Als ich seinerzeit mein Facebook-Profil eingerichtet habe, habe ich als politische Einstellung die Option very liberal angeklickt. Es hat mir gefallen, dass es diese Option überhaupt gab. Sie hat mich an die Antwort eines Journalisten erinnert, die ich irgendwann in Tutzing mitbekommen hate: linkslinkslinks… liberal.
Ich kann meine politische Position nicht so einfach beschreiben; ich habe Sympathien für den Anarchismus und auch für fundamental-ökologische Haltungen, ich würde nie auf bürgerlich-demokratische Positionen und auf den Rechtsstaat verzichten, und ich bin für eine ethisch bestimmte Politik; ein Vorbild für mich ist Ernst Tugendhat. Was immer meine Standpunkt ist, er ist wohl auch very liberal. Ganz ernst würde ich eine solche Klassifizierung und überhaupt ein Facebook-Profile aber nie nehmen. Ich mag die unzerreissbaren Weltanschauungen nicht, von denen Robert Musil spricht, und ich hasse jede Form von Orthodoxie.
Eben habe ich gesehen, dass Facebook meine politische Einstellung in meinem Profil verändert hat. Ich bin dort ein Anhänger des Liberalismus. Diese Einstellung ist mit einem Wikipedia-Import verlinkt, der bei Facebook den Titel Very Liberal hat, aber den Liberalismus beschreibt. Es liegt natürlich nahe, sich deshalb über Facebook aufzuregen und das Diktat einer amerikanischen Middleclass-Weltanschauung, in die very liberal wohl nicht ganz passt. Das ist aber nicht der Punkt, der mich interessiert. Facebook hat meine politische Meinung nicht einfach in ein Raster pressen wollen, sondern sie sollte einer Seite, einem URL, zugeordnet werden, und diese Seite sollte wiederum für eine politische Position stehen. Genauso verfährt Facebook ja auch bei der Angabe von Vorlieben für Musiker, Filme oder Blogs.
Das deutet auf eine soziale Änderung hin: Eine wichtige Klassifikation/Selbstklassifikation der Mitglieder einer Gesellschaft funktioniert, jedenfalls bei Facebook, über die Verlinkung mit einem URL, nicht mehr z.B. über die Mitgliedschaft in einer Partei, die Entscheidung bei einer Wahl oder die Lektüre bestimmter Zeitungen. Dadurch verändert sich die Weise, wie überhaupt Gesellschaft gemacht wird, denn zur Gesellschaft gehören die Klassifikationen ihrer Mitglieder. Die Verlinkung drückt nicht nur Vergesellschaftung aus, sie ist Vergesellschaftung. Das Facebook-Profil zeigt, auch wenn es mich nicht zwingt, seine Klassifikation zu übernehmen, dass das Web mehr und mehr zur Fabrik der Gesellschaft wird.
Das bedeutet nicht, dass das alltägliche soziale Leben sich radikal ändert. Es geht nur um die offiziellen oder quasi-offiziellen Zuordnungen. Aber die Gesellschaft, den social body, gibt es ohne diese Zuordnungen wohl nicht.
Für mich gilt dat nicht. Ich hatte auch ‚very liberal’eingegeben. Facebook hatte das nicht verlinkt mit eine Wikipedia-seite über Liberalismus. Jetzt habe ich die politische Partei -wo von ich Mitglied bin- eingegeben.