Wer wissen will, wie die Zukunft von Hauptstadtzeitungen aussehen kann—besser: was im Web an ihre Stelle treten kann— muss Michael Wolffs Artikel über Politico in Vanity Fair lesen. Ein paar Newsprofis haben Politico während der Obama-Kampagne gegründet. Die Site konzentriert sich auf die Berichterstattung über das politische Washington. Dabei wird nahezu in Echtzeit eine Unmenge an Informationen geliefert, die die Site und ihre Reporter zu einer Quelle für viele andere Medien machen. Politico hat sich dem verschrieben, was man in den USA beat reporting nennt. Der Beat sind hier die Aktivitäten der politischen Klasse in der amerikanischen Hauptstadt. Die Site ist inzwischen ein Must für amerikanische Politik-Interessierte; sie finanziert sich halbe/halbe aus Anzeigenerlösen und dem Verkauf einer Printversion. Die Online-Version erreicht 6,7 Millionen Unique Clients im Monat; die Printversion erzielt—dank der Bekanntheit der Site und der medialen Präsenz der Reporter—7,5 Millionen Dollar Anzeigenerlöse im Jahr bei einer Reichweite von nur 32.000.
Ich will Wolffs Geschichte hier nicht referieren. Passagen wie die Einleitung und der Schluss über die Unzeitgemäßheit der Allgemeinen Zeitung im 21. Jahrhundert oder die Darstellung des Wettbewerbs zwischen den Washingtoner Verlegerfamilien verdienen, dass man sie im Original liest. Ich möchte nur auf drei Punkte hinweisen, die ich so noch nie formuliert gefunden habe—trotz der Flut an Artikeln über Untergang oder Zukunft der Zeitungen:
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Politico ist eine Site von Journalisten, die die besten Kenner ihres Themas sind. Allen Unkenrufen vom Ende des Journalismus zum Trotz findet kompetenter Fachjournalismus ein Publikum, selbst wenn es um die Interna einer Administration geht, die in den vergangenen Jahren angegeblich niemand interessiert haben.
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Politico ist keine Online-Zeitung mit umfassendem redaktionellen Programm. Die Website ist monothematisch, aber sie behandelt ihr Thema gründlicher und genauer als die Konkurrenz. Genau das passt ins Web, in dem sich Benutzer ihre Quellen selbst zusammenstellen können.
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Politico konzentriert sich auf eine internettypische Berichterstattung: Die Reporter berichten in Echtzeit, filtern kaum und suchen sich ihre Themen selbst. Publish first, edit after! Auf die Arbeitsgänge und Aufgabenverteilung einer klassischen Redaktion verzichtet die Site. Wichtig sind zeitliche, räumliche und persönliche Nähe zum Geschehen.
Politico ist die erfolgreich verwirklichte Antithese zu dem Verlegertraum, man könne dieselben Inhalte über beliebige Plattformen abspielen. Politico funktioniert nur durch das Netz, auch wenn die von der Online-Ausgabe abgeleitetet Special Interest-Printversion für die Hälfte der Einkünfte geradesteht.
In Wolffs Artikel wirkt Politico wie ein vervielfachter Rober Scoble, der sich mit Politik statt mit dem Web beschäftigt. Offenbar bereiten Helmut Markwort und seine Kollegen einen Relaunch des Focus vor. Sie sollten sich an Politico orientieren.
(Zum Geschäftsmodell von Politico siehe auch dieses Post Rex Hammocks [via Steve Rubel].)