emissionen weiter wachsen, dann müssten wir sie in weniger als 10 Jahren auf Null reduzieren, um innerhalb des wahrscheinlich verfügbaren CO2-Budgets zu bleiben.
Steffens Vortrag ist auch ein Ergebnis des Nachdenkens darüber, warum die Argumente der Wissenschaft bisher ungehört geblieben sind. Politisches Handeln findet mit einem anderen Zeithorizont statt als dem der scheinbar langen Dauern, mit denen es die Klimaforschung und die Erstsystemwissenschaft zu tun hat. Steffen betont, dass sich die Verhältnisse schnell ändern müssen: während der Amtszeiten der heute gewählten Politiker.
Die Situation, die Steffen beschreibt, ist ein Ausnahmezustand in ihrer Größe (magnitude) und ihrer Dringlichkeit (urgency). Die fast unlösbare Aufgabe besteht nicht nur darin, die gesamte Weltwirtschaft in kurzer Zeit zu verändern. Um mit ihr zu beginnen, steht außerdem nur ein extrem kurzes Zeitfenster zur Verfügung. Die Alternative dazu ist mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht ein graduell schlechterer Zustand. Wenn die Erwärmung nicht unter 2° Celsius gehalten werden kann, dann wird sich das Erdsystem möglicherweise erst bei deutlich über 4° mehr als den jetzigen Temperaturen stabilisieren. Grund dafür ist das Risiko, dass bereits eine Erwärmung um 2° eine Kaskade von Kipp-Punkten auslöst, durch die sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre unabhängig von menschlichen Aktivitäten deutlich erhöht.
Steffens Argumentation ist klar und belegt. Es gibt keinen vernünftigen Grund, an ihr zu zweifeln. Steffen formuliert die Synthese aus einer Vielzahl von Arbeiten zur Klimaforschung und Erdsystemwissenschaft. Greta Thunberg hat auf die Situation, die Steffen benennt gerade wieder hingewiesen.Wer ihr Panikmache vorwirft, soll sich diesen Vortrag anschauen.
This can no longer be news among other news, an "important topic" among other topics, a "political issue" among other political issues or a crisis among other crises.
This is not party politics or opinions. This is an existential emergency. And we must start treating it as such. https://t.co/beRUwiJM1Y— Greta Thunberg (@GretaThunberg) December 29, 2019
Die Situation, die Steffen formuliert, erfordert und rechtfertigt Mittel, die nicht bei den üblichen Instrumenten der Politik stehenbleiben. Die eigentliche, unheimliche Frage ist: Welche Mittel sind nicht erlaubt, um die Katastrophe zu verhindern, die der Zivilisation droht? Es ist offensichtlich, dass die industrialisierten Länder dabei versagt haben, eine lebensbedrohende Situation für ihre Bevölkerungen zu vermeiden. Steffen selbst ist einer der prominentesten Unterstützer gewaltlosen zivilen Ungehorsams als Strategie zur Veränderung der Politik.
Noch zwei Tage, und es ist 2020. 2019 wurde verpasst. Steffens Vortrag zeigt, dass wir uns schon längst nicht mehr in einer Situation des business as usual befinden: Die Umwelt, in der Politik und Wirtschaft stattfinden, ist nur noch scheinbar stabil. Sie verändert sich aufgrund de Einwirkungen des Menschen so schnell, dass wir sie nicht mehr nur als einen Rahmen oder eine Umwelt verstehen können, innerhalb derer Zeit und Raum für die Lösung anderer Probleme bleiben.
Ich habe mich im vergangenen Jahr Extinction Rebellion, einem radikalen Teil der Umweltbewegung angeschlossen. Trotzdem habe ich die ökologische Situation nicht mit der Schärfe gesehen, in der sie Will Steffen in seinem Vortrag beschreibt. Dass wir einen Aufstand brauchen, um das bestehende Wirtschaftssystem zu beenden, ist keine Übertreibung, sondern ein Euphemismus.
Und dann brennt der Busch, ein Vulkan bricht aus und die Tundra taut auf und die ganzen Modelle sind wertlos.
Lieber Sascha, in diesem Fall entsprechen die Ereignisse leider den Modellen sehr genau. Genau darum geht es in diesem Vortrag. Und die Begrenztheit der Prognosemöglichkeiten, auf die Steffen eingeht, machen das Risiko noch größer.
Ja, ich habe ihn gesehen. Und ich fand interessant, dass er die Bemühungen von Deutschland zur CO2-Reduktion explizit lobt. Passt nicht ganz zur Wahrnehmung in der Öfentlichkeit.
Was damit zusammenhängen könnte, dass der Vortrag von Mitte 2018 ist …
Wir werden nicht vom Vorreiter zum Nachzügler. Ja, wir könnten mehr tun. Im internationalen Vergleich ist Deutschland nach wie vor vorne dabei.
Die deutsche Wirtschaft hängt noch mehr von fossilen Energien ab als die anderer Industrieländer, etwa durch die Autoindustrie. Das spiegelt sich in der Regierungspolitik, die nicht einmal ein Tempolimit hinbekommt.
Im Vergleich zu Klimaleugnungs-Staaten wie USA und Australien ist Deutschland nicht hinten. Aber das reicht – siehe Steffen – bei weitem nicht aus.
Und was denkst Du, ist der beste Weg, um diejenigen, die bereits mit am meisten machen, zu überzeugen, noch mehr zu tun?
Ich wüsste gerne einen Weg. Eine Möglichkeit sehe ich im #tellthetruth im Sinne von ExtinctionRebellion. Eine andere im Konkretisieren von Postwachstums-Perspektiven.
Er und FFF stabilisieren vor allem sich selbst. Relevant werden sie, wenn sie Teil von Institutionen werden. Dafür sind sie hervorragende Plattformen.
Ohne die Klimabewegung wäre es nicht zum Klimapaket gekommen, und auch nicht zur neuen österreichischen Regierung. Um eine konsequentere Klimapolitik zu erreichen, ist vermutlich mehr, nicht weniger Druck nötig.