Als gestern bekannt wurde, dass die irische Datenschutzbehörde Facebook dazu gebracht hat, seine Privacy-Bestimmungen zu ändern, wurde nur Jubel laut. Hier in Österreich wurde ein Erfolg der Gruppe Europe vs. Facebook gefeiert; in den Berichten des Guardian oder des Spiegels nimmt sich der Anteil der Studenten um Max Schrems etwas bescheidener aus.
Mir ist bei der Vorstellung unbehaglich, dass jetzt Juristen noch mehr Einfluss auf die Zukunft von Webdiensten, Webtechnologien und ihrer Nutzung bekommen könnten. Ich hoffe, dass ich darüber nach dem vorweihnachtlichen Stress ausführlicher schreiben kann; ich bin erst dabei, mich gründlicher mit den Argumenten der deutschen Post-Privacy-Leute (vulgo Spackeria) zu beschäftigen, die ich schlüssig finde. Ich hoffe, dass endlich auch in Österreich über Christian Hellers Buch Post-Privacy—Prima leben ohne Privatspäre diskutiert wird.
Warum trete ich nicht dafür ein, Facebook dem europäischen Datenschutzrecht zu unterwerfen? Hier ein paar Argumente; dass es Gegenargumente gibt, ist mir durchaus klar.
- Es ist generell problematisch, das Internet und das Web nach nationalen Gesetzen zu regeln. Die Unabhängigkeit des Cyberspace ist vielleicht eine idealistische Idee, aber das Web ist kein territoriales Medium. Nationale Regelungen können die Freiheit des Individuums schützen, aber in den meisten Fällen werden sie den gegenteiligen Effekt haben.
- Mit denselben Argumenten, mit denem man Facebook den europäischen Datenschutzregelungen unterwerfen will, kann man auch begründen, warum das bisherige Urheberrecht auch im Netz durchgesetzt werden muss. Man arbeitet damit der Musik- und Verwertungsindustrie in die Hände.
- Die Frage, ob die Datenschutzregeln in einer Gesellschaft und einer Wirtschaft, die immer mehr vom Rohstoff Daten lebt, noch angemessen sind, wird negativ beantwortet, bevor sie überhaupt gestellt wird. So wie man fragen muss und fragt, ob Urheberrecht und Kopierschutz in einer digitalen Welt nicht hinderlich für Kreativität und kulturelle Entwicklung sind, so muss man auch fragen, ob unsere bisherigen Privacy-Konzepte Entwicklungen blockieren, von denen alle profitieren.
- Facebook und auch Google sind nicht einfach bösartige Datenkraken. Sie sind groß geworden, weil sie ihren Benutzern einen sehr konkreten Nutzen bieten, und sie haben sich in evolutionären Prozessen durchgesetzt. Die Entwicklung des Webs hängt auch von diesen Firmen ab—ob man das mag oder nicht. Mehr Regulierung wird diese Entwicklung erschweren und den technologischen Abstand zwischen Europa und den USA noch vergrößern.
- Die Daten, die Facebook und andere Dienste sammeln, stehen nicht nur den Betreibern, sondern zu einem großen Teil den Nutzern zur Verfügung. Durch Regulierungen wird nicht nur die Firma Facebook eingeschränkt, sondern jeder einzelne Facebook-User.
- Facebook und andere Dienste vor allem als juristisches Problem zu sehen, lenkt davon ab, technische und wirtschaftliche Alternativen zu entwickeln. Für den Datenschutz und die Wahlfreiheit der Benutzer wäre eine Unterstützung z.B. von Diaspora durch europäische Behörden (etwa durch Diaspora-Netze im Bildungswesen) vermutlich viel wirksamer als das Schwingen juristischer Keulen.
Ich weiss, dass diese Argumente grob sind; sie mögen neoliberal klingen, obwohl sie nicht so gemeint sind. Andererseits ist der Verweis auf den Datenschutz in Europa oft auch reflexhaft. Wir brauchen mehr öffentliche Debatten nicht nur über Facebook und die Datenkraken, sondern auch über den Sinn des Datenschutzes und die Chancen der Datenkultur.
Eine sehr interessante Sichtweise!
Ich habe die Anklangepunkte nicht im Detail durchgearbeitet, aber soweit ich gehört habe, hat sich Facebook nicht an seine eigenen Aussagen gehalten, z.B. Daten nicht gelöscht, von denen es vorgegeben hatte, sie zu löschen. Und da finde ich ist es notwendig, dass sie zur Verantwortung gezogen werden können. Ich sehe keinen Nutzen für die User, wenn Facebook sagt, dass es Daten löscht, das aber nicht tut.
Danke für die Reaktion. Ich wollte das Verhalten von Facebook nicht rechtfertigen. Für genauso problematisch halte ich das Sammeln von Daten zu Benutzern, die gar nicht bei Facebook eingeloggt sind.
Eine andere Frage ist aber, ob es vom nationalen Recht abhängen sollte, wie man dagegen vorgeht, bzw. ob das juristisch geschehen sollte. Man treibt dann möglicherweise den Teufel mit dem Beelzebub aus. Ich finde es viel wichtiger, sich auf Alternativen zu Facebook und auch technische Tools zu konzentrieren, die z.B. das unerwünschte Melden von Daten verhindern.
Mir ist auch klar, dass man hier nicht ohne jede juristische Regelung auskommt. Ich fände es allerdings grauenhaft, wenn z.B. eine „Recht auf Vergessen“ festgeschrieben Würde.
Hallo Heinz!
Du hast einen spannenden und für mich sehr Gewinn bringenden Weg beschritten, dass Du auch Argumente FÜR und nicht (wie viele anderen) nur DAGEGEN findest.
Habe ich gleich geshared!
Das paradoxe ist: Erst durch das Sammeln dieser Daten werden die Web-Dienste wirklich brauchbar.
LG, Alex