Ich habe mir heute The Exhausted of the Earth als Ebook (Chaudhary 2024) gekauft. Ein Interview mit Ajay Chaudhary im Guardian (Goodfellow 2024) und eine Podcast mit ihm (Introcaso 2024) haben mich überzeugt. In den Statements am Beginn schreibt Julia Steinberger, was ich – nach Interview und Podcast – erwarte:
“Ajay Singh Chaudhary has achieved the impossible: bringing together scientific, political, cultural and psychological thought to create the foundations of a new political ‘climate realism,’ blending global decolonisation and domestic emancipation. The Exhausted of the Earth opens new horizons for urgent and immediate climate action. A must-read for our times.”
Chaudharys Buch behandelt die globale Erhitzung als politisches Thema. Es konfrontiert zwei Antworten miteinander—den „rechten“ und den „linken“ Klimarealismus. Der rechte Klimarealismus leugnet die Klimaveränderungen nicht. Aber seine Antworten nutzen nur denen, die vom auf Extraktion und Ausbeutung ausgerichteten Kapitalismus profitieren. Der rechte Klimarealismus will mit den Klimaveränderungen so umgehen, dass die aktuellen Machtverhältnisse nicht in Frage gestellt werden. Klar ist: Ohne Veränderung der Machtverhältnisse, ohne eine Transformation der auf Profit und Wachstum ausgerichteten Wirtschaft, kann die globale Erhitzung nicht so rechtzeitig gestoppt werden, dass eine Katastrophe für große Teile der Erde und ihre Bevölkerung vermieden wird. Der linke Klimarealismus verbindet deshalb den Kampf gegen die bestehenden Machtverhältnisse und schnelle und wirksame Klimapolitik (mitigation) und -Anpassung (adaptation) miteinander. Angesichts des enormen Zeitdrucks durch die bisherigen Emissionen ist beides zusammen—wirksame Klimapolitik und Erhaltung der kapitalistischen Machtverhältnisse—nicht zu haben.
Eine ganze Reihe von Positionen Chaudhurys haben mehr als nur mein Interesse geweckt. Drei davon:
Erschöpfung und Gesundheit: Eine große Rolle spielt bei ihm die subjektive Seite der Klimakatastrophe und ihrer gesellschaftlichen Ursachen—das, was er als Erschöpfung bezeichnet. Der Kampf gegen die Erschöpfung, der Kampf für Gesundheit und der Kampf gegen den extraktiven, kolonialistischen Kapitalismus gehören zusammen. Die Einsicht in die Ursachen der Erschöpfung, vor allem der psychischen Erschöpfung, im globalen Norden kann eine Solidarisierung mit den Bewegungen im globalen Süden ermöglichen.
Beschleunigung: Die poitische Situation ist auch durch Zeitdruck definiert. Die Erdsystemwissenschaften, die Analysen der Great Acceleration, haben politische Konsequenzen, weil sie eine historische Situation bestimmen. Der „linke Klimarealismus“ nimmt also sowohl Klimaforschung und Erdsystemwissenschaften ernst als auch die durch den Kolonialismus bestimmte globale Situation. Man muss nicht grundsätzlich zwischen „sozialen“ und „naturwissenschaftichen“ Aspekten der Krise unterscheiden.
Gewalt: Der Kampf gegen die Klimakatastrophe ist ein Machtkampf. Er wird auf vielen Ebenen geführt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass es dabei nicht auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen wird. Chaudhury beschäftigt sich explizit—über die Diskussionen zu Themen wie Sabotage hinaus—damit, welche Rolle Gewalt spielen wird. Diese Frage dürfen wir—nicht nur, weil gerade die Ukraine Krieg gegen einen Petrostaat führt—nicht ausweichen.
Die Klimabewegung hat auf Bücher wie das von Chaudhary gewartet: er stellt explizit die Frage nach einer realistischen politischen Strategie. Ich bin auf die Antworten gespannt.