Wer ein neues deutsches Wörterbuch der Gemeinplätze schreibt, muss über Facebook aufnehmen: „verstößt gegen den Datenschutz“. Zwar sucht man lange nach Geschädigten, aber das Missbehagen ist allgemein. Als ich heute Studenten nach Risiken von Facebook für das Web gefragt habe, war die erste Antwort: „durch Datenprostitution“.

Durch solche Klischees verfehlen wir die Chancen und die Risiken des Netzwerks. Ehe die Diskussion begonnen hat, fällt der Datenschutzhammer. Er weckt antiamerikanische und antikapitalistische Gespenster aus dem Halbschlaf. Im Jahr der Facebookrevolution in Ägypten wird Europa gegen Facebook mobilisiert.

Die Autoren von zwei neuen Aufsätzen aus den USA sehen mit ganz anderen Perspektiven auf Facebook. Anil Dash fordert jedem Versuch Facebooks entgegenzutreten, seine Nutzer gegen den Rest des Webs abzuschotten: Facebook is gaslighting the web. We can fix it. Paul Ford stellt die unabgeschlossenen und ungeplanten Geschichten, die Facebook-User in ihren Status-Updates erzählen, den geglätteten Stories der Medien gegenüber: Facebook and the Epiphanator: An End to Endings? Beide Texte zeigen, wie man über Facebook diskutieren kann, wenn man wahrnimmt, was man nicht bereits wusste.

Anil Dashs Post beruht auf Beobachtungen, die er auf eine bewusste Politik Facebooks zurückführte. Wenn er auf Links zu seinem Blog klickte, wurde er vor Risiken gewarnt. Dabei benutzt er Facebooks Kommentarsystem für das Blog. Vor dem Hintergrund, dass Facebook es nicht mehr erlaubt, Blogs über RSS-Feeds in die persönlichen Notes zu importieren, sieht Dash Indizien für eine Walled Garden-Politik: Facebook stelle fremde Websites als gefährlich dar, um die User bei sich zu halten. Facebook-Ingenieure haben in Kommentaren sofort widersprochen. Die Meldungen, die Dash gesehen habe, seien das Ergebnis von Bugs. Dash akzeptiert die Richtigstellungen, weist aber darauf hin, dass seine Kritik an Facebook weit weniger willkürlich war als die Warnungen Facebooks. Die Diskussion zeigt, wie sensibel die Übergangszone zwischen Facebook und dem Rest des Webs ist. Facebook agiert bei der Behandlung von Links als technische und vielleicht bald auch als inhaltliche Bewertungsinstanz. Es kann diese Macht jederzeit missbrauchen.

Ford stellt den Lebensläufen, denen man bei Facebook bis in ihre dunkelsten Momente folgen kann, eine Allegorie der Massenmedien gegenüber, die er Epiphanator nennt. Man kann das mit Erscheinungsmacher übersetzen. Gemeint ist der Apparat, der uns laufend mit geordneten Handlungen und Lebensläufen bedient, die zudecken, welche Reste nicht erzählt werden. Facebook macht diesen Apparat nicht überflüssig. Wir wollen nicht ohne Erzählschlüsse leben. Aber Facebook zeigt uns andere, nicht massenmedial gefertigte Lebensstränge. Ford analysiert sie in der Tradition der großen englischsprachigen Essayistik. Über das Besondere des Social Web kann man kaum besser schreiben.

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