In der vergangenen Woche habe ich an der Hochschule Darmstadt das Konzept eines Web Literacy Lab vorgestellt, das ich mit Kollegen seit einiger Zeit verfolge. Dabei habe ich ein neues Berufs- oder Rollenbild für Kommunikatoren angesprochen: das des Facilitators.
Ich verdanke den Ausdruck Ton Zijlstra. Ton hat im Mai zu seinem 40. Geburtstag ein privates BarCamp zum Thema Working On Stuff That Matters organisiert und in einer Erläuterung dazu geschrieben, dass einige der Teilnehmer bereits geübte facilitators seien. Ton ist für mich auch so etwas wie ein Rollenmodell für diesen Beruf oder diese Tätigkeit. Um von einem Beruf im herkömmlichen, statischen Sinn zu sprechen, ist das, was ein Facilitator macht, vielleicht zu vielfältig und zu veränderlich.
Der Wikipedia-Artikel Facilitator führt den Ausdruck auf Paulo Freire zurück.
Ein Facilitator hat eine Metarolle für die Kollaborations- und Kommunikationsformen, die durch das Web und andere Formen der Vernetzung möglich werden. Er erforscht sie für sich und andere, schult in ihnen, begleitet Projekte und tauscht Erfahrungen aus. Thomas Pleil spricht von einem Enabler. Es handelt sich um eine skalierbare Tätigkeit. Jeder der an einem Webprojekt oder einem BarCamp teilnimmt, ist in einem gewissen Maße ein Facilitator für andere. Trotzdem wird es wohl immer Personen geben, die sich professionell darum kümmern, solche Projekte zu strukturieren und zugleich zu beobachten und die dabei die Formen und den Ablauf des Projekts in jedem Einzelfall neu festlegen.
In meiner Präsentation habe ich sechs Aspekte dieser Rolle unterschieden:
- Explorativer Umgang mit sozialen Technologien: Soziale Technologien werden sich in den kommenden Jahren noch schneller verändern als in den vergangenen; es dürfte eine Aufgabe von Spezialisten bleiben, diese Entwicklungen voranzutreiben, zu beobachten und zu bewerten.
- Vermittlungskompetenz: Facilitators müssen vor allem in hoch innovativen Bereichen anderen erschließen, was möglich ist; dazu gehört es übrigens auch, sich der Arroganz der Wissensbesitzer (Jean-Pol Martin) entgegenzustellen.
- Begleitung von Veränderungsprozessen: Soziale Medien und kooperative Technologien lassen sich nur bei einer ihnen entsprechenden transparenten und angstfreien Organisations- oder Unternehmenskultur sinnvoll verwenden; den Wandel zu einer solchen Kultur müssen Facilitators unterstützen, um die Voraussetzungen für Vernetzungsprojekte zu schaffen.
- Ethische Legitimierung: Die Transparenz des Netzes erfordert es, die Licence to operate (Thomas Pleil) immer wieder neu zu begründen—nach außen, aber auch für die Teilnehmer der Projekte selbst.
- Globale Orientierung: Wenn vernetzte Projekte heute nicht mehr außerhalb des Netzes stattfinden, sind sie immer global sichtbar und potenziell mit Aktionen an irgendwelchen anderen Orten verknüpfbar. Nicht in jedem Einzelfall, aber oft gewinnen sie durch internationale Verbindungen und durch internationale Arbeitsteilung
- Management von Netzprojekten: Projekte, bei denen vernetzt kommuniziert und kooperiert wird, verlangen spezifische Management-Methoden jenseits der üblichen linearen Modelle. Ihr Ablauf ist oft nicht voraussehbar, aber z.B. die Erwartungen können gemanagt werden (wie ich von Ton Zijlstra nach dem ersten Grazer PolitCamp gelernt habe). Ein Facilitator muss solche Methoden (Scrum liefert vielleicht Modelle) kennen, um die Arbeitsvoraussetzungen für vernetzte Gruppen zu schaffen.
- Vernetzung auf Metaebene: Zur Rolle des Facilitators gehört es für mich auch, laufend andere Gruppen und Projekte zu beobachten, Erfahrungen auszutauschen und zu diskutieren. Entsprechend aktiv wird er (oder sie) bei BarCamps, in der Blogosphäre und an anderen realen und virtuellen Austauschplätzen agieren.
Durch das Web und überall vorhandene soziale Technologien werden Journalisten und professionelle Kommunikatoren immer mehr die Rolle von Facilitators einnehmen. Das mediale Kommunizieren selbst wird entprofessionalisiert—damit wächst das Bedürfnis nach Leuten, die die Möglichkeiten der neuen Kommunikationsmittel—die immer auch Kooperationsmittel sind—kennen und sie vermitteln können. Für Absolventen von Journalismus- und PR-Studiengängen ergeben sich daraus neue Berufsmöglichkeiten. Louis Gray hat festgestellt, dass man nicht mehr lange von Social Media Experts sprechen wird, weil bald jeder mit sozialen Medien umgehen wird. Um so wichtiger werden Facilitators, die das Potenzial vernetzter Kommunikation erschließen.
Hallo Heinz, in diesem Sinne ist denke ich auch die Rolle ‚Technology Steward‘ interessant die von Nancy White, Etienne Wenger und John Smith benannt wurde. Sieh http://technologyforcommunities.com/
Ich überlege gerade, ob zu den von Dir genannten und sehr sinnvollen Punkten noch der Aspekt der Content-Strategien dazu kommen sollte. Das wäre ergänzend zu Kultur und Technik (denke, die von Dir genannten Aspekte passen im weitesten Sinn in diese Schubladen) ein dritter Aspekt. Wobei es mir beim Aspekt des Contents v.a. um die grobe Linie geht. Der Facilitator könnte auch hier als Katalysator wirken, die einzelnen Beiträge sind nicht mehr seine Sache.
Das ist eine sehr schöne – und lebensnahe – Übersicht der Kompetenz- und Handlungsfelder für Kommunikationsberater. Ich begegne allen Aspekten in der Beratungspraxis und positioniere meine Leistungen auch in ähnlicher Form. Wie Thomas Pleil anmerkt, gehört das Thema Content-Strategien – ich würde es schlicht Redaktion nennen – mit hinein. Denn selbst wenn die Erkenntnis über die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen solide legitimiert durchgesickert ist, bleibt oft immer noch die Frage: „Und worüber sollen wir da sprechen?“ Da braucht es wieder einen Sparringspartner oder Facilitator, der den Blick für die Inhalte weitet.
Danke für den Hinweis! Das Wort gefällt mit persönlich besser, ist aber hier in Deutschland wohl kaum markttauglich. Website und Buch schaue ich mir an – sollte sie eigentlich kennen …
BTW: Noch mal vielen Dank für WSTM! Bin leider nicht rechtzeitig zu einem Post darüber gekommen, es wirkt aber nach!
Das stimmt, danke! Wobei man den Begriff „Content“ hier sicher sehr breit verstehen muss, so dass er z.B. die Auswahl von Inhalten bei Open Data-/Open Government-Projekten mit umfasst.
Danke! Es geht mir bei meinem Post auch darum, wie wir in Graz zukünftige Studien-/Weiterbildungsangebote anlegen, deshalb freut mich die Einschätzung als „lebensnah“ besonders. Die Anregung zur Content-Strategie greife ich auf, s.o.!
…. finde mich in der Rolle seit 10 Jahren zu 100% wieder 🙂
Danke für den Bericht, gerne mehr und Erfahrungen aus der Praxis (vom Hochwasser zu BMW zu international Conferenceblogging).
Oh, ich vergaß, den Tip zum aktuellen Beitrag erhielt ich von Florian Vogelmaier AKA @fasnix