Christiane Schulzki-Haddouti erweitert in “Haltung” als journalistische Kernkompetenz ihren Katalog journalistischer Kerkompetenzen. Eine Haltung unterscheide Journalisten von PR-Leuten:
Dass Journalismus ohne “Haltung” überhaupt nicht möglich ist, zeigt ein einfacher Vergleich von journalistischer und auf Public Relations ausgerichteter Arbeit. Beide greifen auf die fünf Kernkompetenzen gleichermaßen zurück. Es besteht überhaupt kein Unterschied. Gleichwohl müssen sich beide voneinander abgrenzen. Denn sonst ginge das Vertrauen der Rezipienten verloren. Und für diese Abgrenzung ist einzig und allein “Haltung” erforderlich.
Sie stellt dann fest:
Haltung hat etwas mit “aufrechtem Gang” zu tun, den die Bürger im 19. Jahrhundert mühesam einübten.
Schließlich fragt sie, warum man die Frage nach der Vereinbarkeit von Journalismus und PR—im Studium oder in der eigenen Praxis—nicht als ethische Frage stellt:
Angesichts der immer wieder aufflammenden Debatte um das Verhältnis zwischen PR und Journalismus, uneinheitlichen Berufskodizes sowie Studiengängen, die beides vermitteln, frage ich mich, warum man dies nicht direkt als ethisches Problem thematisiert – und von dieser Perspektive her direkt angeht.
Ich habe schon mehrfach auf Christiane Schulzki-Haddoutis Ansatz zurückgegriffen, um so etwas wie ein Leitbild für unsere Ausbildung von Journalisten und PR-Leuten zu formulieren, und ich verwender sie auch bei der Neuformulierung des Social Media-Teils unseres Curriculums. Bisher bin ich nur davon ausgegangen, dass man über die erwähnten Kompetenzen hinaus zwischen den Rollen und Aufgaben von Journalisten und PR-Leuten unterscheiden muss. Zu diesen Rollen gehört aber—und das ist der wichtigste neue Gedanke in Christianes Beitrag—eine bestimmte Ethik, die man allerdings nicht mit allgemeinen ethischen Prinzipien gleichsetzen sollte, wie sie für jede Art von Kommunikation gelten.
David Barstow über journalistische Ethik
David Barstow von der New York Times hat während des Elevate-Festivals einen Workshop an unserem Studiengang gehalten. Dabei hat er gleich zu Beginn die Ethik als Kern des Journalismus bezeichnet. Die journalistische Ethik sei der wichtigste Inhalt einer journalistischen Ausbildung. Techniken, Schreiben, Storytelling, investigative Methoden könne man mehr oder weniger leicht erlernen. Die ethische Haltung müsse man sich selbst aneignen und aufrechterhalten, und zwar oft gegen heftige Widerstände.
Die ethische Haltung lässt sich für Barstow nicht von den journalistischen Techniken ablösen, sie ist die Voraussetzung dafür, dass das journalistische Handwerk richtig und erfolgreich ausgeübt wird. Die Haltung erlaubt es dem Journalisten, gegenüber sich selbst, gegenüber den Menschen, die ihm nahe stehen („your mum“), gegenüber den Informanten, den Vorgesetzten und seinen Gegnern so zu handeln, dass er verlässlich, verständlich, berechenbar bleibt. Bereits kleine Unsicherheiten und Fehler belasten die journalistische Arbeit, führen zu Zweifeln an der eigenen Rolle und machen die Geschichten, die der Journalist schreibt, ungenauer.
Am wichtigsten ist die ethische Haltung des Journalisten gegenüber Informanten, die sich in Gefahr bringen, wenn sie einem Journalisten etwas erzählen. Die Informanten müssen sich darauf verlassen können, dass die Journalistin oder der Journalist mit ihren Informationen korrekt umgeht und sie als Personen schützt. Der Journalist muss darüber hinaus den Informanten wie einen Mitarbeiter gewinnen. Die Quelle ist dann am besten, wenn ihr Name veröffentlicht werden kann und sie selbst dafür geradesteht, dass stimmt, was sie mitgeteilt hat.
Barstow lehnt es nicht nur ab, sich auf einzelne „whistleblowers“ zu verlassen. Wenn eine Quelle anonym bleiben will und ein Journalist nicht auf sie verzichten will, soll dieser Schritt ausdrücklich vollzogen und seine Bedeutung formuliert werden. Der Journalist muss dem Informanten feierlich mitteilen: „Ich werde für Sie notfalls ins Gefängnis gehen!“ Der Informant soll wissen, dass seine Information für den Journalisten ein Risiko bedeutet, und sie muss es selbst mitverantworten, dass der Journalist dieses Risiko eingeht.
Die Überzeugung, ethisch richtig zu handeln, gibt der Journalistin oder dem Journalisten die Kraft, ihre Arbeiten gegen heftige Widerstände zu verfolgen. „Fight like hell for your story!“ sei die einzig richtige Devise, wenn Vorgesetzte die Arbeit an einer Geschichte abbrechen wollten, von der der Journalist überzeugt sei.
Barstow hat uns klargemacht, wie viel Energie nötig ist, um etwas an den Tag zu bringen, was aus gutem Grund unter der Decke gehalten wurde. Der Journalist ist sich lange nicht sicher, ob er überhaupt auf der richtigen Spur ist; er und seine Informanten werden eingeschüchtert oder bedroht; seine Redaktion unterstützt ihn vielleicht nicht; sein Familienleben leidet, weil sich intensive Recherchen nicht in Achtstundentagen bewältigen lassen. Diesen Widerständen erliegt der Journalist, wenn er nicht daran glaubt, das Richtige zu tun und an einer Geschichte zu arbeiten, auf die er lange stolz sein kann, die nicht im Tagesschäft untergeht („I didn’t like doing the crap stories“).
Eine ethische Haltung bestimmt nicht nur, welche Ziele ein Journalist verfolgt, sondern auch, mit welchen Mitteln er arbeitet. Die Mittel dürfen das Ziel nicht diskreditieren, sie dürfen der Rolle des Journalisten nicht widersprechen und ihn gegenüber anderen und vor allem gegenüber sich selbst unglaubwürdig machen. Barstow hat 9/11 direkt vom Ground Zero berichtet und sich als Security-Mann ausgegeben, um in die streng abgesperrte Sicherheitszone zu kommen. Er ist sich bis heute nicht sicher, ob dieses Versteckspiel moralisch erlaubt war.
Aufdecken als journalistische Aufgabe
Beim Lesen von Christianes Posting ist mir David Barstows Vortrag sofort eingefallen. Barstow hat die Haltung beschrieben, die Journalisten von anderen professionellen Kommunikatoren unterscheidet. Diese Haltung ist keine persönliche Qualität, die ausschließt, dass ihr Träger andere Qualitäten und Eigenschaften hat. Sie wird von einem Job gefordert, so wie ein Leistungssportler eine bestimmte Moral braucht, um weitermachen zu können. Ob man diese Haltung haben und gleichzeitig PR machen kann, ist wohl keine Frage der moralischen Unverträglichkeit sondern der persönlichen Leistungsfähigkeit.
Barstow verkörpert ein Verständnis der Rolle des Journalisten, das man in Europa nur selten in dieser Schärfe findet: Journalisten kontrollieren die Mächtigen, indem sie für die demokratische Öffentlichkeit Dinge publizieren, die aus unethischen Gründen geheimgehalten werden. Die dazu erforderliche Haltung unterscheidet Journalisten von PR-Leuten: Journalisten müssen Rebellen sein.
Das bedeutet nicht, dass Journalisten bessere Menschen sind als PR-Leute. Eine Gesellschaft, die nur aus Rebellen besteht, wäre wahrscheinlich kein sehr angenehmer Platz, schon gar nicht für die Rebellen. Es bedeutet auch nicht, dass PR- oder Marketing-Leute keine Rebellen sein können—das Cluetrain Manifest ist ein Gegenbeweis. Aber zur Ethik der PR gehört nicht das Aufdecken von Informationen gegen alle Widerstände.
Noch eine Bemerkung zu diesem Thema, mit dem ich mich weiterbeschäftigen möchte: Die Krise des Printjournalismus ist dramatisch, weil sie den investigativen Journalismus, wie ein David Barstow mit der Unterstützung der New York Times betreiben kann, gefährdet. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, diesen Journalismus zu erhalten und seine Unabhängigkeit zu schützen. Dazu gehört es auch, ihn in der Ausbildung von Journalisten zu verankern, statt ihn einer falsch verstandenen „Wirtschaftsnähe“ zu opfern.
(Leider habe ich nur die beiden unscharfen Handy-Fotos von David Barstows Auftritt bei uns. Ich hoffe, sie vermitteln wenigstens etwas von der Stimmung an einem der spannendsten Tage an unserem Studiengang.)
Danke für’s Weiterdenken!
Zu den Kernkompetenzen: Ich habe sie auch für die Werkstatt zu Web 2.0, die im vorletzten Heft des Medium Magazins erschienen ist, als Orientierung verwendet. Hat gut funktioniert.
Ich denke, man müsste sich viel intensiver mit journalistischer Ethik auseinandersetzen. Wie diffizil das ist, habe ich beim Thema „Whistleblower“ gemerkt. Hier kollidiert nämlich die Hauptaufgabe „Öffentlichkeit herstellen“ mit der der Rücksichtnahme auf die Situation des Informanten. Für die Tagung „Journalisten und Whistleblower“ haben wir im Rahmen eines Seminars an der Uni Bonn etliche Fälle in einem Reader zusammengetragen, die zeigen, wie schwierig das Verhältnis zwischen Journalisten und Whistleblowern ist. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, eine Art Leitfaden für den gegenseitigen Umgang zu entwickeln. Haben das aber damals nicht geschafft. Einige Erkenntnisse aus der Tagung sind aber in meinen Beitrag geflossen, der kürzlich im Journalistik Journal erschienen ist: Wie geht man mit Whistleblowern richtig um?“.
Lustigerweise erschien auf der Tagung auch ein recht bekannter Fernsehreporter, der seine Kameraleute anwies, einfach mal auf die Leute „drauf zu halten“. Das führte uns exemplarisch vor, dass es mit der Sensibilität gegenüber der Situation von Whistleblowern bzw. gegenüber ihrem informationellen Selbstbestimmungsrecht, nicht so weit her sein kann.
Aber das ist sicherlich nur ein Beispiel für die vielen Themenbereiche der journalistischen Ethik. Leider habe ich mich nie aus einer Vogelperspektive mit ihr beschäftigt, sondern immer nur sehr fallbezogen. Aber ich habe den Verdacht, dass man versuchen sollte, dies einmal systematisch – und jeweils exemplarisch – zu machen.
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Sehr richtige Gedanken zum Thema, nur befürchte ich, dass die Rolle von Social Media künftig auch im Journalismus noch viel stärker zu beachten ist.